Review

Als Vittorio De Sica "La ciociara" (Und dennoch leben sie) 1960 gemeinsam mit seinem favorisierten Drehbuchautoren Cesare Zavattini drehte, lag eine längere Schaffenspause als Regisseur hinter ihm. Die letzten Filme De Sicas und Zavattinis - "Il tetto" (1956) und der Episodenfilm "L'oro di Napoli" (Das Gold von Neapel, 1954) - entstanden noch in der Tradition des Neorealismus der italienischen Nachkriegszeit, den sie unter anderen mit "Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1948) und "Umberto D." (1952) entscheidend geprägt hatten.

Angesichts der stilistischen Veränderungen im Werk anderer Regisseure des Neorealismus wie Roberto Rossellini ("Viaggio in Italia", Liebe ist stärker, 1954) oder Filmen jüngerer Regisseure wie Michelangelo Antonioni ("Il grido", Der Schrei, 1957), die den filmischen Realismus in Italien den gesellschaftlichen Veränderungen anpassten, wirkte De Sicas Stil zunehmend veraltet in seiner Mischung aus Realität und Sentimentalität, die den harten Alltag menschlicher wirken lassen sollte. Diese inhaltliche Konsequenz hatte aber auch zur Folge, das De Sica als Regisseur bis heute mit der Stilrichtung des Neorealismus identifiziert wird, die spätestens seit "Riso amaro" (Bitterer Reis, 1949) von Giuseppe De Santis auch an den Kinokassen erfolgreich wurde. Nicht zuletzt, weil seit den ersten demokratischen Wahlen 1948, Filme mit offensiv kommunistischer Haltung nicht mehr gefördert wurden. Einer politischen Richtung, der sich De Sica - im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen - nicht zugehörig fühlte.

Das er von Carlo Ponti 1960 als Regisseur für "La ciociara" verpflichtet wurde, wie auch Cesare Zavattini, der Alberto Moravias Roman als Drehbuch adaptierte, war unter diesen Gesichtspunkten konsequent, denn Ponti verfolgte mit diesem Projekt eine klare Zielsetzung - die Anerkennung seiner Frau Sophia Loren als seriöse Darstellerin und nicht zuletzt ein Erfolg bei Kritikern und Filmpreisen. Eine Rechnung, die vollständig aufging. De Sica hatte schon 1953 bei einem ähnlichen Projekt mitgemacht, als er "Stazione termini" (Rom, Station Termini) mit Jennifer Jones, der Frau des amerikanischen Produzenten Selznick, drehte, diese aber so konsequent in ein gegenwärtiges realistisches Szenario einfügte, das es zum Fiasko kam - nur eine stark geschnittene Fassung wurde in den amerikanischen Kinos gezeigt.

Daraus hatten die Macher von "La ciociara" offensichtlich gelernt, denn trotz der Ausrichtung auf einen internationalen Markt und Sophia Lorens Erfolg in Hollywood (unter anderen „Das Hausboot“, 1958), blieb die Produktion in europäischer Hand. Zudem wählte man mit Moravias Roman einen Stoff, der während des zweiten Weltkriegs spielte, als Italien von der Absetzung Mussolinis im Juli 1943, der Besetzung durch deutsche Truppen und dem Vormarsch der Alliierten erschüttert wurde, und vermied damit eine zu große Nähe zur Gegenwart. Trotzdem vermittelte der in Schwarz/Weiß gedrehte Film, dank De Sicas bewährten Stils, die Nähe zum Neorealismus - an den zeitgenössischen Kritiken deutlich zu erkennen, die den Film damit in Zusammenhang brachten – obwohl das wichtigste Stilelement, die Kritik an den herrschenden Verhältnissen, in „La ciociara“ gar nicht vorhanden ist. Entscheidend ist dafür weniger die Verlegung der Handlung in die nahe Vergangenheit, als die fehlende Verknüpfung zur italienischen Gegenwart – der kritische Blick auf Mitläufer und Faschisten bleibt reduziert, während an Tod und Vergewaltigung nur die ausländischen Soldaten schuld sind.

Stattdessen wurde der Film allein auf Sophia Loren zugeschnitten, aus deren Blickwinkel die Story erzählt wird. Ursprünglich sollte die damals 25jährige die Rolle der jugendlichen Tochter übernehmen und Anna Magnani ihre Mutter spielen, aber diese weigerte sich, weshalb beide Rollen gegenüber Moravias Vorlage verjüngt wurden – die jetzt 13jährige Tochter Rosetta spielte die damalige Newcomerin Eleonora Brown, während Sophia Loren in der Rolle der Witwe Cesira als Mittdreißigerin durchgehen sollte. Es ist weniger der Altersunterschied, als die Tatsache, das Sophia Loren in jeder Szene – auch in Momenten der Verzweiflung - vital und schön bleibt, die deutlich werden lässt, das Magnanis Absage ein Verlust war. Schon in ihren Filmen der 40er Jahre, sah man Magnani die Lebenserfahrung und trotz allen Temperaments auch eine gewisse Resignation an, was Sophia Loren mit ihrer blühenden Jugend nicht vermitteln kann. Für Carlo Ponti als Produzenten ließ sich dieser Nachteil leicht verkraften, denn sein Film funktioniert konsequent als Starvehikel für seine Frau, die hier alle Register ziehen kann – von der temperamentvollen Südländerin, über die verantwortungsvolle Mutter bis zum verzweifelten Opfer.

Der deutsche Titel „Und dennoch leben sie“ ist frei erfunden, erfasst zwar ziemlich genau die Rolle der Loren, die sich von nichts unterkriegen lässt, könnte gleichzeitig aber nicht weiter entfernt sein von den Intentionen Alberto Moravias. Dieser hatte seinen Roman nach der Region benannt, in die er selbst von Rom aus geflohen war, als die deutschen Truppen dort einmarschierten, aber während das „dennoch leben sie“ einen inneren Widerstand gegen die ständigen Katastrophen suggeriert, beschreibt er auf dem Land eine Szenerie, die eher unberührt von den Ereignissen scheint. Wie schon in seinem ersten Roman „Gli indifferenti“ (Die Gleichgültigen, 1929) liegt sein Augenmerk auf der Lethargie der Menschen, deren Interessen hauptsächlich im Sex, Geld und der damit erzeugten Macht liegen. Wenn etwas „La ciociara“ von der Beliebigkeit eines kalkulierten Dramas unterscheidet, dann, das diese Intention noch zu spüren ist.

Damalige moralische Standards verlangten von der weiblichen Hauptfigur einen gewissen Widerstand, weshalb sowohl Giovanni (Raf Vallone) noch in Rom, wie auch später Michele (Jean-Paul Belmondo) auf dem Land erst übergriffig werden müssen, bevor sich Cesira sexuell auf sie einlässt. Kombiniert mit Sofia Lorens selbstbewusster Art, kaschiert der Film damit deren Promiskuität, lässt aber letztlich keinen Zweifel daran. Zwar haben die Landbewohner der Ciociara auch ihre Probleme mit der Essensbeschaffung, wie auch die Kampfhandlungen näher rücken, aber der Film schildert über einen sehr langen Zeitraum – zwischen den ersten Minuten mit dem Bombenangriff auf Rom und den dramatischen Ereignissen des letzten Drittels – ein ruhiges Leben, das viel Zeit für gemeinsame Mahlzeiten, Lesungen und politische Diskussionen, während man sich so gut wie möglich mit den Faschisten und den deutschen Besatzern arrangiert.

Signifikant für diese Szenerie ist die Figur des Michele, einem Intellektuellen, der nach seinem Studium wieder zu seinen Eltern aufs Land gekommen ist. Er ist der Einzige, der eine deutliche politische Haltung gegen das faschistische Regime einnimmt, den aber Niemand wirklich ernst nimmt. Jean-Paul Belmondo gelingt es den leicht linkischen, wenig tatkräftigen Mann überzeugend zu verkörpern, den erst die schöne, ältere Cesira aus seiner Lethargie heraus holt. Michele ist sympathisch, auch Rosetta verliebt sich heimlich in ihn, aber seine Haltung bleibt Theorie. Als ihn deutsche Soldaten zwingen, sie über einen Berg zu führen, versucht sein Vater vehement, für ihn einzustehen, aber Michele wehrt sich nicht und lässt sich passiv abführen.

Bis zu diesem Moment geschieht in „La ciociara“ nur wenig, scheinen die Kriegsdramen weit entfernt, während Cesira jederzeit einen souveränen Eindruck hinterlässt – sowohl im Umgang mit den Männern, als auch beim Geschäft, das die wohlhabende Frau erfolgreich betreibt, während sie selbst keine klare Stellung zu den politischen Ereignissen bezieht. Diese Situation steigert noch den Schock der brutalen Vergewaltigung, die völlig unvorbereitet auf die Mutter und ihre noch kindliche Tochter hereinbricht. Mit dieser extremen Symbolik wollte Moravia verdeutlichen, das es ein Trugschluss ist, sich heraushalten zu können. Und das die Mitläufer nicht weniger schuldig sind als die Täter, aber der Film kann diese kritische Intention, die auf die Gegenwart abzielte – sein Roman erschien 1957 – nicht transportieren.

Zu sehr steht die Dramatik der letzten Minuten im Vordergrund, das Bild der verzweifelten Mutter und ihrer apathischen Tochter, die von fremden, aus dem arabischen Raum stammenden Soldaten vergewaltigt wurden. Der Wutanfall Cesiras gegenüber amerikanischen Militärs, denen sie auf der Straße wahnsinnig vor Schmerz gegenüber tritt, steigert noch diesen Eindruck und lässt vergessen, das erst der von den Faschisten begonnene Krieg die Alliierten ins Land brachte. Letztlich verdichtet sich das Bild, beginnend mit dem Auftritt des singenden Florindo (Renato Salvatori), der die beiden Frauen wieder zurück ins Leben bringt, zu einem gemeinsamen Nenner – der Krieg und seine Auswirkungen sind schrecklich, aber das Leben geht weiter.

Für Carlo Ponti bedeutete diese generelle Botschaft, der sich jeder ehrlich Betroffene anschließen konnte, den Gewinn des „Golden Globe“ als bester ausländischer Film und viele weitere Preise, Sophia Loren wurde in Cannes als beste Darstellerin ausgezeichnet, gewann sogar den Oscar für ihre Hauptrolle und für Vittorio De Sica brach seine erfolgreichste Phase an. Er verfeinerte noch die Kombination aus allgemein verständlichem Drama und Lebensfreude, immer in Zusammenarbeit mit Sophia Loren und Cesare Zavattini, und gewann nur wenige Jahre später mit „Ieri, oggi, e domani“ (Gestern, heute und morgen, 1963) den Oscar für den besten ausländischen Film. Nur das von Seiten der Kritik, „La ciociara“ in die Nähe des Neorealismus gerückt wurde, war ein Missverständnis, denn diese Phase war für De Sica endgültig vorbei. (6/10)

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