Review

Die Bilder gleichen sich, die Empfindungen allerdings nicht mehr, was bei Merantau beileibe kein negatives Urteil über die Qualität ergeben, aber viel über die Relevanz aussagen soll. Fast zehn Jahre nach Ong-bak, dem Durchbruch des vorher zwar viel beschäftigten, aber außerhalb Thailands komplett unbekannten Tony Jaa und dessen bis Heute erfolgreicher Vermarktung im westlichen Bereich steht der derselbe Umriss aus dem Nachbarland Indonesien,  in gleicher Ideologie mit nachzitternden Rhythmus an. Viel verändert hat sich in der Zeit, ist die damalige Leidenschaft des wohlig Erschauten und das Suchen und Treiben nach der nächsten und wohl nach Tom Yum Goong nicht mehr möglichen Steigerung weitgehend verblasst, und hat sich bis auf vereinzelte Ausnahmen wie Vietnams The Rebel [ 2007 ] eher der seelen- oder gar hilflose Durchschnitt manifestiert.

Auch der von November 2008 bis März folgenden Jahres gedrehte Merantau nimmt sich nicht als Gewaltiges oder gar Absolutes in der Reihe der Nachfolger dar. Präsentiert sich abseits seiner teils kopierten Gesten allerdings als überraschend und überaus sicher funktionierende Erhellung des Martial Arts Kinos, dass nicht nur mit und in den gängigen Allerweltschauplätzen urbaner Rauferei wie Club, Überführung, Parkhaus und Verladehafen spielt, sondern auch die Geschichtsschreibung des speziellen physischen statt materialbewussten Actionfilmes in universeller und gleichzeitig individueller Vertextung und Bebilderung weiterführt. Wenig bis nichts ist neu und innovativ, aber die Reflexion des Filmes mit seiner auch meditativen Poetik, der stilistischen Dramenanalyse und der prallen Handvoll operationalisierter Kampfszenen atmet trotz aufgeschnappter Redensarten allezeit den Anspruch verwegener Unterhaltung; die als Raritätenkasten zum Dank auch schon vor der Weltpremiere beim Puchon International Fantastic Film Festival Juli 2009 die letztlich verdiente Beachtung in Presse und einem breiteren Zuschauerkreis und dessen fruchtbare Arbeit bereits den angeplanten Nachfolger Berandal gefunden hat:

Der junge, mit seiner Mutter Wulan [ Christine Hakim ] und dem älteren Bruder Yayan [ Doni Alamsyah ] in Minangkabau, West Sumatera lebende Yuda [ Iko Uwais ] befindet sich auf seiner Merantau; einer Jahrhunderte alten Tradition, in der die heranwachsenden Männer vorübergehend das Elternhaus verlassen, um sich allein der Zivilisation und ihrer Krankheiten zu stellen. In Jakarta angekommen trifft Yuda auf die für Clubbesitzer Johni [ Alex Abbad ] arbeitende Tänzerin Astri [ Sisca Jessica ], deren Leben durch den sklavenartigen Frauenhandel von Ratger [ Mads Koudal ] und Luc [ Laurent Buson ] in Gefahr ist. Yudas entschlossenes Eingreifen führt zu einer Hetzjagd durch die Stadt.

Das Überspannen der Kräfte erfolgt hier wie dort und so oft erst nach den ersten hingenommenen Drangsalierungen und auch der schnellen Niederlage, wobei der Taumel der bevorstehenden Bewusstlosigkeit sowohl bei Yuda als auch Astri gerne als Sinnbild für das noch kommende Sichaufrecken aus den Schemen hinaus in das Leben und seine Pflicht hinein genommen wird. Die Reise von Yuda mit eher schmächtiger Statur und jugendlicher Physiognomie in das Erwachsenensein als die Würde der sittlichen Norm, die Blickwinkel eines existentiellen Lebens –  die Geschichte wird von Yudas bereits verstorbenen Vater und somit vom Himmelsreich aus herab blickend erzählt – und bald als eine Abfolge von sich immer mehr in das Gefährliche hinein bewegenden Prüfungen. Gegen erst die materiellen Verlockungen, die in Gestalt von Eric [ Yayan Ruhian ] schon am Dorfrand auf ihn lauern und bald eine ganze Legion von auf ihn wartenden oder ihn jagenden Gegnern, deren zahlenmäßige Überlegenheit nur mit dem absoluten Maß an Gewalttätigkeit beherrscht werden kann. Getreu dessen und dem verständnisvollen Verlangen des Genres, wo das konfliktreiche Innere auch dem Äußeren entspricht, geht dann der Vorhang der Schaubühne auf, schwellen die Konfrontationen und die Resultate von Choreographie und Stunts bis hin zur pausenlosen Gültigkeit an.

Als erhöhte Phantasie ist das für ein Land, welches auch durch Annäherung an Hong Kong und Philippinen durchaus mit dem Kampfkunstkino vertraut, aber sicherlich nicht wirklich mit der großen Speisekarte an cineastischen Leckerbissen gespickt ist, und aus dem sonst [scheinbar] nur liebevoll trashige Achtziger Jahre C-Ware mit Barry Prima, Billy Chong, George Rudy oder Advent Bangun kommt, mit mehr als ansehnlichem Ausdruck versehen. Die Inszenierung vom walisischen Regisseur, Autoren und Cutter Gareth Huw Evans, inspiriert durch seine Dokumentation The Mystic Arts of Indonesia: Pencak Silat über die entsprechende Kampfkunst, ist hartkantig, ungekünstelt hochprofessionell und als niedliches Ganzes sowohl herzlich sentimental als auch optisch in vorteilhafter Weise abgestumpft. Einfache Einstellungen in ebenso einfachen, aber messerscharfen Empfindungen, erst die langsame, nicht leer laufende Einleitung im besinnlichen Gemüt [deren Erläuterung im um knapp dreißig Minuten längeren Director's Cut wohlweislich präzisierender ist und das ursprüngliche Drehbuch noch mehr autokartharischen Anreiz für eine Unterstützung der Indonesischen Regierung beanspruchte]. Dann die kriegführende, dominant potenzierte, mit voyeurhafter Lust komponierte Betriebsamkeit. Ingrimmig aufbrennende Szenenfolgen mit Fetzen aus einprasselnden Treffern mit ausgestreckten Armen, geballten Fäusten und Tritten von Schienbein und Fuß gegen die Schädel wechseln sich ab mit der eifrigen Zerstörung von Requisiten und der Echtheit von Einschlägen, Stürzen, und anderen schmerzhaften Einlagen, in denen auch schon mal Motorradfahrer von ihren Maschinen gesäbelt werden oder der Fall auf den Asphalt, der Aufprall gegen allerlei feste Strukturen oder quer durch den schäbigen Raum in den Glastisch hinein als Reglement ansteht.

Das sind wohlgemerkt alles keine allgemein gültigen Glanztaten per se, die auch nicht Prachya Pinkaews brachiale Dynamik erreichen, aber dennoch ein gleichfalls erfreulich lebendiges Abbild aus artistischer Ästhetik, rational beurteilender Kamera mit willkommener Akribie, übersichtlicher Montage und tüchtiger Kompromisslosigkeit. Mit Fixierung auf die raue Straßenkämpfer-Wirklichkeit schneller Reflexe, dass wenig bis keine trick- oder schnitttechnische Verschleierung braucht, um diese dramatische Figurengruppierung und ihre gegeneinander wirkende -bewegung einzufangen. Auch das nahezu konsequente Ignorieren irgendwelcher Humorversuche oder unfreiwillig lächerlicher Situationen und die wenigen, dann aber gleich extremen Blutbäche tun ihr Übriges zum überzeugenden Fanal der Affekte.

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