Der seinerzeitige Erfolg von „John Q“ an den amerikanischen Kinokassen lässt sich wohl nur anhand des damals taufrischen Oscar-Gewinners Denzel Washington („Crimson Tide“, „Man on Fire“) erklären, denn trotz des ungeheuer edlen Supportcasts bleibt der Film rein von seinem Niveau her irgendwo im Mittelmaß hängen, was er in vollem Umfang seinem unentschlossenen, schwachen Drehbuch zu verdanken hat.
Denn „John Q“ ist eine äußerst abgeschmacktes, konventionelles Drama mit viel Pathos und lascher Kritik, der den Nerv des amerikanischen Bürgers kratzt, aber ansonsten komplett auf Berechnungen beruht und deswegen langfristig seine Wirkung komplett verliert.
Dabei macht der auf den Regiestuhl erst zum dritten Mal Platz nehmende Ex-Schauspieler Nick Cassavetes („She's So Lovely“, „Alpha Dog“) seine Sache durchaus solide, verfängt sich aber schon früh im Drehbuch, das sich irgendwo zwischen Kritik sensationsgeiler Medien, Offenlegung des maroden, amerikanischen Sozialsystems, Geiseldrama und Familienschicksal ähnlich unentschlossen zwischen die Stühle pflanzt, wie ein paar Jahre zuvor der wenig konkrete „Mad City“.
Denzel Washington, über den lass’ ich auch nichts kommen, erspielt sich wie gewohnt emotionsgeladen, ehrlich und auf seine Art sehr eindringlich wie lebensecht ab der ersten Minute die Publikumssympathien als Fabrikarbeiter John Quincy Archibald. Seine Firma fährt infolge der wirtschaftlichen Rezession Amerikas Kurzschicht, das Geld ist deswegen zurzeit knapp, seine Frau Denise (Kimberly Elise, „Set It Off“, „Diary of a Mad Black Woman“) rackert sich auch ab, aber das traute Heim und die Familienidylle mit dem lebhaften Nachwuchs namens Mike geben der Familie genug Rückhalt in diesen schwierigen Zeiten. Da können auch der gepfändete Zweitwagen oder Mikes ständige Absagen für einen Nebenjob nicht dran rütteln, wohl aber das Schicksal, als Mike plötzlich bei einem Baseball-Spiel zusammenbricht und die Ärzte im Krankenhaus feststellen, dass er einen schweren Herzschaden hat. Nun müssen seine Eltern sich entscheiden. Entweder zögern Medikamente seinen Tod hinaus oder eine Herztransplantation muss her, doch die ist teuer und da Mikes Arbeitgeber zu einer günstigeren Versicherung mit geringerem Leistungspaket wechselte, fehlen den Archibalds nun die Möglichkeiten.
Nach einem wirklich kitschigen Auftakt, der darüber hinaus schon mal das Happyend vorbereitet und zwar auf eine Art und Weise, wie sie kaum scheinheiliger sein könnte, muss man sich als Zuschauer durch die kritisch gemeinte Passage des Films kämpfen, in der Mike nun völlig verzweifelt und außer sich alle Hebel in Gang zu versetzen sucht, um das nötige Kleingeld für die Operation aufzubringen, dabei aber nur auf die tauben Ohren von Star-Doc Raymond Turner (James Woods, „Salvador“, „Vampires“) und Krankenhaus-Chefin Rebecca Payne (Anne Heche, „Volcano“, „Six Days Seven Nights“) stößt, die mit dem hippokratischen Eid wenig am Hut haben und nicht gewillt sind Mike für lau zu behandeln, geschweige denn ihn ewig stationär zu behandeln. Johns finanziellen Möglichkeiten sollen über das Schicksal seines Sohnes entscheiden und so verscheuert er seinen gesamten Besitz zu Dumping-Preisen, nur um das nötige Geld aufzubringen, das dann doch nicht reicht weil der Papierdschungel zu undurchsichtig ist, niemand ihm eigentlich helfen will und er die für ihn astronomische Summe ohnehin am Horizont verborgen bleibt.. Also greift er zur Waffengewalt, um seinen Willen zu erzwingen.
Womit dann das dritte und letzte Kapitel eingeläutet wird. Es ist das unseriöseste von allen, weil sich alles in Wohlgefallen auflösen wird und das geht auf so auf den Zeiger, weil es im wirklichen Leben nie so ablaufen wird. Der knallharten, lügenden Kalkulatorin Payne werden die Augen feucht, über Turner siegt die Moral und plötzlich ist ihm alles scheißegal, wenn er nur den Jungen retten kann. Etwa alles nur, weil John in seiner Verzweiflung mit Waffengewalt sich Zugang zur Notaufnahme beschaffte, mit einer Handvoll Geiseln (einige wandelnde Klischees: der dicke Wächter, der labernde Schwarze, das großmäulige Arschloch, die schwangere Frau, die Hispano -Mutter ohne Sprachkenntnisse) verschanzte und die Operation seines Sohnes einfordert?
Ja, denn nach der Logik dieses Films wird daraus unbestrittenes Recht. Selbst die Geiseln überbieten sich schnell mit Sympathiebekundungen und die Menge, die draußen vor dem Krankenhaus John schon als Helden an zu feiern fängt, steht auch hinter ihm, während die Presse geifert, sich in die Überwachungskameras des Krankenhauses hackt und schon mal die große Schlagzeile vorbereitet.
Weiter bergab geht es tatsächlich noch, wenn sich Cop-Veteran Robert Duvall („Days of Thunder“, „Open Range“), der die Sache eigentlich unblutig beenden möchte mit Chief Gus Monroe (Ray Liotta, „Hannibal“, „Narc“)draußen vor dem Krankenhaus hinter den Absperrungen um die Kompetenz rangelt, ein Sniper durch die Luftschächte kriecht und daneben ballert damit die Lager sich bis zur Eskalation hochschaukelt, aber kurz vorher beruhigt und schlussendlich der väterliche, aufopfernde Suizid verhindert wird, weil in letzter Sekunde das Spenderorgan eintrifft und das Happyend beschert. Vorweg noch ordentlich Tränen, wenn der Herr Papa, der nie soweit gehen würde, als dass andere Schaden nehmen würden, mit dem todkranken Sohnemann ewig und drei Tage telefonierend verabschiedet und Frau Mutter nicht mehr an sich halten kann.
In diesem unerträglichen, melancholischen Kitsch ziehen sich die Darsteller zwar gekonnt aus der Affäre, aber was hier seitens des Drehbuchautor so alles an Unwahrscheinlichkeiten, die die rechte Wendungen bringen und halbherzigen, wenn auch gut gemeinten Ansätzen zusammengemixt wird, ist seiner dichten Pathos-Beschichtung unerträglich.
„John Q“ ist nie dramatisch, sondern zwanghaft rührselig und versucht permanent die Tränendrüsen des Zuschauers zu erreichen. Dabei wird wirklich kein Klischee außer Acht gelassen, als dass sich hieraus tatsächlich einmal ein ernsthaftes, packendes Drama ableiten ließe.
Dafür bleibt der Film permanent zu oberflächlich. Anstatt auf so vielen Hochzeiten zu tanzen, hätte der primäre Ansatz im Fokus bleiben sollen – Amerikas bankrottes Gesundheitssystem. Doch darauf wird eigentlich nur kurz oder oberflächlich eingegangen, denn danach trifft schon die herzlosen Krankenhäuser und ihre geldgierigen Ärzte die Schuld. Zu einem ernsthaften Einblick und einer näheren Erörterung der wahren Probleme soll die Zeit hier eben nicht ausreichen, deshalb bleibt es bei der simplen Anklage.
Fazit:
Immerhin solide heruntergekurbeltes Drama mit durch die Bank weg ordentlichen Darstellerleistungen, aber einem nervig-pathetischen Drehbuch, wie es nur Hollywood sie zustande bringt. „John Q“ verbleibt dabei, den Zuschauer geschickt um Zustimmung bittend für sich einzunehmen, ordentlich auf die Tränendrüse zu drücken, mit dem hoch erhobenen, moralischen Zeigefinger kurz in zig Richtungen zu wedeln, noch eine Schippe Pathos draufzulegen und dann zum Happyend umzuschwenken. Nein, „John Q“ ist kein guter Film, sondern oberflächlicher, verlogener Bockmist für das sich leicht ausrechenbare, amerikanische Publikum. Naja, aber immerhin gut gespielter Bockmist...