„Ich mach's nur ab und zu, ich bin nicht süchtig!“
Jerry Schatzbergs „Panik im Needle Park“ ist ein weitestgehend in Vergessenheit geratener Vertreter des Cinéma vérité, des neorealistischen New Hollywoods. Dass es Schatzbergs Zweitwerk aus dem Jahre 1971 so erging, dafür leisteten Behörden und Zensur ganze Arbeit: Aufgrund vermeintlicher Anleitungen zum Drogenkonsum mit einem X-Rating versehen und infolge von Schnittauflagen zu Stümmelfassungen verunstaltet hatte man dieses New-York-Drama, das einen ungeschönten Einblick in die sich im Klammergriff harter Drogen und der Folgen der Abhängigkeit befindenden Bronx zu Beginn der 1970er bietet – und Al Pacino ein Jahr vor „Der Pate“ in seiner ersten Hauptrolle zeigt.
„H ist mit allem toll, auch mit Koks! Musst halt Fantasie haben!“
Die junge Helen (Kitty Winn, „Das Geisterhaus“) landet nach einer illegalen Abtreibung mit Blutungen im Krankenhaus. Dort besucht sie Bobby, ein junger Mann mit spitzbübischem Charme, der sich ihrer annimmt. Sie verlieben sich ineinander und kommen zusammen. Doch Bobby ist ein kleinkrimineller Drogendealer und konsumiert auch selbst Heroin, „nur hin und wieder“ und er sei nicht süchtig. Naiv schlittert Helen in den Drogensumpf...
„Und dich wollt' ich mal heiraten!“
„Panik im Needle Park“ zeichnet unaufgeregt und um Authentizität bemüht die in einen Teufelskreis führende Abwärtsspirale aus dem Konsum harter Drogen, der Abhängigkeit von ihnen, Beschaffungsprostitution und -kriminalität und Gewalt am Beispiel des jungen Paars Helen und Bobby nach und entromantisiert den Drogenkonsum nachhaltig. Die Bronx wird in tristen, schmuddeligen, grauen Bildern eingefangen. Ein Moloch menschlichen Elends, voll auf der Strecke gebliebener Existenzen und zerplatzter Träume, in dem auch Helen und Bobby sich selbst und gegenseitig zu zerfleischen beginnen, weil längst die Drogen ihren Alltag bestimmen. Eifersucht und Verrat treten auf den Plan; das Ende ist offen, doch jeder Zuschauer ahnt, dass es für Helen und Bobby bereits gekommen ist. Schatzberg lässt kaum Raum für Hoffnung, sein Film ist desillusionierend und schmerzhaft bedrückend.
Dabei hat er sich bei allem durchaus Zeit gelassen: Man lernt Bobbys Bruder, einen Profidieb, kennen, bekommt einen Eindruck seines Alltag an der Schwelle zur schließlich destruktiven Sucht und Helen sträubt sich lange dagegen, zum Junkie zu werden. Damit erscheint „Panik im Needle Park“ in seiner Entwicklung nachvollziehbarer als beispielsweise ein „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, schafft er mehr Raum für die Charaktere, auf die er sich konzentriert und bezieht das Umfeld, in dem sie sich bewegen und das seinen Teil dazu beiträgt, als weitläufigeres Gebiet mit ein, das allgegenwärtig und ausweglos wirkt. Entziehen sich Helen und Bobby ihm durch Heroinkonsum, hält Kameramann Adam Holender voll drauf, fertigt Detailaufnahmen der Drogenhandhabung und beschwor damit einen Skandal herauf, der Sittenwächter den Film missinterpretieren ließ und zu eingangs beschriebener Fehleinschätzung führte.
Rau und schroff wie das damalige Dasein in der Bronx ist auch der Stil des Films, der in seinem Neorealismus auf einen Soundtrack ebenso verzichtet wie auf Überblendungen oder andere den Stoff genießbarer machende Darreichungsformen. Getragen wird er vornehmlich von den großartigen schauspielerischen Leistungen Winns und Pacinos, die sich durch zahlreiche emotionale Facetten und Extreme mimen. Winn nahm dafür einen Oscar in Empfang und Pacino empfahl sich mit seinem in Verweigerung der Anerkennung der Realität so lange manischen, überschwänglichen Bobby für seine zukünftigen Großtaten.
Dass „Panik im Needle Park“ auf ein heutiges Publikum irritierend unspektakulär, vielleicht sogar langatmig wirken könnte, hängt indes nicht nur mit der Entwöhnung vom Neorealismus zusammen: Es ist der traurige Umstand, dass sich die harte Drogenszene seither als roter Faden durch die Dekaden zieht und im Unterbewusstsein vieler als unverrückbare Realität festgesetzt hat, deren Existenz hingenommen werden muss, mit ähnlich unmittelbaren Bildern längst im Dokumentar-TV angekommen ist und Werke wie „Requiem for a Dream“ in vielerlei Hinsicht, vor allem aber auf emotionaler Ebene, in fast wutentbrannter Weise frühen Vertretern wie diesem noch einen draufsetzten.