Achtung, Spoiler inside!
Der Berlinale-Eröffnungsfilm "Heaven" von Tom Tykwer thematisiert -wie auch schon sein Vorgänger "Der Krieger und die Kaiserin"- die große, unabdingbare Liebe zwischen zwei Menschen, die durch äußere Einflüsse nicht angetastet werden kann. Die beiden Hauptdarsteller Cate Blanchett und Giovanni Ribisi waren zuletzt in dem Film "The Gift- Die dunkle Gabe" gemeinsam auf der Leinwand zu sehen. "Heaven" beginnt mit einer Sequenz im Flugsimulator: Filipo, Polizeianwärter, trainiert über der künstlichen Computerlandschaft Toskanas, deren reale Schönheit der Zuschauer später zu sehen bekommt. Filipo fliegt steil nach oben bis ihm eine männliche Stimme sagt, dass er in der Realität schon längst tot wäre. Daraufhin fragt Filipo: "Wie hoch kann ich denn fliegen?" Die Leitfrage des Films ist gestellt: Wie hoch kann ich fliegen? Wie weit kann ich kommen? Was kann ich erreichen, was kann ich mitnehmen? Schnitt. Turin. Philippa, Lehrerin, verübt einen Bombenanschlag auf den Mann, der die lokalen Drogengeschäfte leitet, und nicht nur das Leben ihres Mannes, sondern auch das einiger Schulkinder auf dem Gewissen hat. Sie gesteht die Tat telefonisch der Polizei, die auf etliche Hinweise ihrerseits im Vorfeld nicht reagiert hat. Doch leider geht alles schief- die Putzfrau leert den Mülleimer, in dem die Bombe versteckt war, und mit ihr sterben drei weitere Menschen im Aufzug: ein Vater mit seinen beiden kleinen Töchtern. Die Opfer sind bewußt "unschuldig" gezeichnet: eine einfache Putzfrau, ein rechtschaffener Familienvater mit seinen beiden kleinen Kindern. Philippa ahnt von alledem noch nichts. Die grausame Wahrheit erfährt sie erst im Gefängnis. Ihren darauf folgenden Nervenzusammenbruch spielt Cate Blanchett absolut glaubhaft. Ihr Blick, ihre Mimik, als sie die Nachricht erhält, ist eine schauspielerische Meisterleistung und sagt mehr als Worte ausdrücken könnten: zunächst das Nicht-Glauben-Wollen, dann die Erkenntnis, dass alles umsonst war und der Mann, den sie töten wollte noch am Leben ist, schließlich das blanke Entsetzen darüber, dass stattdessen drei unschuldige Menschen ihretwegen sterben mussten. Die Polizei vermutet in Philippa eine Terroristin und niemand glaubt ihr, außer Filipo, der ihre Aussage übersetzt. Er verliebt sich auf der Stelle in sie und verhilft ihr zur Flucht. Dadurch erhält Philippa doch noch die Möglichkeit, den Drogenboss umzubringen. Anschließend fliehen sie gemeinsam in Philippas Geburtsstadt in der Toskana, gefolgt von einem riesigen Polizeiaufgebot.
Wieder in der Freiheit sagt Philippa, dass sie ihren Glauben daran verloren hat, dass alles einen Sinn hat. Sie weiß sehr wohl, dass Filipo sie liebt, aber sie selbst kann vorerst nichts empfinden. Cate Blanchett ist einfach unglaublich gut in ihrer Rolle, sie ist absolut überzeugend. Giovanni Ribisis Spiel ist auch gut, aber es verblasst ein wenig neben ihr, was wohl auch daran liegt, wie ihre Rollen angelegt sind. Die Person Philippa ist interessanter, vielschichtiger, als Filipo. Sie macht eine Entwicklung durch, anfangs empfindet sie nur Leere, später kann sie aufrichtig lieben. Philippa ist eine Frau mit Vergangenheit, Filipo wirkt fast noch wie ein Junge mit wenig Erfahrung. Er verliebt sich auf den ersten Blick in sie und ist bereit, für sie seine ganze Zukunft auf's Spiel zu setzen: er sollte ein hohes Amt bei der Polizei bekleiden wie einst sein Vater. Auch wenn seine Rolle zunächst statisch wirkt, er glaubt bis zum Ende unerschütterlich an ihre gemeinsame Liebe und lebt nur dafür, so macht auch er eine Entwicklung durch und wird psychisch stärker. Beide wachsen an ihrer Liebe und sie sind beide bereit, dafür zu sterben.
Die Namen der beiden sind schon ähnlich gewählt, im Laufe ihrer Flucht kommen sie sich immer näher und gleichen sie sich auch optisch an: beide rasieren sich eine Glatze und laufen in Bluejeans und einem weißen T-Shirt herum.
Bemängeln würde ich folgende Kleinigkeiten: Es geht unerwartet schnell, dass Philippa Filipos Liebe erwidern kann. Plötzlich umarmt sie ihn und die Sache ist klar. Auch die Tatsache, dass Filipos Vater Philippa (immerhin vierfache Mörderin!) so einfach akzeptieren kann und er die Entscheidung seines Sohnes wiederstandlos repektiert, halte ich für unrealistisch.
Dieser Film ist wunderschön und voller Poesie. Es passiert wenig, es wird auch nur wenig gesprochen (was mancher bemängeln würde), der Film lebt voll und ganz von seinen Bildern. Wunderbar langsame und langanhaltende Einstellungen. Dies ist zugleich ein Film über Idealisten: Philippa weiß, dass sie niemanden wieder lebendig macht und auch das Drogenproblem nicht löst, indem sie den Drogendealer tötet, aber sie muss es tun, damit alles einen Sinn ergibt, und ist bereit dafür die Strafe auf sich zu nehmen. Filipo, der ja bei der Polizei arbeitet, weiß natürlich, dass ihre Situation ausweglos ist und sie auf jeden Fall entdeckt werden, aber er flüchtet trotzdem mit ihr, weil er an ihre Liebe glaubt, und weiß, dass nur der Moment zählt. Zum Schluss schließt sich der Kreis. Das Thelma-und-Louise-mäßige Ende des Films korrespondiert mit seinem Anfang.
Der Film ist sicherlich nicht jedermanns Sache, mich persönlich hat "Heaven" jedoch schwer beeindruckt und er hallte noch lange nach.