Viele US-Serien der Neuzeit experimentierten ja dergestalt, dass sie zuvor auf den Film beschränkte Konzepte, etwa den Echtzeitfilm („24“) oder den Ausbruchsfilm („Prison Break“), in serielle Form gossen. 2009 gab es dann den Slasher in Serie: „Harper’s Island“.
Eine Hochzeitsgesellschaft macht sich auf zur titelgebenden Insel, wo sich Henry Dunn (Christopher Gorham) und Trish Wellington (Katie Cassidy) das Ja-Wort geben wollen. Während man auf dem Boot guter Laune ist und der Zuschauer das Inventar aus Familie, deren Angehörigen und Freunden kennenlernen darf, zappelt ein nichtvorstellig gewordener Cousin bereits gefesselt vor der Schiffschraube und wird von selbiger zerlegt, als das Boot startet. Das sich rot färbende Wasser bemerkt keine der Figuren, aber damit wäre schon einmal der Slasher-typische Auftaktkill abgehakt, nachdem die erste Folge der Serie erst wenige Minuten alt ist.
In klassischer Genretradition gibt es hier nicht nur ein feierliches Event, die Hochzeit plus vorherige Veranstaltungen, nein, eine dunkle Vergangenheit hat die Insel auch noch, denn dereinst schlachtete Serienmörder John Wakefield hier sechs Menschen ab, darunter auch die Mutter von Abby Mills (Elaine Cassidy), ihres Zeichens beste Freundin des Bräutigams. Während sie der Insel entfloh, blieb ihr Vater, der Sheriff Charlie (Jim Beaver) dort, ebenso ihre Jugendliebe Jimmy Mance (C.J. Thomason), was bald zu persönlichem Knatsch führt.
Während sich alle auf der Insel einleben und die Feier vorbereiten, hat der Killer, der bereits den Cousin auf dem Gewissen hat, gerade erst angefangen. Nach und nach beginnt er ein Mitglied der Gesellschaft nach dem anderen abzuschlachten, möglichst unbemerkt vom Rest der Truppe…
Eigentlich ist die Idee so einfach wie genial: Pro Folge stirbt mindestens eine Person, nach klassischer Slashermanier darf ob der Identität des Killers gerätselt werden, nur dass man angesichts der deutlich längeren Laufzeit wesentlich mehr Hintergrundgeschichte in die Serie bekommt als es in einem normalen Slasher möglich wäre. So mag sich der Pool der Charaktere bei verschiedensten Klischees bedienen, von gestrengen Schwiegervätern in spe über dauerbesoffene Jungs bis hin lebenslustigen Partymädels, kann diese angesichts des Rahmens doch mit erfreulich viel Hintergrund ausstatten – sofern sie natürlich die ersten Episoden überleben. Gleichzeitig spielt „Harper’s Island“ mit den Sympathien, etwa wenn sich eine anfangs leicht arrogante Blondine später als doch recht sympathischer Mensch herausstellt oder der dauergeile Stecher später doch noch seinen Gemeinschaftssinn entdeckt.
Wär natürlich auch schön, wenn „Harper’s Island“ etwas pfleglicher mit dem Figureninventar umginge, denn am Ende sind dann doch auch quasi nur die übrig, die auch in jedem 08/15-Slasher übrig wären. *SPOILER*Die von Anfang an als Final Girl feststehende Abby, ihr potentieller Boyfriend, der Killer und das Kind plus Mutter, aber auch nur deshalb, weil Kinder umbringen oder zu Vollwaisen machen ja bekanntlich pfui bäh in der amerikanischen Medienwelt ist. Der Rest, egal wie sympathisch man ihn fand, egal wie viel eher man ihm die Daumen gedrückt hat als den Hauptfiguren, der beguckt sich die Radieschen von unten. *SPOILER ENDE*
Tatsächlich fühlt sich „Harper’s Island“ auch wie ein 08/15-Slasher an, nur dass dessen Stärken und Schwächen durch das Serienformat potenziert werden, wobei sie sich schlussendlich dann doch die Waage halten. Auf der Habenseite kann die Serie den spannenden Mittelteil verbuchen, in dem das Tempo angezogen wird. Es hat bereits einige Figuren erwischt, der Rest vom Fest kriegt spitz, dass etwas nicht stimmt, nachdem der Killer zuvor das Verschwinden des einen oder der anderen gut kaschieren konnte. Die hohe Opferzahl sorgt natürlich für eine große Menge an Kills, die zwar nie besonders deftig ausfallen, aber oft überraschend spannend in Szene gesetzt werden: Oft werden gleich mehrere Figuren parallel gezeigt (bevorzugt am Folgenende, denn dort gibt es immer einen Todesfall, gelegentlich aber auch mehrere pro Episode), damit man verunsichert wird, wen es denn nun erwischt. Und dabei gehen auch nicht immer die drauf, von denen man es erwartet, einige eher marginale Figuren halten lange durch, zentrale Charaktere erwischt es dagegen früher. Auch die Erkundung der Hintergrundgeschichte der Insel sorgt für stimmige Passagen, neue Entdeckungen treiben nicht nur den Plot voran, sondern beeinflussen auch die Beziehungen der Figuren, die sich verdächtigen, gemeinsam gegen vermeintliche Täter vorgehen oder bisher Unbekanntes über Freunde und Familienmitglieder erfahren.
Leider kann nur der Mittelteil diese Stärken vollends ausspielen. Von den schwächeren Parts der Serie ist die etwas langgezogene Exposition noch am ehesten zu verkraften. Es ist klar, dass der Killer nicht zu früh bemerkt werden darf und man hier nur kleine Informationsbrocken über die Morde oder die Geschichte der Insel erhält, stattdessen Alltagsschilderungen und ablenkende Plänkeleien das Geschehen dominieren. Jedoch geht das teilweise dann etwas in den Soap-Opera-Bereich, etwa wenn der Ex-Freund der Braut überraschend das Geschehen betritt und familiäre Eifersüchteleien die Rivalität zwischen ihm und dem Bräutigam noch einmal befeuern. Doch sobald die Slasherstory in den Vordergrund rückt, ist dies gar nicht mehr so störend, zumal „Harper’s Island“ zumindest in der (Original-)Betitelung der Folgen nicht unironisch ist, die comicartigen Mordgeräuschen nachempfunden sind („Bang“, „Splash“, „Thwack“).
Schwerer wiegen die Mängel, wenn „Harper’s Island“ dann in die Vollen gehen will. Die Plottwists gegen Ende funktionieren mal mehr, mal weniger gut, die Killermotivation ist nicht originell, aber geht in Ordnung und auch sonst wäre das, was die letzten vier Folgen bieten, alles gute Slasher-Standardware, wenn die besagten Episoden teilweise nicht so viele Böcke in Sachen Logiklücken und Unglaubwürdigkeiten schießen würden. Das sicherlich größte Ärgernis in der Hinsicht ist die Szene, in der sich mehrere Personen mit Schrotflinten in einem Gebäude verschanzen, wissen, dass der Killer draußen lauert, dieser aber die Hütte stürmen und mit einer Klingenwaffe für ein Blutbad sorgen kann, ohne dass die Anwesenden ihn einfach über den Haufen feuern, weil sie sich lieber übertölpeln lassen oder lieber fliehen anstatt den Mörder abzuknallen.
Nicht ganz so durchwachsen, aber auch nicht preisverdächtig sind die Schauspielleistungen. Hauptdarstellerin Elaine Cassidy als patente Frau mit dunkler Vergangenheit schlägt sich ziemlich gut, während der Rest der jüngeren Darsteller nicht über routiniertes TV-Niveau kommt. Einzig und allein die älteren Herren, die in den Fernsehformaten jüngeren Zeit gut beschäftigt sind, können schauspielerisch etwas herausragen, namentlich Jim Beaver („Supernatural“), Richard Burgi („Desperate Housewives“) und Harry Hamlin („Veronica Mars“).
Aufgrund der etwas soapigen Exposition und einiger haarsträubenden Blödheiten in den Finalfolgen kommt „Harper’s Island“ leider nichts übers Mittelmaß hinaus, denn ein durchschnittlicher Slasher im Serienformat bleibt immer noch ein durchschnittlicher Slasher. Das ist gleichzeitig enttäuschend, denn gerade der famose Mittelteil zeigt ja auf, was hier mit etwas mehr Drehbuchsorgfalt, vor allem im Finale, drin gewesen wäre – da hätte man sich an den nicht immer überragenden Darstellerleistungen gar nicht gestört.