Ein trauerndes Paar zieht sich in ihre einsame Hütte "Eden" in den Wäldern zurück. Sie kämpft nach dem Tod des kleinen Sohnes mit Trauer und Schuldgefühlen, die in ihr eine Depression hervorrufen. Er ist Psychiater und will sie dort im Wald, vor dem sie sich so sehr fürchtet, therapieren. Doch er muss bald erkennen, dass sehr viel mehr hinter dem Verhalten seiner Frau steckt, und beide stürzen in der Abgeschiedenheit der Hütte in eine Spirale aus Sex und Gewalt.
Wohl selten gingen die Meinungen über einen Film in den letzten Jahren so weit auseinander, wie es bei "Antichrist" der Fall ist. Von langweiligem Schund bis hin zu einem genialen Meisterwerk ist so ziemlich alles vertreten, was man sich nur vorstellen kann. Und ganz ehrlich gesagt kann ich diese extrem unterschiedlichen Meinungen durchaus nachvollziehen, denn handelt es sich hier doch um ein Werk, das schwerlich mit normalen Maßstäben zu messen ist und das man in seiner Gesamtheit auch kaum erklären kann, da die erzählte Geschichte doch so viele verschiedene Sichtweisen bietet, die jeder Zuschauer anders deuten kann. Im Wesentlichen dreht sich alles um die Natur des Menschen, Schmerz, Trauer und die verschiedenen Arten, diese zu verarbeiten. Dabei provoziert der Film durch ständige Andeutungen und Sex-Szenen, die manch Einem eventuell vollkommen überflüssig erscheinen, jedoch sehr ästhetisch in Szene gesetzt wurden und hier als Ventil für angestaute Agressionen und Ängste dienen.
Ganz bewust hat Lars von Trier auf eine sehr ruhige und bedächtige Erzählweise gesetzt, die Vielen wahrscheinlich eher langweilig vorkommen mag, doch nur so war es möglich, das hier eine zu Beginn noch nicht erkennbare Intensität entsteht, die sich wie eine zweite Haut über den Betrachter legt und in so zunehmends in Beschlag nimmt. So bemerkt man erst mit der Zeit, wie einen das Geschehen fasziniert und man phasenweise selbst zu einem Teil des surreal anmutenden Szenarios wird. Man kann es sich irgenwie selbst nicht richtig erklären, weshalb dieser kammerspielartige Film eine so ganz eigenartige Faszination auf einen ausübt, von der man sich teilweise magisch angezogen fühlt. Sicherlich ist einer der Gründe dafür bei den beiden herausragenden Darstellern zu suchen, denn der vorhandene Kontrast zwischen den beiden könnte kaum größer sein. Ist da auf der einen Seite der schon fast stoisch ruhig erscheinende Willem Dafoe, der in seiner therapeutischen Art die Ängste und Verhaltensweisen seiner Frau analysieren will, erscheint andererseits Charlotte Gainsbourg, die von ihren Ängsten und dem extrem tiefsitzenden Schmerz nahezu besessen wirkt und mit der Zeit lediglich durch äusserst starke Agressionen ein Ventil findet, um sich von ihrer Last zu befreien. Diese Befreiung äussert sich dabei mit der Zeit auch in purer Gewalt, die sie aber nicht nur ihrem mann, sondern auch sich selbst antut. Die dabei gezeigten Szenen möchte ich nicht weiter beschreiben, aber es geht dabei ziemlich krass und derbe zur Sache.
Es sind insbesondere die darstellerischen Leistungen, die hier ganz besonders hervorstechen und dem Film ganz unweigerlich seine extrem hohe Intensität verleihen, die sich von Minute zu Minute immer mehr steigert, bis sie sich zum Ende hin in einem unglaublichen Showdown vollkommen entladen kann und auch eine stellenweise schockierende Wirkung auf den Zuschauer hinterlässt. Eine weitere große Stärke von "Antichrist" sind die vielen verschiedenen Möglichkeiten zur Deutung des Geschehens, die sich dem Zuschauer offenbaren. So kann man beispielsweise Anlehnungen an die Hexen-Thematik erkennen, es wird religiöse Symbolik eingestreut, oder aber der Satan höchstpersönlich wird mit ins Spiel gebracht. Allein schon diese thematischen Andeutungen verleihen dem Ganzen eine sehr surrealistische Note, die allerdings noch zusätzlich durch die visuelle Inszenierung der Geschichte äusserst stark unterstützt wird. Das äussert sich schon im Intro des Films, das sich in Zeitlupe und in Schwarz/Weiß präsentiert. Dort kann man das Ehepaar in Slow Motion beim intensiven Geschlechtsakt beobachten und gleichzeitig die Situation sehen, wie es zum Tod des kleinen Sohnes kommt, der sich aus seinem Gitterbett befreien kann und durch dicke Schneeflocken fasziniert auf einen Tisch klettert, um daraufhin aus dem offen stehenden Fenster in die Tiefe zu stürzen.
Allein schon diese Eröffnungs-Sequenz ist visuell so brillant in Szene gesetzt worden, das die Erwartungen an das folgende Szenario deutlich in die Höhe schnellen. Für mich persönlich wurden die Erwartungen auch vollkommen erfüllt, denn die ineinander verschachtelte Story, die sich einem hier offenbart, bietet so viel Stoff zum Nachdenken und lässt unheimlich viel Platz für eigene Interpretationen, so das einen nicht selten das Gefühl überkommt, das man seinen ganz eigenen Film kreieren kann und die vorliegende Story lediglich eine rahmanhandlung bietet, die man nach eigenem Gutdünken gestalten kann. Selten habe ich einen solchen Film gesehen, der ganz sicher sehr harter Tobak ist und sich vollkommen abseits des üblichen Mainstreams bewegt, aber dem Betrachter etliche Möglichkeiten bietet, sich sein eigenes Szenario auszumalen und so praktisch in seinem Kopf eine ganz andere Version von "Antichrist" entstehen zu lassen.
Fazit:
Mit "Antichrist" hat der Däne Lars von Trier einen extrem provozierenden beitrag abgeliefert, der die Meinungen extrem spaltet. Sicher nicht für das breite Mainstrem-Publikum geeignet, bietet der Film allerdings Kopf-Kino der allerbesten Art. Visuell beeindruckend wird eine Geschichte präsentiert, die manch Einem eher langatmig und sinnlos erscheinen mag, aber andererseits äusserst viele Möglichkeiten der Interpretation bietet, so das man in seinem eigenen Kopf einen ganz anderen Film entstehen lassen kann. Die Faszination des hier dargestellten Geschehens mag sich eventuell nicht Jedem erschließen, ist deswegen aber dennoch im Überfluss vorhanden und bereitet so ein aussergewöhnliches Film-Erlebnis der ganz besonderen Art, das man keinesfalls verpassen sollte.
9/10