Review

Verhoeven, du abartiges Genie!

In Zeiten wo jeder Selfmade-Kritiker im Internet seinen Senf zu jeglicher Art von "Kunst" geben kann, gibt es zu absolut jedem Film eine Einschätzung von "miesester Film evaaa" bis "meisterhaftes Meisterwerk". Ein Film kann heutzutage also kaum noch falsch kritisiert werden von einer "Allgemeinheit", da immer absolut jede Meinung existiert & abgedeckt wird. Vor 20 Jahren war das allerdings noch anders. Wurde ein Film von den führenden (Zeitungs-)Kritikern der noch nicht so großen Welt zerrissen, dann war sein Ruf & oft auch sein Erfolg, erstmal dahin. Das aber auch die besten Kritiker mal reihenweise falsch liegen können, hat Paul Verhoevens "Showgirls" mit der Zeit eindrucksvoll bewiesen. Einst Schund erster Güte, höchstens gut für schlechte Witze, Wixvorlagen oder Trinkspiele, mittlerweile zu einem der größten Kultfilme aufsteigend, mit regelmäßigen, vollen Kinos in Hollywood & anderen Mekkas des fragwürdigen Geschmacks. So kann es gehen bzw. konnte es gehen - mittlerweile scheint mir ein solch extremer Werdegang From Zero to Hero fast undenkbar. 

Die Geschichte der jungen Nomi, die nach Las Vegas kommt & dort das glitzernd-perverse Showgeschäft durchwirbelt, meist nackt, gehört für mich zu den heftigsten Tragpfeilern des 90er-Jahre-Kinos, ist nicht viel schlechter als Verhoevens beliebt-bekanntere größeren Werke & gehört in jedes Kultfilmbuch. Das sind grosse Worte für einen "So bad it's good"-Film - aber ich glaube, ich habe genug Argumente diese gewagte These zu stützen. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass Verhoeven vom extrem zitierfähigem Writing bis zur maßlos kitschigen Inszenierung, alles genau so geplant hat, dass es eben so mies, so seltsam, so unberechenbar wirkt. Genauso wie "Starship Troopers" für das recht flache Publikum der 90er zu hoch war, schoss auch "Showgirls" einfach weit über 99% der Köpfe. Mit voller Absicht, mit vollster Berechnung, mit vollsten Brüsten. Ich würde sogar so weit gehen, und behaupten, dass Verhoeven & sein Werk so teuflisch, meta & schlau sind, dass sie ihre Hauptdarstellerin Elizabeth Berkley, ähnlich zu ihrer Rolle, im Unwissen über die wahren Absichten & Spielweisen des Films & der Figur ließen. Ihr Overacting & seltsames Spiel ist so bemitleidenswert & fast wie ein Autounfall - man kann nicht wegsehen. Sowohl sie als auch Nomi sind wilde Spielbälle einer kranken Gesellschaft & Fabrik der Alpträume. Das ganze Gebilde wirkt auf mich wie ein "Black Swan" in Glitzer, in nackig, in trashig. Und daher fast noch genialer. Es geht um Ruhm, nackte Haut ohne Erotik, um fragwürdige Schauwerte, verfaulte Menschlichkeit & schlechten Geschmack, um Gier, Ehrgeiz & Bösartigkeit in vielfältigster Form.

Die Tanzchoreos samt etlicher wunderhübscher, nackter Frauen & die Kulissen, sind sehenswert & Eyecandy, aber hier sieht sich für mich alles der Kritik am Showgeschäft & auch an Hollywood untergeordnet. Der letzte Shot, wo Nomi als "Goddess" Las Vegas verzaubert & entmannt hat, und nun Richtung Hollywood fährt, ist daher nur das geniale I-Tüpfelchen. Wahnsinn - das habe ich danach glaube ich laut gesagt & nicht nur gedacht. "Showgirls" ist ein Film, über den man Analysen schreiben kann, seitenlang philosophieren, oder den man einfach nur erstaunt auf sich wirken lässt. Auch wenn fast nur die Frauen nackt sind - der Film hat Bowlingkugel-Eier. Man muss lachen wie mies der Film ist, dann bleibt einem das Lachen im Hals stecken wie böse & kompromisslos er ist. Man muss den Kopf schütteln wie hohl er wirkt, aber beim Schütteln geht hier & da ein Licht an, dass der Film genau diese Reaktion will. Exzess, Dummheit, Scheinheiligtum. Parodie, Satire, Persiflage. Komödie, Drama, Horrorfilm. Flop, Trash, Geniestreich. Risiko eingegangen - scheinbar alles auf Sex gesetzt - alles verloren. Und mittlerweile auferstanden wie ein nackter Phönix aus einem Pool voll Glitzer & Sperma. Oh Paul, du bist ein Schlitzohr & hier hast du es wohl übertrieben, bist zu weit übers Ziel hinausgeschossen - aber warum Grenzen verschieben, wenn man sie sprengen kann?!

Fazit: Titten, Tänze & menschliche Abgründe - lange Zeit einer der verrufensten Flops, mittlerweile absoluter Kult & endlich verstanden. Seiner Zeit weit voraus & eine pulpige Demontage des Showgeschäfts!

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