Identitätskrisen sind ja ein beliebtes Thema im Film, da klingt es doch recht attraktiv, wenn eine französisch-italienische Co-Produktion sich damit beschäftigt, wie sich Sophie Marceau in Monica Bellucci verwandelt, zwei der zwar inzwischen angejahrten aber doch irgendwie immer noch attraktiven Damen unserer Kindheit.
Das war dann auch der zunächst ausschlaggebende Grund sich einen Film wie "Ne te retourne pas" überhaupt anzusehen, über den Plot kann man später noch nachdenken (vor allem wenn man Vorbehalte gegenüber gängigen französischen Dramen hat).
Tatsächlich aber entpuppt sich Marina de Vans Film als eine stille, ruhig erzählte Wundertüte psychischer Zerrüttungen, die den Zuschauer wie die Protagonistin zunehmend verwirrt, um ihr dann praktisch ohne sichtbare Übergänge, mit sehr dezent-unauffälliger Tricktechnik und unter Einsatz höchster Aufmerksamkeit den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Sophie Marceaus "Jeanne" ist eigentlich eine recht glückliche Frau, einen hübschen Mann, zwei Kinder, eine schöne Wohnung, doch ihr neuestes Buchprojekt, ein biographischer Roman über ihre eigene Kindheit, findet beim Verleger keinen besonderen Anklang - und noch weniger bei ihrer eigenen Mutter, vor allem weil Jeannes Kindheit bis zu ihrem achten Lebensjahr komplett im Dunkel des Vergessens liegt.
Da liegt dann auch später der Schlüssel für das nun folgende Rätsel, das den klassischen David Lynch ("Lost Highway") mit sich morphenden Realitäten ("Dark City", "Matrix") kreuzt, denn die Heimstatt verändert sich zunehmend. Dinge stehen anders als zuvor, doch auf alten Fotos und Videoaufnahmen ist nur die neue Lage zu sehen. Die Einrichtung ist morgens eine andere, der Stil ändert sich, schließlich scheinen sogar die Wege durch Paris einen anderen Verlauf zu nehmen.
Während Jeannes Psyche zum Unverständnis aller Beteiligten marode wird, verändern sich nun auch noch die Gesichter aller ihr nahestehenden Menschen, ohne daß deren Verhalten ihr gegenüber eine andere wird.
Und dann kommt der Tag, an dem Jeannes eigenes Gesicht zu mutieren beginnt, erst ein Auge, dann eine Gesichtshälfte...
Das hört sich angemessen horribel an, allerdings ist "Don't look back" nicht auf äußere Effekte hin entwickelt, so daß man sich relativ ausgiebig in die Figuren einarbeiten kann. Dazu wird das bekannte Bild so behutsam abgeändert, daß man als Zuschauer selbst Schwierigkeiten hat, abzuleiten, was man bis vor fünf Minuten im Film gesehen hat, insofern überträgt sich die Verunsicherung von der Filmfigur aufs Publikum.
Ein Paradecoup ist dann jedoch die Veränderungs Jeannes an sich, die für eine ganze Weile im Film mit zwei halben Gesichtern existiert, ohne daß das jemand bemerkt, zu ihrer eigenen Qual und Panik. Diese Szenen sind so besonders schrecklich und verstörend, weil sie so intim umgesetzt sind, folgerichtig und unausweichlich und niemals grobschlächtig auf einen Horroreffekt hin.
Die zweite Hälfte gehört dann der neuen "Jeanne" Belluccis, die sich natürlich, mit den alten Erinnerungen ausgestattet, auf den Weg zurück in die Vergangenheit macht, der via eines einzelnen Fotos nach Italien weist, wo Jeanne die bekannten Gesichter aus Frankreich wieder trifft, wenn auch in ganz anderen Identitäten. Allerdings ist die Metamorphose in eine andere Person damit noch lange nicht vorbei, denn mit jeder neuen Facette, die ans Licht kommt, verformt sich Jeannes Physis weiter...teilweise auch rückwärts in der Zeit.
Auch wenn es so scheint, ist "Don't Look Back" kein Thriller, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Zwar vermittelt er eine leise, eindringliche Spannung, doch reüssiert Marina de Van mehr und mehr auf der dramatischen Seite, da die Vorgänge eine zutiefst menschliche Erklärung haben. Bis diese aber endlich ans Licht kommen, fordern Skript und Regie dem Zuschauer ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit ab, da das Detektivspiel immer wieder durch die Inszenierung des bedrückenden Identitätskonflikts unterbrochen wird. Die subjektive Zwangslage des Individuums steht im Zentrum, weswegen man den Film aus reicher Unterhaltungssicht auch leicht für zäh oder langweilig halten könnte, außer man findet derlei tiefenpsychologische Rätselspiele reizvoll.
Dafür scheint die Auflösung jedoch ein bißchen befriedigender als in anderen Stories. Zwar liefert das Skript keinerlei ernstzunehmende Erklärung für des Rätsels Lösung und die Metamorphose, stellt die Vorgänge, einmal erklärt, jedoch in einen sehr reizvollen Zusammenhang. Mit Logik kann man dem Film so nicht unbedingt beikommen, jedoch ist es ausgesprochen interessant, einen Film, seinen Konflikt und das Drama so vollkommen aus subjektiver Protagonistensicht geschildert zu bekommen.
Insofern hilft gegen "Ne te retourne pas" nur eins: sich drauf einlassen und durch die einzelnen Schichten der Realität durcharbeiten. Anstrengend, aber lohnend. (7,5/10)