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Es geht um Natur. Nicht das Grün des Waldes oder der Wiese, sondern der des Mannes und der Frau. Aber es geht auch um Hexenwahn, tiefe Depressionen und Kastrationsängste im Werk des Dänen Lars von Trier, der mit „Antichrist“ eine provokative Alternative zum klassischen Kopf-Kino präsentiert.

Und dies gelingt ihm bereits innerhalb des Prologs, als er (Willem Dafoe) mit ihr (Charlotte Gainsbourg) vögelt. Schwarzweiß, Zeitlupe und im Hintergrund läuft Händel.
Während man in einer minimalen Einstellung sieht, wie der Penis in die Vagina eindringt, klettert der Sohn des Paares aus dem Gitterbett und fällt, fasziniert von den hereinschneienden Schneeflocken, aus dem Fenster mit tödlichem Aufprall, - alles in Slow-Motion.
Nachfolgend zieht sich das Paar in ein Waldgebiet namens Eden zurück. Da er Therapeut ist, versucht er seine traumatisierte Frau ins Leben zurückzuholen, doch er scheitert zusehends an der Unberechenbarkeit….der Natur.

Sollte man den Streifen klassifizieren müssen, wäre es wohl am ehesten ein Psychodrama auf Therapie-Ebene, bis er sich völlig surrealer Abnormitäten, Metaphern und graphisch expliziter Darstellungen hingibt.
Das Gesamtpaket komplett zu erklären, ist nicht machbar, denn je nach Deutung (und da sind richtig viele möglich) verstrickt man sich in Widersprüche, - besser, man lässt Stimmungen und Bilder auf sich wirken und versucht nicht, jedes Detail in Einklang zu bringen.

Obgleich sich von Trier etwas dabei gedacht hat, eine Hypnose so zu visualisieren als befände man sich in einem Traum, einen Fuchs sprechen zu lassen und ein therapeutisches Rollenspiel genau dann beendet, wenn die Kernaussage just bestätigt wurde.
Wie das Paar die Trauer um den Sohn bewältigt, ist in vier Kapitel unterteilt, wobei die drei ersten auf psychologischer Basis sogar komplett glaubhaft ausfallen, zumal eine Pyramide der Angst immer konkretere Formen annimmt, die bis zuletzt leicht nachvollziehbar bleibt.
Dennoch ist es beileibe kein Genuss, den beiden namenlosen Protagonisten beim Umgang des Leidens und der Selbstaufgabe beizuwohnen, auch wenn kleine, absolut sehenswerte Inserts kurzfristig von der Tragik dieser wechselseitigen Beziehung ablenken.

Da kommen animalische Instinkte durch, Blut wird fließen und am Ende vermischt sich beides zu einem unumgänglichen Ausgang, an dessen finalen, wirklich großartig in Szene gesetzten Einstellungen auch ein historischer Hintergrund hineinzudeuten wäre.
Derweil weiß die Handkamera zu jeder Zeit die eigentlich distanzierten Charaktere näher zu bringen, zeigt schonungslose Details, bedient sich Elementen des neuzeitlichen toture porn und gibt sich zahlreichen Einfällen hin, die der Regisseur offenbar allesamt und ohne Wenn und Aber unterbringen wollte.

Die Intensität des Geschehens ist unausweichlich, nur merkt man zusehends, dass dem Regisseur schlicht zuviel durch den Kopf gegangen sein muss, wenn er seine beiden Hauptdarsteller dermaßen aufopfernd ablichtet und nur in wenigen Einstellungen Body Doubles einsetzt.
Keine Frage, ist die inszenatorische Präzision ein Hingucker für sich und die Darsteller sind es auf ihre jeweilige Art auch, doch am Ende überwiegt doch die Provokation, das Publikum um jeden Preis in seinen Bann zu ziehen und dabei die eine oder andere eingebrachte Metapher aus den Augen zu verlieren oder wahllos einzufügen.

„Antichrist“ ist von kullernden Eicheln auf der Waldhütte, Ameisen auf einem Küken und sagen wir mal, einem Klotz am Bein, ein markantes Werk mit vielen hochinteressanten Einstellungen, Symbolen und Kompositionen, die lange hängen bleiben.
Doch am Ende ist mir das zuviel Lars von Trier persönlich, was bei dessen gefühlten Extrem-Depressionen auf Dauer kein Genuss ist und nur für die eine Sichtung das Prädikat „sehenswert“ erhält.
7 von 10

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