Auf keinen Film der letzten Zeit trifft die Überschrift so zu, wie auf den Film von Tom Tykwer, "Heaven". Nicht die Dialoge erzählen hier die Geschichte und geben den Seelenzustand der Figuren wieder, sondern die Bilder. Die schon in Filmen wie "Winterschläfer" oder "Der Krieger und die Kaiserin" vorherrschende Bildersprache hat Tykwer noch weiter ausgebaut, ganz im Sinne des verstorbenen polnischen Regisseurs Krzyztof Kieslowski, der die Drehbuchvorlage zu "Heaven" schrieb. Dementsprechend ist der Film, typisch für Kieslowski, eine gewagte Mischung aus Thriller und Melodram mit vielen spirituellen Ansätzen.
In "Heaven" geht es in erster Linie um ein Thema: Schuld, und die Erlösung davon. Die junge Lehrerin Philippa hat bei einem Bombenattentat versehentlich vier unschuldige Menschen, darunter zwei Kinder, getötet. Als sie davon hört ist sie völlig verzweifelt, von nun an ist sie gefangen in einem Käfig aus Schuld und der Wunsch nach Rache, denn das eigentliche Opfer des Anschlags, ein skrupelloser Drogendealer, hat überlebt. Den Ausbruch aus diesem Gefängnis haben Autor Kieslowski, Regisseur Tykwer und die famosen Schauspieler Blanchett und Ribsi als Grundlage für einen der eindringlichsten, aber auch schönsten Filmen des Jahres genommen.
Vor allem die Leistung von Cate Blanchett ist ungeheuer beeindruckend. Besonders hervorzuheben wäre hier die Szene, als Philippa auf dem Polizeirevier die Nachricht vom Tod der vier Menschen erfährt und völlig zusammenbricht. Eine enorm schwierige Szene für einen Schauspieler, nur ein bisschen zu sehr übertrieben oder ein bisschen zu wenig Reaktion gezeigt, und die Szene hat jegliche Wirkung verloren. Doch Blanchett meistert diese Szene mit Bravour und einem beeindruckenden Timinggefühl, so dass sie tief unter die Haut geht. Auch Giovanni Ribsi in der Rolle ihres Erretters (vielleicht auch Erlösers?) Filippo kann durch die angenehme Zurückhaltung und Ruhe, die seine Figur charakterisiert überzeugen. Tykwers Inszenierung ist einmal mehr eine großartige Mischung aus prachtvollen Bildern und exzellent ausgearbeiteten Charakteren. Sein riesiges Talent stellt der Regisseur gleich zu Beginn unter Beweis, wenn ein Großteil des Films auf dem eher grauen Polizeirevier spielt, und er dennoch immer wieder interessante Kameraperspektiven findet. Auch die Landschaftsaufnahmen der Toskana sind eine Augenweide, und alles andere als sinnlos, geben sie doch genau den inneren Zustand der Figuren wieder. Nur am Ende, als Filippo und Phillippa sich unter einem Baum lieben, und Tykwer eine Art Scherenschnittperspektive wählt, rutscht der Film ein wenig ins Kitschige ab. Die überwältigende Schlußeinstellung, als die beiden Hauptfiguren praktisch eins mit dem Himmel werden, lässt das aber schnell vergessen.
Die beiden ähnlichen Namen der beiden Hauptfiguren (genau genommen sind es die einzigen wirklichen Figuren in dem Film, die restlich spielen nur eine unbedeutende Nebenrolle), Philippa und Filippo, deuten schon an, dass Tykwer in "Heaven" ein Motiv aufgreift, dem er sich schon in einigen seiner vorherigen Filmen, besonders in "Der Krieger und die Kaiserin", gewidmet hat: Die Seelenverwandschaft zwischen zwei, auf den ersten Blick völlig unterschiedlichen Menschen. Die Liebe zwischen Filippo und Phillippa ist stärker als alles andere auf der Welt, sogar stärker als die ungeheure Schuld, die sie in sich trägt. Die entscheidende Frage, die der Film stellt ist aber: Wer kann über einen Menschen, der sich schuldig gemacht hat, urteilen ? Und wer kann ihm vergeben, wer oder was kann ihn davon erlösen? Ein Mensch, die Liebe oder Gott? In "Heaven" ist es wohl eine Mischung aus allen dreien, zumindest ist es nicht die Polizei, denn die ist selbst schuldig, schließlich hat sie dem Drogenhandel, dem schließlich sogar Kinder zum Opfer fielen, aufgrund von Bestechungsgeldern tatenlos zugesehen. Wie man den Film letztlich interpretiert hängt natürlich vor allem in erster Linie vom Zuschauer ab, ob er einen Bezug zu eher spirituellen,religiösen Themen hat oder eher auf dem Boden der Tatsachen steht. Fakt ist jedoch, dass "Heaven" sehr nachdenklich stimmt und viel mehr bewegt, als man es sich vielleicht anfangs eingestehen will, bei mir war das zumindest der Fall.
Tykwers fünfter Kinofilm, ist eindeutig sein bisher ausgereiftester und erwachsenster, vielleicht sogar sein bester. Zumindest ist es ein sehr bewegender, nachdenklich stimmender Film, der sein Geheimnis und seine wahre Schönheit nur langsam preisgibt.