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Der dänische Regie-Provokateur Lars von Trier inszenierte mit "Antichrist" wohl den Skandalfilm des Jahres 2009. Dabei ist die Story relativ schlicht gehalten: Charlotte Gainsbourg spielt die Ehefrau von Willem Dafoe, die sich nach dem tragischen Tod des gemeinsamen Kindes selbst die Schuld daran gibt. Um ihr zu helfen, reist ihr Mann, von Beruf Psychiater, mit ihr in ihre gemeinsame Waldhütte. Hier jedoch verschlimmert sich die Situation zunehmend - Realität und Wahn vermischen sich und die Frau wird zu einer immer größeren Bedrohung für sich selbst und ihren Mann.

"Antichrist" ist einer der Filme, bei denen man erst einmal überlegen muss, wo man anfangen will. Also soll zunächst einmal die formale Gestaltung gelobt werden: Zwar treffen endlose, von Opern-Arien unterlegte Zeitlupen in Schwarz-Weiß, die ein Paar sehr explizit beim Koitus zeigen (und dabei eine Detailaufnahme auf die Geschlechtsorgane bieten, deren einziger Sinn wohl die Provokation ist) nicht unbedingt jeden Geschmack. Doch die formale Kunstfertigkeit, mit der von Trier hier arbeitet, ist unbestreitbar. Nicht nur verleiht die ausgeklügelte Unterteilung des Films in vier Akte plus Prolog und Epilog dem Werk einen sehr literarischen Charakter, auch und besonders die Aufnahmen im Wald sind immer wieder von beeindruckender Bildkraft. Triste Farben dominieren das Geschehen, selbst im grünsten Unterholz wirkt alles bedrückend, schwermütig, beängstigend. Hinzu kommen immer wieder surreale Bilder von enormer Intensität: Sei es ein Reh, das mit einer halb heraus hängenden Totgeburt umher läuft, oder das Wurzelgeflecht eines riesigen Baumes, unter dem plötzlich dutzende Hände und Körperteile hervorragen. Auch wenn von Trier es manchmal mit bedrohlicher Musik und seltsamen Zeitlupen übertreibt, gelingt ihm eine äußerst bedrückende Atmosphäre, die tief in ihren Bann ziehen kann.

Die erwähnte Übertreibung freilich ist auch nicht weit: Wenn ein sich selbst zerfleischender Fuchs "Chaos regiert" in die Kamera grunzt, wird es schon ein wenig lächerlich. Überhaupt wirken einige der symbolisch aufgeladenen Mystik-Szenen, besonders am Anfang, bevor das Paar in den Wald fährt, etwas zu gewollt und gekünstelt. Und inhaltlich nimmt der Film im Schlussteil eine sehr seltsame Attitüde an: Wenn der Mann herausfindet, dass sich seine Frau mit Hexerei befasst und ihr eigenes Kind gequält hat, indem sie ihm die Schuhe falsch herum angezogen hat, nimmt der Film plötzlich eine latent frauenfeindliche Haltung ein. Weibliche Sexualität wird als destruktiv und gefährlich inszeniert - wenn die Frau über ihren Mann herfällt oder im Wald masturbiert, ist das stets ein Indikator für eine neuerliche psychotische Attacke. In diesem Sinne bildet auch das abscheuliche Folter-Finale eine fragwürdige Auflösung: Der einzige Ausweg für die Frau aus ihrer geistigen Hölle besteht in genitaler Selbstverstümmelung (welche wiederum in Detailaufnahme präsentiert wird - für den Schluss dieses Films sind starke Mägen und Nerven empfehlenswert). Die Frau als Prinzip des Triebs, der Mann als Prinzip der Logik und Vernunft - eine sexistische, chauvinistische und längst überholte Sichtweise. Für einen künstlerisch anspruchsvollen und intellektuellen Filmemacher wie Lars von Trier (zumal wenn man frühere Werke wie "Dogville" bedenkt) sehr befremdlich.

Allerdings lässt sich der Film nicht so leicht auf einzelne eindeutige Aussagen festlegen. Die komplexe, manchmal etwas verschwurbelte Symbolik lässt viel Raum für Interpretationen und auch die Figuren glänzen mit einer gewissen Komplexität: So wandelt sich Dafoes Rolle vom arroganten Psychiater immer mehr zum hilflosen, einfachen Mann von der Straße. Für Cineasten, die hinterher angeregte Gespräche über den Film führen wollen, ist "Antichrist" also ein gefundenes Fressen, zumal er auch inszenatorisch allerlei Anspielungen und Zitate aufweist: Manche Wahnvorstellungs-Szenen erinnern an Ingmar Bergmans "Die Stunde des Wolfs" (ohne freilich je dessen albtraumhafte Intensität zu erreichen), anderes wiederum verweist auf alte Horrorfilme und der Zeitlupen-Prolog wirkt wie von Wagner persönlich inspiriert.

Alles in allem ist "Antichrist" ein formal vielschichtig und aufwendig umgesetztes, symbolisch aufgeladenes Vexierspiel um Schein und Sein, Wahn und Gesundheit, das in einigen Punkten sicher fragwürdig oder einfach misslungen wirkt, insgesamt aber dank komplexer Symbolik, zahlreicher Interpretationsmöglichkeiten und krassen Gewaltbildern sehr viel Stoff für Diskussionen bietet - und damit sein höchstes Ziel erreicht haben dürfte.

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