„Wenn die Leute einem zuhören sollen, reicht es nicht, ihnen einfach auf die Schulter zu tippen. Man muss sie mit einem Vorschlaghammer treffen. Erst dann können Sie sich ihrer Aufmerksamkeit gewiss sein.“
Nach seinem Regie-Debüt „Alien³“ war der Psycho-Thriller „Sieben“ aus dem Jahre 1995 gefühlt US-Regisseur David Finchers eigentliches Debüt, da er mit ihm an kein Franchise wie noch bei der „Alien“-Fortsetzung gebunden war. Das Drehbuch stammt aus der Feder Andrew Kevin Walkers („8 mm“).
In einer US-amerikanischen Großstadt treibt ein Serienmörder (Kevin Spacey, „Die Jury“) sein Unwesen, der seine Opfer anhand der „sieben Todsünden“ aus der katholischen Theologie aussucht und seine Morde thematisch passend inszeniert. Ausgerechnet in seiner letzten Arbeitswoche bekommt es der Kurz vor der Pensionierung stehende Detective Lieutenant Somerset (Morgan Freeman, „Die Verurteilten“) nicht nur mit diesem Fall zu tun, sondern auch mit dem Nachwuchs-Detective Mills (Brad Pitt, „Die Todesparty 2“), der charakterlich das genaue Gegenteil von Somerset zu sein scheint…
Mit „Sieben“ setzte Fincher eine überdeutliche Duftmarke in die Thriller-Landschaft, worauf bereits der extrem durchästhetisierte Vorspann hinweist. Fincher hat ein nahezu perfektes Gespür für düstere Bilder und inszeniert für seinen Film eine nicht namentlich genannte Großstadt (die laut Walker von New York inspiriert wurde, gedreht wurde jedoch in Los Angeles) als urbanen Alptraum, in dem es permanent regnet und sich die Menschen gegenseitig fremd sind, sie in der Anonymität vor sich hinvegetieren – oder böse Pläne aushecken. Nahezu jede Einstellung scheint durchkomponiert, ohne damit aufdringlich oder verkünstelt zu wirken. In seiner inhaltlich unheimlich fiesen Geschichte hat beinahe jeder einzelne Dialog Gewicht und wird wenig dem Zufall überlassen. Fincher gelingt es, erzählerisch geschickt die Konzentration des Zuschauers zu binden und ihm die nicht ganz unkomplexe Handlung auf hoch spannende Weise nahezubringen. Bizarre, eindringliche Bilder der Tatorte, beginnend mit unappetitlichen Aufnahmen eines extrem Adipösen, fallen äußerst erinnerungswürdig aus und wie Fincher diese schrecklichen bis verstörenden Impressionen (erstklassige Make-up-Arbeiten!) präsentiert, ist die Definition von wohldosiert. Die eigentlichen Morde bekommt man dabei nicht zu Gesicht; es sind die Resultate mit ihren drapierten Leichen und die polizeilichen bzw. gerichtsmedizinischen Ermittlungsergebnisse, die eine sehr plastische Vorstellung davon liefern, was genau geschehen sein muss – psychologischer Horror vom Feinsten. Und in Form einen krassen Schockmoments, als ein vermeintliches Mordopfer sich als doch noch lebendig herausstellt, setzt man noch einen drauf. Zu jedem entdeckten Mord ertönt eine andere Hintergrundmusik, unterschiedliche Stile finden Verwendung, doch allen gemein ist die Ohnmacht der Polizei, die sich als Marionetten im Spiel des Mörders entpuppen, der ihnen stets einen oder gleich mehrere Schritte voraus ist und sie an der Nase herumführt. Er gibt sich das Allerweltspseudonym „John Doe“, das für eine nicht identifizierte Person steht, und wird bewusst kaum charakterisiert. Bis zum Schluss könnte er quasi jeder sein. Dadurch unterscheidet sich „Sieben“ von anderen Thrillern um psychopathologische Killer, erinnert jedoch hier und da ein wenig an „Das Schweigen der Lämmer“. Vielmehr dürfte „Sieben“ jedoch Inspiration für andere Filmemacher gewesen sein. Neben Thriller-Kost fallen mir spontan die „Saw“-Fortsetzungen ein, in denen sich ebenfalls jemand zur moralischen Instanz erhebt und „sündhaftes“ Leben bestraft.
Zurück zum Film: Seitens der polizeilichen Ermittler konstruiert man einen interessanten Kontrast zwischen dem aufstrebenden, machohaften Jüngling mit bezaubernder Ehefrau (Gwyneth Paltrow, „Hook“) und dem alleinstehenden, schwermütigen, alternden, aber hoch professionell arbeitenden Cop, die an ihre Grenzen stoßen, ohne ihre Zusammenarbeit jedoch vermutlich völlig auf der Stelle treten würden. Doch aller charakterlichen Entwicklung beider zum Trotz bleibt das Verhältnis des Zuschauers zu ihnen distanziert, ist eine wirklich starke emotionale Bindung zu niemanden möglich. Sympathieträger ja, Identifikationsfiguren eher nein, denn dafür müsste man sich entscheiden zwischen hochmütigem Eifer und betrübter Ernüchterung – während der Film indes alles dafür tut, letztere nachvollziehbar zu machen. Das perfekt konzipierte, unvorhersehbare Finale dreht die Spannungsschraube fast bis zur Materialermüdung, untermauert die Überlegenheit Does und arbeitet die zutiefst verständlichen, weil menschlich-instinktiven Schwächen vor allem Mills' heraus. Gleichzeitig verdeutlicht es die perfide Logik des Terrors, die das Verhalten von Menschen in Extremsituationen eiskalt berechnend einkalkuliert. Inszenatorisch beweist Fincher einmal mehr sein großes Talent, indem er den Zuschauer fast Glauben macht, selbst in den berüchtigten Karton hineingeschaut zu haben.
„Sieben“ ist hochkarätig besetzt mit Schauspielern, die ihre Rollen studieren und maßgeschneidert vor laufender Kamera nachleben; auch Brad Pitt, den manch einer eventuell zunächst für überfordert gehalten haben könnte, liefert letztlich eine einwandfreie Leistung. Finchers Stil bleibt trotz von der Stadt ins Wüstenumland wechselnden Drehorten konsequent bitter-schaurig und ungemütlich und wurde nicht zuletzt dadurch zu einem Meilenstein des Thriller-Genres, innerhalb dessen er sich jedoch strenggenommen ausschließlich bewegt, an dessen Grenzen er kratzt, provoziert und überrascht, sie jedoch nicht überschreitet, u.a. indem er die oben beschriebene Distanz wahrt. Das mulmige Gefühl, was sich so alles hinter Großstadtwohnungstüren abspielen könnte, nimmt der Zuschauer jedoch zweifelsohne mit und in Kombination mit manch bösem Bild dieses Films vielleicht sogar ein Leben lang.