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Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs in einem kleinen norddeutschen Dorf: Der Dorfarzt verletzt sich bei einem Reitunfall schwer, der auf das Konto eines unbekannten Täters geht, der in Fußhöhe ein Drahtseil zwischen zwei Bäume gespannt hat. Und dies sollte nicht das letzte Ereignis sein, das den Frieden im protestantischen Dorf tief erschüttert. Infolge dessen steigt der gesellschaftliche Druck immer weiter, worunter vor allem die Kinder zu leiden haben, die extrem autoritär und streng erzogen werden.

Nach wie vor verarbeitet man in Deutschland seine Vergangenheit lang, breit und ausführlich, angefangen bei der Wiedervereinigung, die in den Medien nach wie vor allgegenwärtig ist und den deutschen Filmemachern für "Das Leben der Anderen" sogar den Auslands-Oscar einbrachte, über den RAF-Terror, der unter Anderem durch "Der Baader Meinhof Komplex" und "Mogadischu" zuletzt neu aufgerollt wurde, bis hin zum Nationalsozialismus, der die deutschen Medien, die Literatur und natürlich auch den Film über Jahrzehnte beschäftigte. Dabei wurden Hitlers Machtergreifung, der zweite Weltkrieg und der Holocaust bereits mehrfach verarbeitet, nicht jedoch die Verhältnisse, aus denen die Nazis stammten, die Erziehung und das Umfeld, die sie formten, die Menschen, die Menschen heranzogen, die wiederum für den Tod mehrer Millionen Juden verantwortlich waren. Den Erklärungsversuch unternimmt nun niemand geringeres als Michael Haneke, der unter Anderem durch "Funny Games" zu einem der bekanntesten deutschen Regisseure aufstieg.

Um das Heranwachsen der Nazi-Generation zu veranschaulichen (und allein die einleitenden Sätze lassen keinen anderen Schluss zu, als dass es Haneke um diese Thematik gegangen ist), reduziert er den gesamten Stoff auf die Geschehnisse in einem Dorf, die sich unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg abspielen. Dabei funktioniert die Geschichte jedoch nicht als universelle Erklärung des Nationalsozialismus, sondern lediglich bedingt als ernüchterndes, tristes Zeitportrait, das durchaus gelungen unterhält und zu Denken gibt, den eigenen Anspruch jedoch nicht zu 100% erfüllt, sofern überhaupt ein Film dazu imstande ist, dies zu leisten.

Die autoritäre Erziehung wird mit all ihrer Härte und ihren Auswirkungen auf die Kinder, die beim kleinsten Fehler direkt eine harte und aus der heutigen Sicht vollkommen unangemessene Strafe zu befürchten haben, dargestellt. Kinder, die masturbieren, werden für längere Zeit ans Bett gefesselt, Kinder, die zu spät nach Hause kommen, bekommen zur Erinnerung an Reinheit und Unschuld auf unbestimmte Zeit ein weißes Band ins Haar gebunden, Schläge, Tritte und andere Züchtigungen stehen an der Tagesordnung. Nicht wesentlich humaner ist das gesellschaftliche System im Ort, in dem fast alle Bewohner als Arbeitskräfte direkt oder indirekt vom Baron abhängig sind, der praktisch nach belieben ganze Familien durch Entlassungen und die Erhöhung des gesellschaftlichen Drucks zerstören kann. In der Ordnung des Dorfes ist die Angst, vor dem jeweils höher gestellten praktisch greifbar.

Die unerbittliche, inhumane und brutale Umsetzung der erzkonservativen und reaktionären gesellschaftlichen Konventionen der Zeit führt schließlich zur Eskalation, zur Rebellion, zur Trotzreaktion, zu Wut, die aus Angst resultiert und sich in den Gewalttaten (Spoiler: die von den Kindern ausgeübt werden) manifestiert. Nachvollziehbar sind die Reaktionen der Kinder auf die autoritären Erziehungsmethoden durchaus, glaubhaft sind sie zumindest teilweise, aber der Gedankensprung zu den künftigen SS-Offizieren und KZ-Wärtern, die sich mit Hitler und seinem Regime einer neuen Autorität fügen und pflichtbewusst ihre Aufgaben erfüllen, ist noch nicht allzu deutlich, genauso, wie die Abstrahierung der Thematik auf die Geschehnisse in dem kleinen Ort, wie erwähnt, nicht so glaubwürdig ist, wie sie es sein sollte. Außerdem sind der zeitliche Bezug zum Ersten Weltkrieg und der, in die Handlung eingebettete Krimi eher hinderlich, als dass sie den Plot und die Thematik in irgendeiner Form voranbringen.

Inszenatorisch setzt Haneke seinen Stoff versiert und konsequent um. Die enorm dunklen, tristen Schwarz-Weiß-Bilder lassen den Film noch bedrückender erscheinen und unterstützen so die enorm triste und dichte Atmosphäre, genauso, wie der seltene Einsatz von Filmmusik und das quälend langsame Erzähltempo, das den Film noch unerträglicher wirken lässt und das Leben im norddeutschen Dorf noch bedrückter, deprimierender, trauriger und auch eintöniger anmuten lässt. Die realistische Kulisse und die korrekt gewählte Ausstattung, runden das Zeitportrait dabei gelungen ab.

Darstellerisch ist "Das weiße Band" sicherlich über jeden Zweifel erhaben, so zeigt Christian Friedel als Lehrer und Erzähler der Geschichte eine sympathische Vorstellung in seinem humanen Charakter, in dem er fast wie ein Fremdkörper zwischen den autoritären, dogmatischen Bewohnern wirkt. Als der extremste Vertreter eben dieser autoritären Bewohner brilliert der eiskalte und beängstigend gute Burghart Klaußner als Pastor, während auch die übrigen Darsteller, die erfreulich guten Kinderdarsteller inbegriffen, auf ganzer Linie zu überzeugen wissen, wobei vor allem Leonard Proxauf in der Rolle des Pastorsohnes und die überaus charmante Leonie Benesch einen bleibenden, positiven Eindruck hinterlassen.

Fazit:
Auf die Geschehnisse, die sich hier unmittelbar vorm Ersten Weltkrieg in einem kleinen norddeutschen Dorf zutragen, lässt sich nur bedingt zurückführen, wie sich ein Volk, eine Gesellschaft entwickeln konnte, die einen selbsternannten Führer förmlich anbetet, Millionen von Juden vergast und grundlos Polen überfällt, aber als gescheitert lässt sich Hanekes Film auch nicht bezeichnen. Dafür ist er zu gekonnt inszeniert, zu intensiv gespielt, als Zeitportrait zu überzeugend und vor allem eines: Von Anfang bis Ende bedrückend, düster und trist. Besser hätten die autoritären und unmenschlichen Gesellschaftskonventionen und Erziehungsmethoden der Zeit kaum dargestellt werden können, auch wenn der Film mitunter etwas zu zäh verläuft.

74%

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