Die Legende vom Ozeanpianisten
Giuseppe Tornatore bewies bereits 10 Jahre zuvor mit „Cinema Paradiso“ sein Talent anspruchsvolle, schöne wie auch traurige Geschichten zu erzählen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen, wenn er sich einer so außergewöhnlichen und interessanten Geschichte wie dieser widmet und dafür sogar noch den Charakterdarsteller Tim Roth als Hauptdarsteller gewinnen kann.
In „Die Legende vom Ozeanpianisten“ geht es um den nach seinem Geburtsjahr benannten Weisenjungen „1900“, der an Bord eines großen Kreuzfahrtschiffes gefunden und von einem Besatzungsmann aufgezogen wird. Ohne je einen Fuß an Land zu setzen entwickelt sich der Junge zu einem meisterhaften Pianisten. Doch nach mehreren Jahrzehnten soll das inzwischen herunter gekommene Schiff gesprengt werden...
Tornatore inszeniert die tragische Geschichte des einsamen Pianistengenies mit famoser Optik. Kamera, Sets und Ausleuchtung arbeiten perfekt zusammen und fangen fantastische Bilder ein. In einer Szene rutscht der Pianist auf seinem vom Boden losgelösten Piano nachts bei stürmischen Wellengang hin und her über einen riesigen Hallenboden und spielt dabei im immer wieder aufblitzendem Licht des draußen herrschenden Gewitters eine seiner meisterhaften Eigenkompositionen.
Die Pianoszenen selbst nehmen einen überraschend großen Teil des Films ein und sind absolut perfekt inszeniert. Wie Tim Roth seine Finger hier über die Tasten fliegen lässt dürfte selbst dem größten Musikgegner die Kinnlade runterklappen lassen. Besonders in einem Pianoduell zwischen 1900 und einem arroganten Kontrahenten steigert sich Roth beim Spielen in eine Art Rauschzustand – und zündet sich danach eine Zigarette an den überhitzten Pianosaiten an.
Der enorm talentierte Roth ist eine Idealbesetzung für den ungewöhnlichen Charakter und liefert im Vergleich mit seinen Schauspielkollegen eine One-Man-Show ab.
Doch so schön das alles klingen mag, so gut die Vorraussetzungen auch sind – letztendlich will der Funke dann doch nicht überspringen. Trotz der tragischen Geschichte geht einem das Schicksal von 1900 nicht wirklich nahe und dementsprechend kann man auch nicht wirklich mit ihm mitfühlen. Das liegt vor allem daran, dass Tornatore den Charakter zu sehr auf Distanz hält. Die vielen Pianopassagen sind zwar prächtig anzusehen, bringen für die Charakterentwicklung 1900’s aber letztlich herzlich wenig. So bleibt auch seine Entscheidung, nie ein Fuß an Land zu setzen trotz seiner Begründung nur wenig nachvollziehbar. Auch die eingefügte Liebesgeschichte wird – wie schon in Cinema Paradiso – viel zu sehr vernachlässigt. Sehr gern hätte ich mehr über den Charakter von 1900 erfahren – selbst wenn es auf Kosten einiger Pianopassagen gegangen wäre.
Zudem gestaltet sich auch die vertrackte Erzählweise als hinderlich, sich wirklich mit 1900 anzufreunden, denn parallel zu den als Rückblenden erzählten Passagen aus dem Leben 1900’s sieht man einen seiner Freunde in der Gegenwart, der sich auf die Suche nach seinem alten Freund macht und den Filmfluss dabei immer wieder störend unterbricht.
Übrig bleibt letztendlich ein optisch prächtig inszeniertes, aber nur halbgares Drama mit fantastischen Pianoeinlagen und einem tollen Hauptdarsteller – aber leider mit zu wenig Gewicht auf den Charakter 1900’s selbst.
Freunde ungewöhnlicher und anspruchsvoller Filmkunst dürfen aber trotzdem ruhig einen Blick riskieren. 7/10