„Es ist eine emotionale Immobilie!“
Der US-Thriller „Panic Room“ aus dem Jahre 2002 war US-Regisseur David Finchers Film Nr. 1 nach dem überragenden „Fight Club“ sowie sein Film Nr. 1 im neuen Jahrtausend. Die reich geschiedene Meg Altman (Jodie Foster, „Das Mädchen am Ende der Straße“) bezieht mit ihrer Diabetes-kranken Tochter (Kristen Stewart, „Twilight - Biss zum Morgengrauen“) die Luxuswohnung eines verstorbenen Millionärs. Diese verfügt über einen sog. Panikraum, der als einbruchssicher gilt, im Falle eines Falles nur von innen zu öffnen ist und ausreichend Nahrung für einen längeren Zeitraum bietet. Meg ahnt nicht, dass sie diesen Raum bereits in der ersten Nacht wird aufsuchen müssen, denn drei Einbrecher verschaffen sich Zugang zur Wohnung – und suchen ausgerechnet etwas, das sich direkt im Panikraum befinden soll…
Verglichen mit seinem extravaganten „Fight Club“ ist Finchers „Panic Room“ beinahe konventionelle Genrekost, die für manch Enttäuschung bei den Fans, aber auch für Aufatmen beim Mainstream gesorgt haben dürfte. Doch wäre Fincher nicht Fincher, wenn er nicht selbst aus einem Drehbuch von David Koepp („Jurassic Park“, „Mission: Impossible“, „Krieg der Welten“-Remake etc.) noch das gewisse Etwas herauskitzeln würde. „Panic Room“ greift den US-amerikanischen Trend auf, insbesondere nach den Ereignissen vom 11. September 2001 das subjektive Sicherheitsgefühl gerade auch der besser Betuchten zu erhöhen, indem man sich sündhaft teure Komfort-Bunker in die Behausungen bauen lässt. Die Frage nach Sinn und Unsinn derartiger Maßnahmen und der sozialen gesellschaftlichen und/oder politischen Hintergründe, die diese Schritte evtl. notwendig machen, umschiffen Koepp und Fincher dabei nahezu komplett; Meg Altman hat diesen Raum nicht gefordert, aber er ist nun einmal vorhanden, also nutzt sie ihn. Nach einem einmal mehr sehr eleganten, wenn auch (passend zum Film) unspektakuläreren Vorspann, der seine Schrift auf verschiedene Weise und in unterschiedlichen Perspektiven auf Hauswände projiziert, macht Fincher angesichts des Drehbuchs das einzig Richtige und setzt verstärkt auf Atmosphäre: Er erzeugt eine ungemütliche, verregnete, kühle Stimmung, die zum Einmümmeln in den hoffentlich sicheren eigenen vier Wänden einlädt und damit nicht nur mit der verbreiteten, instinktiven Angst des Publikums vor dem Einbruch Fremder in die eigene Intimsphäre spielt, sondern auch Empathie für die Opfer entwickelt, welche sich zurückgezogen in den Schutzraum heruntergebrochen auf die klassische Mutter-Tochter-Beschützerrollenverteilung wiederfinden und sich in einer trügerischen Sicherheit wähnen, die zwar zeitweise eine gewisse Nestwärme suggeriert, die jedoch von zweifelhaftem Bestand ist, da die installierten Monitore unablässig die Realität des Hauses und der sich in ihm befindenden Einbrecher zeigen und schließlich die massiven Eindringungsversuche der zu allem entschlossenen Kriminellen dokumentieren – bis der akute Ausbruch von Tochter Sarahs Medikamentenabhängigkeit den Schutzraum zur gefährlichen Todesfalle umdefiniert. Zudem wirft „Panic Room“ die Frage auf, wie sicher man letztlich überhaupt ist, wenn man sich ausschließlich verstecken kann, während die Bedrohung möglicherweise alle Zeit der Welt hat. Soweit gehen, zu interpretieren, „Panic Room“ würde Schutzmaßnahmen wie diesen per se ihre Wirksamkeit absprechen und zum Unglücksbringer umdeuten, würde ich aber nicht.
Fincher arbeitet mit einigen visuellen Schmankerln; so bereiten tolle, schnittlose Kamerafahrten den Einbruch vor, bekommt man 90°-Schwenks zu sehen und erweckt das Objektiv gar den Anschein, ins Schlüsselloch der Haustür einzudringen oder durch Zimmerdecken zu gleiten – kleine, feine Spezialeffekte, die das klaustrophobische Kammerspiel optisch ordentlich aufpeppen. Das Einbrecher-Trio wird individuell charakterisiert: Burnham (Forest Whitaker, „Body Snatchers“) mit seinem müden, traurigen Blick ist der Sympathieträger unter ihnen; er wurde engagiert, weil er in der Firma arbeitet, die diese Panikräume herstellt und deshalb bestens mit der Materie vertraut ist – eigentlich ein feiner Kerl, den die Aussicht auf eine gewisse finanzielle Sorglosigkeit zu diesem Schritt getrieben hat. Sein Partner Junior (Jared Leto, „Requiem for a Dream“) ist ein bisschen blöd im Kopf, clownesk und bauernschlau-verschlagen, eine Nervensäge, wie sie im Buche steht. Raoul (Dwight Yoakam, „Die Newton Boys“), der ohne Absprache mit Burnham von Junior hinzugezogen wurde, ist der Finsterste der Bande: eiskalt und böse, entpuppt sich zu allem Überfluss auch noch als beunruhigender, unberechenbarer Psychopath, der die Situation immer weiter verschlimmert. Ihre Dialoge untereinander sind nicht frei von Komik; glücklicherweise ließ Fincher es nicht zu, Koepps Hang fürs Alberne zu viel Platz einzuräumen und wahrt einen gewissen Abstand zur Grenze des Unerträglichen. Allen drei gemein ist, dass sie nicht wussten, dass das Haus bereits wieder bewohnt ist und eigentlich davon ausgingen, eine leerstehende Immobilie vorzufinden, was natürlich nicht einer gewissen Tragik entbehrt.
Einer der größten Trümpfe Finchers ist es indes, seinen leicht nachvollziehbaren, niemanden überfordernden Thriller meisterhaft hochgradig spannend zu inszenieren, sich eine ausreichende Unvorhersehbarkeit zu bewahren und Schlüsselszenen auf den Punkt zu gestalten, wie beispielsweise die nervenzerreißende Zeitlupensequenz, als Meg Altman kurz ihren Schutzraum verlässt. Eine kurz vorm Koma stehende Tochter, die dringend ihr Medikament braucht und ein übel zugerichteter Ex-Mann (Patrick Bauchau, „Phenomena“), der zur Hilfe eilte, betonen den Ernst der Lage und lassen keinen Zweifel an der Gefährlichkeit der Situation. Über Meg Altman erfährt man leider nicht allzu viel und muss hinnehmen, dass sie über sich hinauswächst und über manch technisches Geschick und physikalische Kenntnis verfügt, die ich nicht unbedingt zur Allgemeinbildung zählen würde. Nach einem dramatischen, actionreichen Finale fällt das Ende dann auch etwas unbefriedigend aus, tritt dabei jedoch niemandem zu Nahe und besiegelt damit das Schicksal von „Panic Room“ als bis zum Zeitpunkt seiner Premiere Finchers bisher konventionellstem, irgendwie gefälligstem Film, der dank souveräner, hochklassiger Regie und verdienter Schauspieler dennoch deutlich aus jeglichem Einheitsbrei hervorsticht und vor allem eines wurde: verdammt unterhaltsam für fast die ganze Familie, kleine Kinder besser ausgenommen. Da gebe ich 7,5 von 10 Sid-Vicious-T-Shirts.