Review

Bevor man die "Play"-Taste drückt und den Film startet, sollte man sich die besten, robustesten Treter, die gerade greifbar sind, über die Füße streifen, das nächstgelegene Fenster weit öffnen und die Erwartungshaltung mit Anlauf und Schmackes rauskicken. Denn egal, was man von House of Flesh Mannequins erwartet, die Enttäuschung scheint vorprogrammiert.

House of Flesh Mannequins (was für ein schrecklich-schöner Titel!) ist ein Film in drei Akten, umrahmt von einem stimmungsvollen Pro- und einem krassen Epilog.

Act 1: Sebastian. Der Protagonist Sebastian Rhys (Domiziano Arcangeli), ein Mittdreißiger, wird eingeführt. Man erfährt einiges über den zutiefst gestörten Einzelgänger, seinem "Beruf" (Tod & Zerstörung photographieren), seinem Hobby (Snuff-Filme konsumieren), seinem "Reich" (sein creepy Appartement inkl. Heimkino).

Act 2: House of Flesh Mannequins. Eine bizarre Welt der Lust und der Schmerzen. Ist sie real oder existiert sie bloß in Sebastians Phantasie?

Act 3: Sarah. Mit seiner hübschen, achtzehnjährigen Nachbarin Sarah Roeg (Irena A. Hoffman) hat sich Sebastian bereits im ersten Akt angefreundet (als Sarahs Vater ist übrigens Spaghetti-Splatter-Legende Giovanni Lombardo Radice zu sehen). Die junge Kinderbuchautorin ist fasziniert vom schwer zu durchschauenden Photographen, der ihr schließlich Einblick in seine grausige Welt gewährt.

Domiziano Cristopharo, der Vater dieses Babys, scheint nicht viel von Täuschung und Tarnung zu halten. Vieles (aber Gottseidank nicht alles) in seinem Film ist echt. Der Sex. Die Folter. Der Schmerz. Das Blut. House of Flesh Mannequins pendelt hemmungslos zwischen Kunst und Exploitation, zwischen Hardcore Sex und Torture Porn, zwischen abgründigem Giallo und David Lynch'schem Mindfuck. Die Szenen im titelgebenden Haus z. B. erinnern stark an die diversen Traumsequenzen bzw. dem Finale der TV-Kultserie Twin Peaks - nicht in Bezug auf das, was dort passiert, sondern aufgrund des Set Designs und der Art, wie es gefilmt ist -, wohingegen die unwirkliche, künstliche Ausleuchtung mancher Szenen die Giallos eines Mario Bava oder eines Dario Argento heraufbeschwören. Am auffälligsten wird jedoch Michael Powells Peeping Tom zitiert, und da wie dort spielt die Kamera eine bestimmende Rolle. "That camera has been my best mate", sagt Sebastian an einer Stelle.

Visuell zieht der Streifen viele Register und ist eine Wucht, aber auch das Set Design und die (Fetisch-)Kostüme sind stimmig und können bis ins Detail überzeugen. Kurze aber explizite pornographische Momente finden ebenso ihren Platz wie sadomasochistische Performance-Künstler, deren Fleisch mit Rasierklingen gestreichelt und mit langen Nadeln penetriert wird. Eine lineare Erzähldramaturgie konnte ich in diesem Werk (Kunstwerk? Oder doch Machwerk?) ebenso wenig ausmachen wie sympathische Identifikationsfiguren, wodurch der Betrachter, der in die Position des Voyeurs gedrängt wird, stets auf Distanz gehalten wird.

Und trotzdem kann man sich der bizarren Faszination, die der Film ausstrahlt, kaum entziehen, obwohl es Cristopharo dem Zuseher alles andere als einfach macht, schert er sich doch keinen Deut um Sehgewohnheiten oder Publikumserwartungen... sein Film hat mehr gemein mit rohem, transgressivem Undergroundkino als mit dem gewöhnlichen Independentfilm (vom Mainstream ganz zu schweigen). Cristopharo geht konsequent seinen Weg, und wer diesen Weg (mit)beschreiten und Sebastians perverse Höllenwelt betreten will, ist herzlich dazu eingeladen, wer nicht, bleibt geschockt und angeekelt auf der Strecke.

Keine Frage, der in Los Angeles gedrehte House of Flesh Mannequins wird polarisieren, nicht nur wegen der In-Your-Face-Zeigefreudigkeit, sondern auch wegen der provokanten Thematik und - damit verbunden - dem Rütteln an Tabus. Eine gewisse Wirkung kann man dem Film keineswegs absprechen, auch wenn einiges - wie der krampfhafte Versuch zu verstören oder die vordergründige Medien- und Sozialkritik - aufgesetzt wirkt. Ob House of Flesh Mannequins nun gut oder schlecht ist, muß jeder, der sich an den Streifen heranwagt, selbst entscheiden. Eines kann ich dem Film jedoch attestieren: er ist wohl einzigartig, denn so etwas habe ich noch nie zuvor gesehen.

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