Was ist ein Groupie? Beispielsweise jenes junge Ding, das Arlo Guthrie in Penns "Alice's Restaurant" (1969) entschieden von sich weist, als sie sich willig dem jungen Star der Musikszene ins Bett schmeißt. Dieser neue Lebensstil - irgendwo zwischen Sex, Musik und Drogen - wird 1969 in dem Roman von Jenny Fabian und Johnny Byrne beschrieben, der erstmals im Rolling Stone Magazine besprochen wurde. Byrne ist vor allem als Drehbuchautor bekannt, der etwa für die Serien "Dr. Who" und "Tales of the Unexpected" Drehbücher verfasste. Fabian ist eigentlich nur durch diese Gemeinschaftsarbeit mit Byrne (den sie als Journalistin kennenlernte) bekannt, der noch zwei weitere Veröffentlichungen folgen sollten. Zudem spielte sie ein einziges Mal als Schauspielerin in einer Folge der Serie "The Wednesday Play" mit, die auf einem Drehbuch von Byrne basiert.
Soviel zum "Groupie"... Nun zum Dietrich. Dietrich ist vermutlich die Nummer 1 des Schweizer Exploitationkinos. Er produzierte zig Jess Franco Filme (darunter die meisten Frauengefängnis-Streifen, an denen sich Dietrich als Regisseur auch selbst versuchte), arbeitete auch mit Francos Stammschauspielerin und Lebensgefährtin Romay zusammen (etwa bei "Rolls Royce Baby" (1975)), er inszenierte den einzig echten deutschsprachigen Sadiconazista-Beitrag "She-Devils of the S.S." (1974) (auch bekannt unter dem Originaltitel "Eine Armee Gretchen") und brachte unter dem Pseudonym Michael Thomas einen Sexfilm nach dem anderen auf den Markt, wobei er ein Konzept (wie bei den bereits erwähnten Frauengefängnis- und Nazilagerflmen) ausreizte solange es nur erfolgreich war. Als Produzent war er an so unterschiedlichen Filmen wie Kurt Raabs "Insel der blutigen Plantage" (1983), Ferreris "Storia di Piera" (1983) oder dem "Kondom des Grauens" (1996) beteiligt. Trotz alles Unterschiede zeichnet eines all die Filme aus, bei denen Dietrich als Produzent tätig war: ein Hang zu mehr oder weniger sensationeller Exploitation, bisweilen angestrengt künstlerisch aufgemotzt.
"Ich, ein Groupie" ist eine von Dietrichs Arbeiten, die man ausnahmsweise als rundum gelungen bezeichnen kann. Huldigte er in anderen Sexfilmen, außer in den exotischen oder historischen Stoffen und den Kammerspielen, auch mehrfach dem Zeitgeist (in "Die Blonde mit dem süßen Po" (1972) thematisiert er deutlich "Easy Rider" (1969) - ein Filmplakat befindet sich auch hier in "Ich, ein Groupie" - und generell stellt er den jugendlichen Identifikationsfiguren spießig-bürgerliche Karikaturen entgegen... ein Verfahren, das bei der Zielgruppe Anklang fand, sich im deutschsprachigen Sexfilm etablierte und Streifen wie "Griechische Feigen" (1977) zu Exportschlagern werden ließ), so ist "Ich, ein Groupie" dennoch mit seinem Aufgreifen eines neuartigen Lebenstils am deutlichsten auf die Zielgruppe zugeschnitten:
Vicky (Ingrid Steeger) gerät nach einem Konzert im Freien erst an den schmissigen Sänger Stewart und Groupie Vivian, dann an Joints und Freie Liebe. Die Wandlung zum Groupie kann beginnen. Da Vicky sich in Stewart verliebt hat muss sie ihm nach der - für ihn eher unbedeutenden - Liebesnacht nach Berlin folgen und nimmt Vivian mit (zu zweit reist es sich angenehmer). In Holland geht das Geld aus und Vivian weiht Vicky in das lukrative Drogengeschäft ein (Shit in Holland kaufen und in der Schweiz teurer verkaufen). Nach dem Drogendeal samt Gruppenkuscheln und Kifforgie schmuggelt man den Stoff im Slip nach Zürich. Ein alter Fettwanst bespitzelt die beiden und sieht wie man sich den Stoff ins Höschen schiebt; Der Schaffner hat indessen Anstand genug der Sache nicht weiter auf den Grund zu gehen, dafür muss der Fettwanst bluten, der offenbar seine Whiskey-Vorräte durch den Zoll schmuggeln wollte (eine dieser bereits angesprochenen, Sexfilm-typischen Szenen die aus Autoritätspersonen Witzfiguren machen; davon bleibt übrigens auch der Schaffner nicht verschont.)
In Zürich verscherbelt man das Zeug für 2/3 der erhofften Summe (was dem Zuschauer eh egal sein kann, da er nicht weiß, wieviel es die beiden gekostet hat) und vergnügt sich in einer Bar, in der Vivian die Dancing Queen gibt während Vicky dem Drummer einen Blowjob zukommen lässt. Es folgt ein Nudistenpicknick im Grünen samt anschließendem Nacktbad. Vorbeiziehende Rocker - stilecht mit Hakenkreuz - entführen die beiden und fahren mit den nackten Frauen in die nächste Stadt (womöglich spielt Dietrich mit der nackten Steeger auf dem Motorrad auf "Vanishing Point" an), wo man ihnen neue Kleider kauft.
Per Anhalter kommt Vicky nach München, trifft in einer Bar Groupie Petra, das "bis auf Bernd alle durch hat" (00:47:52) - gemeint ist Bernd Koschmidder von Birth Control, die auf der Bühne stehen und spielen - und zu berichten weiß dass "ein Groupie so ein Buch geschrieben [hat]" (00:48:02); damit ist die Anlehnung an das Werk von Fabian und Byrne offiziell. Vicky zieht anschließend mit Bernd von dannen (damit hat zumindest SIE ihn durch) und Petra säuft einen alten Knaben (Autorität Nummer 3 die für eine blöde Zote herhalten muss) unter den Tisch, klaut ihm sein Geld und händigt es Vicky aus. Diese schafft es nach Berlin und wird von einem Playboy angemacht und mit LSD versorgt. Ein übeler Trip schmeißt sie in einen Folterverließ-Alptraum (und sollte es stimmen, dass Jack Hill an der Regie beteiligt war, dann geht einiges von dieser Szene sicher auf sein Konto), dem bösen Erwachen folgt eine Flasche Alkohol und nach einem besuch von Petra auch noch Acid und Heroin.
Sowas hinterlässt natürlich Spuren und Vicky rennt von den Schweizer Alpen träumdend nackt durch Berlins Straßen (hier schneidet Dietrich Halluzination und Realität wild durcheinander) und einen krassen Schnitt später liegt sie von einem Wagen überrollt, Blut spuckend auf der Straße und verreckt.
Natürlich hat der Film seine Fehler, alleine die Handlung besitzt Löcher und Unstimmigkeiten ohne Ende, aber auf der formalen Seite kann Dietrich wirklich überzeugen.
Ein Pluspunkt ist der herausragende Soundtrack, ein weiterer Pluspunkt ist Ingrid Steeger (die mit "Der Gorilla von Soho" (1968) angefangen hat und mit "Klimbim" einem breiten Fernsehpublikum bekannt wurde). Vor allem ist jedoch der Schnitt hervorzuheben, mit dem Dietrich dem jungen Kino huldigt und auch so ein junges Publikum erreicht. Ein paar Szenen erinnern in ihrer Montage an Russ Meyer (etwa das Laufen der nackten Steeger durch die Alpen), vieles weist jedoch eher auf Godard hin. (Wobei natürlich auch Meyers Schnitte Godards Schnitten ähneln, aber eher einer Bugs Bunny Ästhetik verschrieben sind.) Dass das keine Zufälligkeit zu sein scheint, zeigt sich daran, dass Dietrich in "Blutjunge Verführerinnen 2" (1972) deutlich das Kommentieren des Films im Film selbst aus Godards "Deux ou trois choses que je sais d'elle" (1967) übernimmt und Godards Werk offenbar ansatzweise gekannt haben dürfte... Und warum auch nicht: immerhin hat er auch einen Ferreri produziert, lässt in seinen Filmen von Andy Warhol schwafeln, zitiert in "Die Stewardessen" (1971) Fellinis "La dolce Vita" (1959) und in "Die Betthostessen" (1972) Fellini generell, kannte wie erwähnt "Easy Rider" sicher und "Vanishing Point" (1971) vermutlich und selbst Kollege Jess Franco - dessen Filme er einige Jahre produzierte - hat in "Necronomicon" (1967) ausgiebig renommierte Autorenfilmer wie Godard, Robbe-Grillet oder Dreyer direkt zitiert.
Die schnellen Schnitte, die stellenweise in wahre Schnittgewitter ausarten, bekommen dem Film gut und lassen ihm einen Rhythmus zukommen, den viele Werke Dietrichs missen lassen.
Und da wäre noch das hervorragende Ende, in dem Dietrich dem anregenden Alpenpanorama den blutigen Autounfall gegenüberstellt. Wirksamer kann man Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen kaum erschüttern. Ähnliches betreibt Gerard Damiano 1973 in "The Devil in Miss Jones": Dort schneidet sich die Protagonistin gleich zu Beginn wenn man noch eine Masturbationsszene erwartet, die Pulsadern auf; diesem Werk ließ Dietrich ein Jahr darauf das Remake "Der Teufel in Miss Jonas" (1974) folgen (mit Schmuddel-Star Herbert Fux).
Das Ende hat auch den Vorteil, dass Dietrich damit nicht nur dem Ziel der Erregung des Sexfilms solch eine Überraschung entgegensetzt, sondern auch die abwertende Zeichnung der Respektspersonen relativiert, indem er den Lebenstil der neuen Generationen als gefährlich brandmarkt, dabei aber nicht nur den moralischen Zeigefinger hebt sondern durchaus auch deren Lebensgefühl rüberbringt; das liegt natürlich daran dass es sich um einen heuchlerischen Exploitationfilm handelt, die Wirkung bleibt jedoch dieselbe und das wertet "Ich, ein Groupie deutlich auf.
Insgesamt ein flotter, unterhaltsamer Film, stilsicher inszeniert, originell und eine 6,5/10 durchaus wert.