"The Bourne Ultimatum" war der Film, der mich mit der shaky cam versöhnte, weil da die Form den Inhalt famos bereichert hat: Die Bild- und Tongestaltung sowie die schnellen, punktgenauen Schnitte schafften eine gehetzte "Atmosphäre der Atemlosigkeit" und der Zuschauer wurde, wie der Protagonist des Films, in einen krassen Adrenalin-Rausch versetzt. Und hinterher war's auch egal, dass die Erzählung Grütze ist.
"Green Zone" schlägt gestalterisch in die gleiche Kerbe, besitzt aber zu wenig mutige Weiterentwicklung des Stils. Greengrass' neuer Streifen ist formal einfach nicht radikal genug, um den Betrachter in einen Rausch zu versetzen und ein Gefühl zu schaffen für das schiere, unüberschaubare Chaos, die permanente Gefahr, die Paranoia sowie die Unhygiene im Hexenkessel Baghdad. Zudem ist der Film erzählerisch zu ordentlich strukturiert. Die divergierenden Meinungen und Intentionen innerhalb der amerikanischen Besatzer sowie deren Kampf untereinander hätte viel komplexer und unüberschaubarer ausfallen müssen, auf dass der Zuschauer in einem Gestrüpp versinkt und die Orientierung verliert. Vor allem nimmt Greengrass immer wieder Tempo aus Millers furioser Jagd heraus, um in unpassend langsam gepacten und ellenlangen Dialogszenen politische Aufklärung zu betreiben, die gar keine ist, weil die Fakten eh jedem bekannt sind. Das hätte alles krasser und brachialer ausfallen und mehr mit aufrüttelnden Bildern arbeiten müssen. Dem Zuschauer weniger erzählen, sondern ihm mehr zeigen und ihn selbst erleben lassen.
Und angesichts der amerikanischen Machenschaften hätte der Ton des Films viel wütender und bitterer ausfallen müssen als letztendlich der Fall ist. Auch (der vom nicht vorhandenen Sinn seines WMD-Suchauftrags enttäuschte und nach Wahrheit suchende) Miller hätte mehr Amok vertragen können. "Green Zone" bräuchte mehr Aggression, mehr menschliches Leid, mehr Guerilla-Kriegshorror beim Häuserkampf, mehr explizite Gewaltdarstellung, mehr Wut auf die eigene Regierung. Und das alles hätte viel hektischer, expliziter und böser inszeniert werden müssen, um den Betrachter in einen wütenden Adrenalin-Rausch zu versetzen.
Das war jetzt Meckern auf hohem Niveau. Denn natürlich ist "Green Zone" frenetisch und furios. Und durch seine Bild- und Tongestaltung stößt er natürlich dem konservativen Durchschnitts-Zuschauer und dessen Vorstellung von Film vor den Kopf, was gut ist. Zwar hätte "Green Zone" ruhig noch radikaler ausfallen können, aber er besitzt einige absolut packende Sequenzen: Besonders die Hatz durch das nächtliche Baghdad im letzten Drittel ist absolut spannend und wirkt nicht zuletzt aufgrund der sich immer bewegenden, nah rangehenden Kamera und der grobkörnigen Digitalphotographie sehr unmittelbar und erzeugt ein realistisches Gefühl allgegenwärtiger Gefahr. Aber auch Dinge wie die Enttäuschung der irakischen Bevölkerung über die mangelnde Hilfe der angeblich Demokratie und Freiheit bringenden Amerikaner wird gut transportiert in einer anderen spannenden Szene früher im Film, als verbitterte Iraker mit leeren Wasser-Kanistern einen amerikanischen Konvoi umzingeln und das Ganze zu eskalieren droht. Und mit Hubschrauber-Flügen über die engen Gassen und uniformen Häuserfassaden Baghdads versucht der Film zumindest, die irakische Hauptstadt als unüberschaubaren Ort darzustellen, an dem hinter jeder Ecke der Tod lauern kann.
Währenddessen verbarrikadieren sich die amerikanischen Entscheidungsträger in ihrer Green Zone und fällen krasse Fehlentscheidungen, weil sie abgeschnitten sind von der Kultur des Landes und der Stimmung innerhalb der Bevölkerung.
Insgesamt also ein spannender Film, der den Betrachter durch seine visuelle Gestaltung und sein schnelles Timing sehr nah ans Geschehen führt und ein gewisses Gefühl von Realismus einerseits, Brisanz und Dringlichkeit andererseits schafft.
Ein Problem ist allerdings Helgelands viel zu gutes Drehbuch. Nicht nur strukturiert er wie schon erwähnt seine Geschichte viel zu klug und viel zu ordentlich angesichts des herrschenden Kriegs-Chaos. Auch nimmt zu reichliche verbale Sachverhalts-Vermittlung "Green Zone" viel Tempo und Atmosphäre. Vor allem jedoch ist Helgeland in seiner Sprache manchmal zu elaboriert und zu fein angesichts der Umstände:
Zum Beispiel als der einbeinige Iraker Freddie einen bedeutungsschwangeren typisch amerikanischen Drehbuch-Monolog über seine Gefühle und seinen irakischen Patriotismus aufsagt und dadurch dem Amerikaner Miller die Augen dafür öffnet, worum es im Irak eigentlich gehen sollte: die Menschen. Nicht, dass ein Iraker keine Sorgen über die Zukunft seines Landes äußern dürfte (im Gegenteil), aber sie sollten anders kommuniziert werden als in solchen Worten, die sofort als pathetisch typisch amerikanischer Drehbuch-Monolog und somit als Autoren-Konstrukt erkennbar sind. Und es ist ein generelles Problem von Helgeland, dass er zu große und zu kluge Worte konstruiert. Endgültig ins Klo greift er mit dem hochtrabend und ruhig vorgetragenen "It's not for you to decide what happens here" nach dem Schuss am Ende. Das ist ein guter, pointierter Drehbuch-Kniff, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, passt aber nicht in die Situation.
Nichtsdestotrotz muss man das Bestreben der Filmemacher loben, dass sie der geschundenen irakischen Bevölkerung durch die Figur des Freddie ein menschliches Gesicht und, wie Freddies Tat am Ende des Films belegt, einen eigenen Willen verleihen. Ein Volk, das erst unter Diktatur, dann unter hilfsunfähiger, ignoranter amerikanischer Besatzung existentielle Not leidet und zudem von ethnischen, bürgerkriegsähnlichen Konflikten bedroht sieht. Vielleicht ist genau das (neben der rasanten Inszenierung) der eigentliche Verdienst von "Green Zone". Die ellenlange Abhandlung über hinlänglich bekannte konstruierte Kriegs-Gründe kann's nämlich nicht sein.