„Du bist sowas von HIER!“
Das bekommt Elliot Teichberg in Ang Lees „Taking Woodstock“ gesagt, als er im Drogenrausch über das Festivalgelände des legendären Peace-and-Musik-Wochenendes wandelt.
Und darum geht es in diesem Film – ums Dabeisein, ums High sein, Schlamm in der Unterhose muß dabei sein.
Woodstock war für die meisten Besucher ein Erlebnis und den meisten ging es rückblickend weniger um die Musik, denn bei um die 300.000 Besuchern und einer normalen Konzertbühne dürfte nur ein Bruchteil der Anwesenden die Auftritte von CCR, Hendrix, Dylan und Cocker überhaupt richtig mitbekommen haben.
Und deswegen bekommt man in Lees Film auch nicht ein Fitzelchen des reinen Konzertbetriebs zu sehen, maximal am Rande des Hörfeldes huschen ein paar Klänge an uns vorbei wie an Tausenden Besuchern.
Lee, der allen Berechnungen zufolge, selbst nicht in Woodstock dabei war, inszeniert den Film nach den autobiographischen Erinnerungen von Elliot Tiber als eine Art großes Happening, als Ereignis, dessen Summe vom Einzelnen gar nicht in allem Umfang erfahren werden konnte.
Er ist sichtlich bemüht, das „Feeling“ nachzuinszenieren, so wie man es kennt oder oftmals geschildert bekommen hat und ummantelt es mit einer „Ritus-des-Übergangs“-Story, denn Elliot, der brave Sohn einer scheinbar nicht herzlichen und fast abgestorbenen Familie, läßt das Fest geschehen, um sich schließlich darin zu verlieren und ein Stück zu sich selbst zu finden.
Er wird im Verlauf des Films die Kontrolle aufgeben, Drogen nehmen, Erfahrungen machen, Sex haben und die eigene Sexualität (die minimum bi- , aber eher homosexuell ist) vorsichtig tastend zu akzeptieren. Am Ende werden ein paar gute und einige schlimme Erfahrungen sich summieren und ein Aufbruch ins Unbekannte steht bevor – Woodstock als Auslöser einer neuen Generation.
Erst in der allerletzten Szene wird dann wirklich deutlich, wie realistisch Lee Woodstock dann doch rückblickend einschätzt, wenn der Model-Hippie Michael Lang ankündigt, an der Westküste demnächst ein neues Festival „mit den Rolling Stones“ zu veranstalten. Verheißung klingt aus Elliots Rezeption dieser Nachricht, doch wer sich mit Musikgeschichte auskennt, der wird wissen, was diese Ankündigung bedeutet, denn der Festivaltraum von Liebe und Frieden endet im Jahr 1970 auf dem Festival von Altamont brutal während des Auftritts der Stones, als ein farbiger Besucher von den anwesenden Hells Angels, die als Ordner tätig sind, erstochen wird.
„The Party is over!“ – diese leise Mahnung klingt nur selten deutlich durch den Film, der so amüsant und beiläufig abläuft, daß man ihn, kurzsichtig gesprochen, als beiläufig bezeichnen könnte, doch wer genau hinschaut, sieht ein paar Kratzer, die Lee angebracht hat: Lang, dieser Engel mit der soften Stimme, der mit dem Pferd wie ein Fantasyheld über das Gelände reitet, verinnerlicht die beiden Seiten dieses Ereignisses: einerseits verkörpert er den reinen Geist, andererseits ist er ein falscher Prophet, wie alle Zeichen zeigen. Kaltblütig bedient er sich des Geldes der Veranstalter und geht in der Rolle auf; seine Freundin Tisha jedoch konzertiert, daß Michael die Rolle nur solange spielt, wie das Geld spielt und muß später eingestehen, daß die wahren Gefühle bei der Chose zu kurz kommen, zumindest ihre. Aber was ist das auch für ein Held, der Wasser predigt und mit einem Hubschrauber geflogen kommt.
Letztendlich lebt die Festivalkultur in unseren Tagen weiter, doch alles ist Kommerz geworden – und schon hier machen die Kleinstadtbewohner den großen Reibach – in Wacken wird der Film ein Renner. Oder ein Totalflop!
Zwei Dinge könnte man ferner kritisieren: zunächst einmal wirkt der ganze Film wie gewollte Nostalgie, ein betontes Best-Of an tatsächlichen Orten: die Autoschlangen, die seltsamen Begegnungen, der Polizist mit der Blume am Helm, die Schlammrutscherei, ein LSD-Trip, 4000 geschmierte Sandwichs, der sturzartige Regen, der Stromausfall. Das alles ist ein Modell-Woodstock, so echt wie möglich, so echt, daß Lee sogar auf die Split Screen-Technik zurückgreift, die Michael Wadleigh in seiner dreistündigen berühmten Kinodokumentation verwandte. Aber man spürt das Bemühen – doch das könnte man verstehen, wenn man den leichtherzigen Nostalgietrip als selbigen annimmt, der er sein soll.
Etwas schwerer wirkt die unpassende Gewichtung der ernsten Plotelemente rund um das Elternhaus, die verknöcherte Mutter und ihr Geheimnis, die Anti-Haltung der älteren Einwohner, die Distanziertheit von Obrigkeit und Presse, die Machinerie des Hippietums, dessen beste Zeit bereits hinter ihr lag. Die kommen gefühlsmäßig nämlich zu kurz.
Aber vermutlich wollte Lee keinen erdenschweren Film wie es „Brokeback Mountain“ war, sondern eher eine lächelnde Reminiszenz wie Cameron Crowes „Almost Famous“, an den man sich nicht nur in einer Szene stark erinnert fühlt.
Technisch läßt der Regisseur das gekonnt umsetzen, erst wirkt der Film eckig, starr und unbeweglich und gleitet dann immer mehr in ein beschwingtes Midtempo, im Hintergrund das pulsierende Leben, das Dröhnen der Bässe, nicht nur die Besucher wirken lebendig, alles belebt auch den Ort und die Bewohner, am allermeisten Elliots gebeugten Vater.
Dumm nur, daß der Film um mehr als 10 Jahre zu spät kommt, denn die Suche nach großen Gefühlen war in den Indie-Neunzigern größer, wenn auch schmerzhafte, als heute zu Zeiten globaler Krisen, doch zu dieser Zeit widmete sich Lee noch seinem Meisterwerk „Der Eissturm“, der die Gesellschaft und ihre Entfremdung untereinander in der Kälte der Nixon-Regierung in fröstelnde Bilder umsetzt – die totale Antipode zu „Taking Woodstock“, der nur vier Jahre früher spielt.
Es wird schwer sein, eine große Menge Publikum für dieses Thema zu begeistern, auch wenn das 40jährige Jubiläum des Festivals gerade in aller Munde ist, denn in Zeiten, wo der Main Act auf Festivals neben dem Palettensaufen alles ist und in Kinos Starpower regiert, wird dieser fein ziseliert besetzte Film mit einem wunderbar ironischen Liev Schreiber als Transe und einer kaum erkennbaren Imelda Staunton als Mutter (wer kann in dieser Hutzelfrau die resolute Dolores Umbridge aus dem fünften Harry Potter wiedererkennen?) einfach zu speziell und allgemein zugleich sein, um gerade junge Leute zu begeistern, anstatt nur ein paar alte Veteranen der Flower-Power-Zeit aufzurütteln.
Man muß sich schon für Feinheiten der Inszenierung, des Erzähltempos und der Zwiespältigkeit der dargestellten Figuren begeistern können, um ihn in all seinen Facetten genießen zu können – nur dann ist dieser mit leichter Hand inszenierte Trip wirklich substanziell. (8/10)