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Wenn in einem Film eine Geschichte über ein Leben erzählt werden soll, dass außerhalb des kollektiven Bewusstseins liegt, stehen Regisseur und Autor vor der schwierigen Aufgabe, einen Aufhänger zu finden, der einerseits Interesse erzeugt, andererseits den dokumentarischen Charakter des Films nicht aushöhlt. Bei "Tuyas Hochzeit", der in Chinas Norden unter den letzten dort verbliebenen Nomaden spielte, lag der Focus auf der Hauptdarstellerin, in deren Figur sich der Konflikt aus Tradition und Moderne widerspiegelte. Trotzdem fand der Film nur wenige Zuschauer, obwohl er sogar bei der Berlinale als bester Film ausgezeichnet wurde.

"Die Stimme des Adlers" widmet sich einem ähnlichen Menschenschlag in der nördlich angrenzenden Region in der Mongolei. Auch hier sind die Bilder von der dauerhaften Kälte geprägt (obwohl es sich nicht um die Winterzeit handelt), leben Familien gemeinsam in zeltartigen Gebäuden und müssen erleben wie die moderne Technologie und die damit transportierten Wertvorstellungen ihr Leben verändert. Der Familienvater (Mardan Matei) ist einer der letzten Adler-Jäger, aber er findet unter seinen Söhnen keinen Nachfolger mehr. Khan (Asilbek Badelkhan), sein ältester Sohn geht in die Hauptstadt Ulan-Bator, um dort Arbeit zu suchen, und der 12jährige Bazarbai (Bazarbai Matei) hat keine Lust auf diese traditionelle Rolle, die auch ihn zwingen würde, sein Leben inmitten der kargen Steppenlandschaft bei dauerhaften Minusgraden zu verbringen.

Doch anders als "Tuyas Hochzeit" konzentriert sich "Die Stimme des Adlers" auf seinen jüngsten Protagonisten und entwickelt daraus einen Film besonders für Kinder. Als der Junge bei einem Treffen für Adler-Jäger frustriert wegläuft, um seinen Bruder in der Hauptstadt zu besuchen, beginnt dessen Abenteuer, bei dem er einigen Gefahren (Wölfe, Erfrierungstod, kriminelle Männer) ausgesetzt sein wird. Da sein Vater das ahnt, schickt er ihm seinen Adler hinterher, der schon seit 10 Jahren bei der Familie lebt, damit dieser ihn unterstützt. Daraus entsteht eine klassische Geschichte über die beginnende Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Tier, die vor allem durch den Adler faszinieren kann, der ähnlich wie man es in Tierfilmen von einem Hund gewohnt ist, mehrfach dem Jungen das Leben rettet.

Durch die Entscheidung dem Film einen kindgerechten Charakter zu geben, der die alltäglichen Probleme nicht zu sehr schürt und immer für eine Lösung sorgt, hinterlässt der Film für den Erwachsenen einen zwiespältigen Eindruck, denn die Macher des Films zeigen sehr deutlich die Probleme des Landes und die Auswirkungen auf seine Bewohner. Als Barzabai auf seinem Weg von einem LKW mitgenommen wird, lernt er das Mädchen Inaara (Serikbai Khulan) kennen, die für die Männer arbeitet. Während der etwas naive Barzabai noch glaubt, dass diese ihm helfen wollen, klärt Inaara ihn über deren wahre Intention auf und sie fliehen mit dem LKW. Inaara war von ihrem Vater an die Männer verkauft worden, aber der Film belässt es bei Andeutungen hinsichtlich der Auswirkungen.

Diesem Stil bleibt der Film über seine Laufzeit treu, indem er inmitten größter Missstände immer einen Lichtblick erkennen lässt. Als Barzabai von einem Zirkusdirektor gefangen gehalten wird, kümmert sich der nette Bärendompteur um ihn und als er feststellen muss, dass sein Bruder wie viele junge Männer vom Land in den schlecht gesicherten Minen arbeiten muß, kommt dieser bei einem Unfall noch glimpflich davon. Das hinterlässt manchmal einen märchenhaften Eindruck, aber letztlich macht der Film damit alles richtig - einerseits vermittelt er einen realen Eindruck des Lebens in dieser abgelegenen Region, andererseits kann er auch kindgerecht faszinieren und wird damit einem Leben gerechter, als wenn der Film sich nur auf die Probleme des Landes konzentriert hätte.

Am meisten gewinnt der Film aber durch seine Hauptpersonen - der Junge Barzabai, der am Ende begreift, dass auch das traditionelle Leben seine Qualitäten hat (ohne das der Film eindeutige Aussagen in dieser Richtung macht), das Mädchen Inaara, das Gefühle für ihn und damit wieder Vertrauen entwickelt, und nicht zuletzt der Adler, der einem richtig ans Herz wächst - ein Kinderfilm, der auch Erwachsene ansprechen kann (8/10).

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