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Unerfreulich und beschwerlich, wie ein stetiger Gang in die Abgründe des Lebens hinab, dessen Tageslicht der Hoffnung man schon lange verlassen hat, man die Hand vor Augen nicht mehr sieht und sich nur noch tastend durch die wolkenverhangene Ebenen oder gleich apathisch treibend in das nächste Unglück bewegen kann. Unwirtlich von Nebel und Kälte und Schmutz umhüllt, ein Ort, an dem eigentlich kein Aufenthalt ist, wie gerodetes Ödland, vollkommen brachliegend, unzugänglich, heruntergekommen, mit keiner oder nur geringer Überlebenschance. Ein versifftes Felsengebirge inmitten klimatischer Hölle, abstoßend unschön und überflüssig, feindsam, aggressiv und gewalttätig.
Eine Lokalität muffiger Kellerlöcher, in der alle Rücksichten auf Gesundheit, Sitten und selbst den gewöhnlichsten Anstand gänzlich vernachlässigt werden: Hong Kong 1983.

Ein Jahr zuvor begannen die joint venture Verhandlungen zwischen GB und China über die Rückgabe der Sonderverwaltungszone an das Mutterland. Patrick Tams Nomad sandte in seiner Behandlung realistischer Themen mit ungeschönter Direktheit bis hin zu abschreckender Brutalität eine Schockwelle durch die Filmindustrie; weitere new wave Arbeiten, die bevorzugt eine düstere, von beklemmenden Ahnungen erfüllte Tristesse mit rapide ansteigender Gewalt aufnotierten, mussten sich der Zensur beugen. Das aktuelle Horrorgenre entströmte in schnöder Regelmäßigkeit das Gift der Woche in den Kinos, während sich die Zukunft des Territoriums schwarz färbte und erste Auswanderungswellen nach sich zog.

Die beiden Autoren-Frischlinge Cheung Kwok Kuen und Kwok Wai Bing schrieben gemeinsam ihr erstes und einziges Drehbuch, dass mit dem reißerischen, Amok laufenden Titel Rape and Die schludrig von dem unbedeutenden Lee Wing Cheung verfilmt wurde, keinerlei Aufhebens an der Kasse machte und heutzutage vielleicht noch wegen eben dieser fälschlichen Lumpenproletariat-Aufmachung und zwei bekannteren Darstellern überhaupt ein Begriff ist.
Cheung war angehender Editor, Kwok Nebendarstellerin in no name adult Werken, mit stark nachlassender und mittlerweile schon pausierender Beschäftigung. Ihr kompensierendes Skript eine überladene Abfolge von unansehnlich, unästhetisch, uneleganten Situationen in wild fuchtelndem Soapaufriß; wie eine pamphletisierende, zur bloßen Abschreckung dienende Strafpredigt vom Obersten Seelenhirten der Region. Eine Akkumulation von Qual, Sklaverei, Brutalisierung, Unflätereien, moralischer Degradation und staatlicher Unwissenheit / Müßiggang, die dem Alternativtitel Born without Hope weitaus deutlicher entsprechen als dem heischenden Marketingkonstrukt. Welches allerdings als greuliche Zusammenfassung im Satzgliedkern auch seine Berechtigung findet:

Der heranwachsende, noch minderjährige Ah-Feng [ Chow Sau Lan ] bekommt eines Morgens auf dem Weg zur Schule von einer Fremden eine Reisetasche in die Hand gedrückt; nur Sekunden später nimmt sie ihr Ah-Chiang [ Ray Lui ] wieder ab. In der Tasche sind allerdings nicht die erhofften Juwelen, die er seinem Boss bringen sollte, sondern ein Neugeborenes. In dem Verdacht, seine Auftraggeber hereingelegt zu haben sucht er Ah-Feng auf, die in der Zwischenzeit von dem Freund Hung [ Ng Man Tat ] ihrer als Prostituierte anschaffenden Mutter [ Chen Pei Hsi ] vergewaltigt wurde. Ah-Feng flüchtet zu ihrem Vater [ Lau Dan ], der sich aber lieber in Hostessenbars aufhält, um Teenager aufzureißen.

Klingt übel, ist es auch.
Ein endloses, aussichtsloses, wahnsinniges Wühlen im Dreck, Verfall, Verwesung, wie eine zerfahrene Trauerrede, die vom Todeskandidaten selber gehalten wird. Aber kein analysierendes Positionspapier über den vermeintlich realistischen Zustand von besitzloser Armutei, mit einer Hinterfragung der Konfliktpotentiale oder einem propagandistischem Impuls, viemehr eine in seiner pessimistischen Simplizität beinahe einfältig wirkende Durchhalteshow, fern von jeder Differentziertheit, jeder Komplexität, einer Aussage und auch konstruktiven Kritik hinsichtlich der Agonie von wirtschaftlicher Krise und politischer Ohnmacht. Zwar weniger exploitativ ausgestattet als es die minderwertige Verkleidung vortäuschen möchte oder vortäuschen muss, aber auch als läuterndes Drama über Sozialhorror durch seine eigenen ineffizienten, uninspirierten Unruhen wahrlich nicht erfolgreich.
Die grell geschminkte Reise durch die erbärmlich kleinen, schmutzigen, augenscheinlich nie gereinigten Wohnungen mit kläglicher Ventilation und kargem Licht, die schier erdrückende Menge an maßlosen Tragödien, die entsprechend entkräftend-ermüdende UnDramaturgie führen zu einem überlastend aufbürdenden Geschehen, dass den Zuschauer nie fordernd im Appell ansprechen oder in die Garantenstellung setzen und so in Pflicht nehmen, sondern nur spröde vertreiben mag.

Keine dynamische Interpretation, kein Ausgangselement, keine Schwerpunkte der Deutung, kein wirkliches Zentrum der folgenden Betrachtungen, nur permanente eben noch niederträchtiger, noch unappetitlicher, noch abscheulicher entwickelnde Vorkommnisse ohne Belege oder Motivation. Die bei der Kindesaussetzung scheinbar erst anfangen und sich dann überstürzt, nicht mal wirklich engagiert, eher wie aus kasteiendem Zwang die ganze Spirale über Verlassen des maroden Schulsystems, Missbrauch, unfreiwillige Schwangerschaft, versuchte illegale Abtreibung, Hurerei, Raub, Drogen, Folter, Unfall mit Fahrerflucht, erneute Angriffe, Geisteskrankheit, Mord ins hässlich feuchte Elendsgrab hinunter quälen.
Alles ist immer klar und eindeutig mies, ohne Ruhe für die genauere oder gar einfühlende Beobachtung und der Geduld für Details. Es gibt nie etwas Anderes, dass einen neuen Aspekt eröffnet.
Böse denken heißt böse machen.

Was bei anderen Regisseuren wie Tam oder weiteren zeitgleichen urbanen Vertretern der Zunft wie Nam Nai Chois Brothers from the Walled City oder Clarence Fords On the Wrong Track noch mit Feinheiten, Anspielungen von moralischem Interesse oder wenigstens der Skizze eines großen Erzählbogens mit Repulsion und Attraktion verziert. Und so die Anteilnahme nicht über die ewige Betonung der Authentizität, allerdings mit inszenatorischen Mitteln auch zuweilen von Vergnügen und Ergötzen erreicht wurde, findet man hier nur ein spannungsloses, da nach wenigen Einheiten absehbar phlegmatisches Schinden und über Gebühr Beanspruchen vor. Ein rückständiges Schockieren um des sturen Prinzips willen, in dem das Entlegenste noch ganz selbstverständlich sein soll, nach pünktlichen Minutentakt, der keinerlei Zeit zum entspannend Aufatmen oder auch mal frohlockend Hoffen gibt und auch sonst kein Zutritt zu Charakteren und Identifikation gewährt. Nie ist ein Bestreben seitens der Regie oder ihrer Figuren vorhanden, in diesem kümmerlichen Jammer so etwas wie eine ordnende Kraft herzustellen. Ein ungeschicktes, durch die alleinig repetierende Wiederholung und der bald nutzlos verhallenden Über-Drastik auch nichts sagend geschichtsloses Etwas mit degenerierenden Sog, dass zwar die Weisheit im Schmerz sucht, aber die Erhellung dieser Aspekte vollkommen außen vor lässt. Und sich mit aufgesetztem Nihilismus stetig verschlossen wie ein zugeschütteter Schwefelschacht verhält; ohne dem Zuschauer auch nur den Hauch der Chance einer Stellungsnahme zu geben.

Während Tam abstrakte Verkörperungen seiner philosophischen Reflexion auf Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" mit Ironie, Sarkasmus und dem Bizarren artikulierte und sich trotz allem Aufruhr der Zeit ernsthaft bemühte, einen Sinn des Lebens zu suchen und das menschliche Potential erkunden und fördern wollte, werden hier schon grundlegende Bedingungen des zwischenmenschlichen Umgangs negiert.
Wenn die Umgebung für niedere Wesen am günstigsten gestaltet sei, folgt laut ebenfalls Nietsche daraus, dass niedere Wesen am ehesten überlebten. Er wünschte sich eine härtere Gegenwart für die menschliche Gesellschaft. Die bekommt er hier, der Ansatz unter diesem Unhold ist vielleicht ambitionierter Natur, mit einer womöglich bewusst formulierten Rohheit der szenischen Zersetzung. Aber man zeigt keine Demontage, weist keinen Prozess, keine Reife, keine Entfaltung oder Vertiefung auf und verläuft sich planlos in seinem eigenen verwilderten Notstandsrevier verkrusteter Strukturen.

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