Was ist ein Geist? Ein schreckliches Ereignis, das dazu verdammt ist, immer und immer wieder stattzufinden. Ein Augenblick des Schmerzes vielleicht. Etwas Totes, das für einen Moment zum Leben zu erwachen scheint. Ein Gefühl, das in der Zeit erstarrt ist. Wie eine unscharfe Fotografie. Wie ein in Bernstein gefangenes Insekt.
Schöne und ruhige Worte. Worte voller Poesie. Und diese schönen, ruhigen und poetischen Worte untermalen den Tod eines Jungen, eingefangen in verträumten und assoziativen Bildern, deren Schönheit gleich intensiv ist mit dem vermittelten Schmerz.
Das „Dilemma“ von THE DEVIL’S BACKBONE ist gerade diese Vielschichtigkeit. Regisseur Guillermo del Toro mag sich hier nicht festlegen auf ein einziges Genre, und er mag sich auch nicht auf eine einzige Ausdrucksweise oder eine einzige Geschichte festlegen. Die Story mäandert durch die Ideen wie ein Geist durch die ätherischen Schichten, und del Toro schafft dabei das schier unglaubliche Kunststück, bei jeder Szene genau den richtigen Ton zu treffen. Kriegsdrama, Coming of Age, Gruselfilm, und dann wieder der Krieg – Alles ist drin in THE DEVILS BACKBONE, und alles hat seinen Platz und nichts steht an der falschen Stelle und stört. Die Schönheit ist zu bewundern genauso wie der Schmerz zu ertragen ist. Die kindliche Unschuld hat ihren Raum, und das Böse und Verdorbene, das sich in Gier und Egoismus erschöpft, steht gleichberechtigt daneben. Dieses fast hermeneutisch zu nennende Drehbuch nimmt den Zuschauer ganz allmählich, sachte und nur Schritt für Schritt, mit in eine Welt, die so realistisch und dabei gleichzeitig so märchenhaft ist, wie man es in einem ernsten Film, der sich also nicht auf die Darstellung von übertriebenen oder grotesken Momenten konzentriert, selten findet. PAN’S LABYRINTH anyone?
Während des Spanischen Bürgerkriegs kommt der junge Carlos in ein abseits gelegenes Waisenhaus. Mit ein paar Jungs freundet er sich schnell an, ein anderer, Jaime, lehnt ihn rundweg ab und bringt ihn dazu, dumme Mutproben zu begehen. So muss er nachts aus der Küche Wasser holen. Was nicht nur verboten ist, sondern was ihn auch zum ersten Kontakt mit dem Knaben Santis bringt - Ein Geheimnis umgibt Santis, und dieses Geheimnis heißt Tod. Doch im Gegensatz zu vielen der Lebenden scheint Santis nichts Böses von Carlos zu wollen, was man aber von Jacinto nicht behaupten kann. Der nämlich, ein früher Zögling des Waisenhauses, der irgendwann als Erwachsener zurückkam, will an das Gold, das von den Republikanern hier versteckt wurde. Jacinto weiß wo der Safe ist, und er vögelt mit der ältlichen Direktorin, um an deren Schlüsselbund heranzukommen. Für das Gold geht Jacinto – Über Leichen?
Und was beim Lesen dann doch irgendwie verschroben klingt, wie eine Geschichte vielleicht eines Jean-Pierre Jeunet, mit leichtem Lächeln und angenehmen Grusel zu goutieren, das hält in der (filmischen) Wirklichkeit dann doch einiges an Momenten bereit, die nicht schön sind, die sogar schockieren können. Der Tod der Brigadisten. Die Explosion in der Küche. Das Schicksal von Jacintos Freundin Conchitas. Auf der anderen Seite dann die ganz vorsichtige Annäherung von Carlos und Jaime. Die Liebe, die der Arzt Dr. Casares für die Direktorin Carmen empfindet, und die ihn fast ersticken lässt und gleichzeitig doch so glücklich macht. Und dann wieder der Schrecken, dass Carmen mit Jacinto schläft um sich körperliche Befriedigung bei einem jungen Mann zu holen, der sie offensichtlich nur benutzt, anstatt wahre Liebe bei Dr. Casares zu erlangen.
Eine merkwürdige und andersweltliche Atmosphäre beherrscht diesen Film. Ein Waisenhaus im Nirgendwo, immer bedroht vom möglichen Einfall des Krieges, und mitten auf dem Hof steckt eine nicht detonierte Bombe, wie das Wahrzeichen einer cineastischen Obskurität. Aber anders als es seine Kollegen Jeunet oder Coen so gerne tun beherrschen diese Merkwürdigkeiten nicht den Film, sondern sie sind Staffage für eine richtige und tiefgehende Geschichte. Eine Geschichte die auch von Neil Gaiman ersonnen sein könnte, und die den Zuschauer, der sich darauf einlässt, mitten ins Herz treffen wird. THE DEVIL’S BACKBONE ist ein Märchen für Erwachsene, für Menschen mit Phantasie, und vor allem für diejenigen, die bereit sind, sich einer gut erzählten Geschichte mit Haut und Haaren auszuliefern. Gleich wie seltsam sie zuerst klingen mag.