"Cheesy!" denkt der Amerikaner noch halbwegs wohlgemut, während der Deutsche nicht an "Käse", sondern an "Sülze" denkt - wann immer die Studios mögliche Award-Aspiranten auf die Beine stellen, dann ist es wieder Zeit für eine Runde auf der emotionalen Isotopenschleuder. Da wird nicht mit Starauflauf und Gefühlsduseleien als Würzung gespart, damit die herausragenden Lebensgeschichten großer Geister - oder zumindest herausragender Personen - auch recht zur Geltung kommen. Denn großes Schauspielerkino will geklotzt sein.
Das Rezept ging aber im Falle von "Amelia" mächtig in die Hose, dabei hatte die kleine Arthaus-Tochter von "Fox", "Searchlight", sicherlich gehofft, das eine oder andere goldene Tierchen oder Männlein abzustauben und sich deswegen für den neuen Film der indischen Regisseurin Mira Nair ordentlich ins Zeug gelegt.
Das bedeutete: große Namen, monumentale Landschaften, ein aufsehenerregendes Schicksal, fokussiert auf frauenreiche Zielgruppen, dazu eine zweimalige Oscargewinnerin und eine einfühlsame Regisseurin, die mit ihren Filmen lange vor dem Bollywoodkitschtsunami den indischen Film einer westlichen Welt einfühlsam nahegebracht hatte ("Salaam Bombay", "Monsoon Wedding", "The Namesake").
Offenbar hatte man dabei übersehen, daß das Thema, das ganze Sujet ein ziemlich Amerikanisches werden würde und Frau Nair sich schon einmal mit großbudgetiertem Starkino selbst versenkt hatte ("Vanity Fair").
Mit dem großen, auf einen Star zugeschnittenen Bio-Pic-Genre ist das nämlich so eine Sache, denn eben dieser Star muß dann auch wie gemacht für die Rolle und den Charakter sein - und das ist Hilary Swank, die wohl jungenhafteste, un-natürlich-hübscheste und androgyn wirkenste unter den Darstellers diesseits von Jodie Foster, zumindest optisch.
Ihre Präsenz, so kann man feststellen, ist immer noch intakt, aber man darf auch nicht vergessen, daß es in ihrer Karriere immer der Zielsicherheit bedurfte, sie auf den Punkt zu besetzen und mit einem passenden Drehbuch auszustatten, andernfalls ging das nämlich meistens reihenweise in die kreative Hose ("The Gift", "The Core", "The Black Dahlia", "Freedom Writers", "The Reaping").
Und äußerer Anschein, passende Präsenz ist dann doch nicht alles, denn wenn in dieser aufgeblasenen Produktion etwas nicht stimmt, dann das mit allem möglichen Schnickschnack zugeklatschte unfokussierte Skript.
Man hätte es vorher wissen sollen, denn mit Ron Bass saß da ein Autor an der Schreibmaschine, der einen geradezu infernalischen Lauf an grauenhaft mißlungenen und zum Erbrechen kitschigen Skripts hinter sich hat: "Dangerous Minds", "Waiting to Exhale", "My Best Friends Wedding", "What Dreams may come", "Stepmom", "Verlockende Falle", "Schnee, der auf Zedern fällt" - alles, was der Mann produzierte, war vom Timing her extrem uneben oder so dermaßen "cheesy", daß einem übel davon wurde.
Und so stürzt dann auch die Earhart aufsehenerregend ab.
Im Wesentlichen auf zwei Enthüllungsbüchern über die seit 70 Jahren verschollene Amelia Earhart basierend, wird hier ein wunderbar spekulatives Melodram zwischen die historischen Daten und Taten geschreibselt, was aber nie einen homogenen Plot generiert.
Der Film umfaßt die Jahre 1928 bis 1937 und bildet so den Atlantikflug (den ersten einer Frau), den Rummel um ihre Person, persönliche Eckdaten und dann den zweiten, den Alleinflug ab, verzichtet auf die Pazifiküberquerung und mündet schließlich unvermeidlich in die fatale Weltumrundung per Flieger, während zwischendurch so etwas wie eine "menage-a-troi" halbgar auf-, aber nie durchgezogen wird.
Earhart, erfrischenderweise nur in den wenigsten Szenen lesbisch angehaucht, soll als flugbegeisterter Freigeist zwischen ihrem älteren Ehemann und Manager (routiniert gespielt von Richard Gere) und dem eleganten Gene Vidal (geradezu ekelerregend manieriert dargeboten von Ewan McGregor) stehen soll.
Dabei gelingt das Kunststück, drei wahrhaft leblose Figuren zu präsentieren, die umeinander herum tanzen, ohne daß sich jemand traut, etwas Handfestes in den Ring zu werfen. Während McGregors "Vidal" eigentlich nur hohle Pose ist, muß Gere sich auf Teufel komm raus emotionalisieren (etwas, was man eher von der Frau im Trio erwarten würde, um die es ja eigentlich geht) und leidet in Agonie unter würgereizproduzierenden Schmalzzeilen, die er nur durch seine natürliche Würde überlebt.
Swank dagegen ist von allen am meisten allein gelassen, vom Skript, von der Figur als Enigma, von der eigenen Vision - praktisch spielballhaft bemüht sie sich, alles jungenhaft wegzulächeln, was gerade in ihrem Fall (die Frau lebt von ihrem enormen Gebiß, was die Konkurrenz mit den Hollywoodschönchen angeht) nicht gerade die geschickteste Lösung ist, indem man die Kamera auf das Problem lenkt.
Eine Persönlichkeit kommt dabei nie zu Tage, was sie will und warum sie es will, das ist alles nur vage und fragil skizziert und wenn sie dann in ihrem Element, in den Lüften ist und davon schwärmt, dann klatscht dem Zuschauer eine Woge rhetorischen Durchfalls in der Tradition Rosamunde Pilchers entgegen, der in schwindelerregender Klebrigkeit kaum abzuwaschen ist.
Mair hat gegen dieses Skript, das so ziemlich jeden Konflikt entweder umgeht oder einschlafen läßt, keine Chance - sie ist bemüht, eine Ikone zu zeichnen, aber die komplexen Strukturen rund um die Rolle der Frau in den 30ern, in der Fliegerei, als emanzipierte Frau, als zerrissene Person zwischen einem väterlichen Mann und dem Bildnis männlicher Virilität, das Problem des eigentlich mangelnden fliegerischen Talents für solche Unternehmungen, das alles kommt nicht zum Tragen, bleibt dem Hunger des Zuschauers überlassen.
Und so muß man sich ein paar unspektakulär gefilmten Ereignissen (der Alleinflug über den Atlantik ist dürftig gefilmt, daß einem James Stewarts "Lindbergh"-Film wie der "Terminator" erscheint) begnügen, mit malerischen Landschaften und wie man vermutet, am Computer entstandenen Flugszenen. Aber selbst die älteste "Elektra" im Flug hat kaum eine Chance gegen eine Figur, deren Leidenschaft zum Fliegen durch eine Szene eingeführt wird, in der sie als Kind in einem Kornfeld einem Doppeldecker zuschaut - genau das abgeschmackte Klischee, daß schon Michael Bay in "Pearl Harbor" praktisch zur Realsatire machte.
"Amelia" ist kein restlos schlechter Film, er ist kein provokantes Ärgernis und kein Megablockbuster, sondern ein bemühter Film in mittlerer Preiskategorie (ca. 40 Mio. Dollar), doch er ist offensichtlich ein ärgerlich verschenkte Chance, der am Ende in einer endlosen Sequenz rund um das Funken und Orten der bald abstürzenden Maschine auch noch den letzten Nerv raubt.
Selbst gediegener Kitsch vergangener Jahrzehnte hat selbst unter dem Vorwand der Geschichtsfälschung interessantere Geschichte aus tatsächlichen Charakteren herausgekeltert, aber das hier ist einfach nur mager, dürftig und uninspiriert, als hätte man bei Drehbeginn schon aufgegeben, weil das Fehlen jeglicher darstellerischer Substanz offenbar war. Einige schöne Bilder jedoch können keinen Spannungsbogen generieren und Figuren, zwischen denen keine Spannung aufkommt, gehören nicht mal ins TV, das ist maximal harmlose Urlaubslektüre für komplett Arglose.
Ein Film zu dem man bald die Augen ermattet niederschlägt - weil die Hauptdarstellerin stets in dieser Pose verharrt. (3/10)