Review

Was hilft am besten gegen traumabedingte Psychosen? Na klar: Satansmessen!


Sergio Martinos „Tutti i colori del bulo" von 1972 zählt zu seinen insgesamt fünf Gialli, die er von 1971 bis 1973 drehte und ist nun mein vierter davon. Ich hatte daher gedacht, Martinos Bandbreite im Genre dadurch bereits zu kennen und freute mich auf einen weiteren seiner Filme, da der Regisseur erfreulich abwechslungsreich die bekannten Elemente verquickte und jeder seiner Gialli trotz der relativ eng gesteckten Grenzen mit einer gewissen Eigenart überzeugen konnte. Und dann wirft der Regisseur mit „Die Farben der Nacht" die bekannten Muster vollkommen unerwartet über den Haufen. Aber warum auch nicht? 


Die Ausgangslage baut wieder einmal auf einem vergangenen Ereignis auf und führt Edwige Fenech als traumatisierte Jane ein, die offenbar das gemeinsame Kind mit ihrem Freund Richard (George Hilton) bei einem Autounfall verloren hat. Dieses Ereignis führt zu waghalsigen Traumequenzen, mit denen der Film auch beginnt und das Surreale mit speziellen Splitlinsen, Weitwinkeln und waghalsigen Kamerabewegungen und Zooms und doch ziemlich schrägen Figuren sehr expressionistisch zum Ausdruck bringt. Das Ganze ist dabei so überzogen, dass es schon beinahe eine gewisse Komik in sich birgt und an groteske Überzeichnungen von Monty Python erinnert, bzw. ließ sich Python eventuell von diesem Film beeinflussen. 

Der Tonfall des Absonderlichen ist also schon bereits von Beginn an gesetzt und Jane kann bald nicht mehr zwischen Einbildung und Realität unterscheiden, wenn sie sich permanent von einem unheimlichen Unbekannten (Ivan Rassimov) verfolgt sieht. Ihr Umfeld reagiert sehr verhalten auf die in ihrer Trauer einsame Frau, die von ihrem Lebensgefährtin lediglich mit Tabletten abgespeist wird. Allein ihre Schwester scheint sich um sie ernsthaft zu kümmern.
Als Jane eine vermeintliche Nachbarin kennenlernt und in ihrer Sehnsucht Kontakt zu dieser sucht, lädt diese Jane kurzerhand auf eine schwarze Messe ein und von da an geraten die Dinge mehr und mehr außer Kontrolle.

Martinos Spiel um die Grenzen zwischen filmischer Einbildung und filmischer Wirklichkeit beschreitet dabei inhaltlich gänzlich andere Wege als seine bisherigen Gialli, die zwar im Fall von „Der Killer von Wien" bereits kurz mit mystischen Elementen spielten, aber immer der realen Welt verhaftet waren und ihren Horror auch eben darüber generierten. Hier haut Martino nun auf die Psycho-Pauke und verabschiedet sich vom üblichen Schema Killer-mit-schwarzen-Handschuhen-tötet-junge-nackte-Frauen, weswegen ich auch „Die Farben der Nacht" eher als Psychothriller denn als Giallo bezeichnen würde, da ihn dessen Genrekonventionen eigentlich gar nicht interessieren und die Angst oder beklemmende Atmosphäre auf einer gänzlich anderen Ebene entsteht, die wesentlich mehr an Polansikis Paranoia-Glanzstück „Rosemary's Baby" erinnert als an Filme wie Bavas „Blutige Seide" oder auch Martinos eigenen „Der Schwanz des Skorpions". Dies liegt besonders an dem okkulten Einschlag, der die zweite Hälfte des Films dann prägt und den Film mehr in Richtung Horror entwickelt, wenngleich es eine, soviel sei verraten, sehr irdische Lösung des Ganzen gibt.

Schauspielerisch gibt es dabei überdurchschnittliche Leistungen zu bewundern und neben der guten Darstellung George Rigauds als Psychologe und einer soliden Darstellung des gesamten Casts fällt besonder diesmal Edwige Fenech auf, die hier als verfolgte und gehetzte Frau beachtenswert ihrer Angst und Verzweiflung Ausdruck verleiht, so dass man wirklich mit ihr mitleidet. Nun könnte man sagen, außer Jammern und Weinen muss Fenech hier eigentlich kaum etwas tun, aber auch das muss überzeugend getan werden, denn ansonsten würde der ganze Film schlicht nicht funktionieren und überzeugend spielt sie hier allemal. Es ist schon interessant, was eine gute Regie ausmacht, denn unter Martino hat Fenech zwar in jedem Film obligatorische Nacktszenen, aber zumindest wird sie auch als Schauspielerin ernstgenommen und kann dann auch mehr zeigen als ihre üppigen Rundungen.

Die Kameraarbeit von Giancarlo Ferrando muss dabei durchgehend gelobt werden und bietet einfach fantastische Bilder, die technisch die jeweilige Situation immer auf den Punkt einfangen. Dabei wird neben den bereits genannten Spielereien effektiv mit Bildausschnittsgrößen und Bewegungen gespielt. Eine wackelige Handkamera kommt immer im richtigen Moment zum Einsatz und das Bild wird dann statisch, wenn es eben erforderlich ist und so wird das Spiel mit den Realitätsebenen gekonnt in Szene gesetzt. Dabei wird eben nicht mit der Kamera „gemalt", wie es in Argentos Gialli gerne der Fall ist, sondern die Dynamik der Kamera verleiht dem Film eine permanente Unruhe, die das Innenleben seiner Hauptfigur passend zum Ausdruck bringt. 

Unterstützt wird dies durch den Soundtrack von Bruno Nicolai, der hier extrem vielfältig zu Werke geht und die unterschiedlichen Facetten des Films sehr passend hervorhebt. Neben einem eher unspektakulären Hauptthema, das irgendwie an Bert Kaempferts „Strangers In The Night" erinnert, gelingen ihm in den unterschiedlichen Sequenzen immer passende Kompositionen, die jeweils die Mystik, Action oder den Horror im Zusammenspiel mit den Bildern spürbar werden lassen. Besonders die Landhaus-Sequenz empfand ich als gelungen und perfekt aufeinander abgestimmt.


Fazit

„Die Farben der Nacht" zeigt einmal mehr Sergio Martinos kundige Hand, die Bild und Ton gekonnt zusammengehen lässt und so einen sehr bemerkenswerten Film entstehen lässt, der durchaus Gefahr hätte laufen können, lächerlich zu wirken. Aber Martinos verworrenes Spiel mit Schein und Wirklichkeit entwickelt sich zu einem überdreht inszenierten Alptraum, der sich sowohl künstlerisch als auch inhaltlich vom Giallo abhebt und sich am ehesten als Psycho-Horror beschreiben ließe. Da tut dann die etwas plakative Auflösung sämtlicher Rätsel fast schon gut, wenn man über den gesamten Film dem Changieren zwischen Einbildung und Realität, zwischen Paranoia und realer Bedrohung ausgesetzt war. 
Das was hier vor und hinter der Kamera geboten wird, ist wirklich ein eindrucksvoller Beweis der Qualität italienischen Kinos zu seiner Blütezeit. Wie Martino dann später so einen Mist wie „Der Fluss der Mörderkrokodile" drehen konnte, scheint nach Ansicht dieses Films extrem schwer zu beantworten, aber letztlich scheint der Regisseur Filme als Broterwerb zu machen und sich nicht als Künstler zu begreifen oder übermäßig ernstzunehmen, was dann wohl auch zu solch befreit gestalteten Arbeiten wie eben „Die Farben der Nacht" führte, die sich eben etwas mehr trauten, da der Schuss eben auch nach hinten hätte losgehen können. Das ist er hier aber definitv nicht.    

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