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Vera Farmiga spielt eine zweifache Mutter, die nach einer Totgeburt tagtäglich von Alpträumen geplagt wird und nach Überwindung ihres langwierigen Alkoholproblems, das beinahe zum Unfalltod der Tochter geführt hätte, schließlich gemeinsam mit ihrem Mann, gespielt von Peter Sarsgaard, beschließt, ein drittes Kind zu adoptieren. Sie adoptieren eine Neunjährige, gespielt von Isabelle Fuhrmann, die für ihr Alter ausgesprochen reif, intelligent und kreativ zu sein scheint. Doch die Freude über das dritte Kind währt nicht allzu lang, da insbesondere der Mutter zunehmend unheimliche, beängstigende Charakterzüge an der adoptierten Tochter auffallen.

"Carrie" hat es gezeigt: Nicht nur psychopathische Killer wie Norman Bates, Michael Myers, Freddie Kruger, oder Hannibal Lecter sorgen auf der Leinwand für Angst und Beklemmung, sondern auch, oder insbesondere, besonders unheimliche oder dämonische Kinder und Jugendliche. Auf dieses Konzept, gewissermaßen das des Wolfes im Schafspelz, setzten auch Donners Horror-Klassiker "Das Omen", so ziemlich die Hälfte aller japanischen Horrorfilme inklusive deren Hollywood-Remakes wie "The Ring" oder "Dark Water" und zuletzt auch der deutsche Abklatsch des Genres "Der Gonger". Aber in kaum einer anderen Produktion geht das Konzept so gut auf, wie es bei "Orphan" der Fall ist, der aus dem stereotypen Einerlei an Fließbandhorrorfilmen überdeutlich herausragt und nach den zahlreichen enttäuschenden Großproduktionen des Kinosommers neben "Hangover" eine der positivsten Überraschungen des Kinojahres darstellt.

Der Film beginnt. Eine Frau auf dem Weg in den Kreissaal, sie verliert auffallend viel Blut. Während ihr Mann in Erwartung des Kindes lächelnd die Digitalkamera bedient, teilt ihr die Hebamme mit, dass ihr Kind tot ist; vielleicht als Folge des Alkoholproblems. Dann das Schreien eines Kindes, oder mehr eines deformierten Etwas, wie die Mutter schließlich feststellen muss. Sie wacht auf.

Mit dieser alptraumhaften Szenerie, die sich schließlich als solche entpuppt, beginnt "Orphan" und weicht zunächst einem Familiendrama. Langsam und präzise werden im Anschluss die Charaktere konstruiert, die durchaus an Tiefe gewinnen, die wiederum im späteren Verlauf des Mystery-Thrillers von entscheidender Bedeutung sein wird. Da hätten wir also die Mutter, die aufgrund ihres Alkoholproblems ihren Job nicht mehr ausführen konnte, nicht imstande war, ihrer kleinen, taubstummen Tochter zu helfen, als diese in den benachbarten Teich einbrach und nur zufällig durch ihren Ehemann gerettet werden konnte und vermutlich auch aus diesem Grund die Fehlgeburt bekam. Unter diesen Vorfällen leidet sie auch weiterhin und auch die Ehe mit ihrem Mann, die sich langsam aber sicher wieder zu festigen scheint, befindet sich nach wie vor auf dem schmalen Grat zur Scheidung. Als Neuanfang soll nun ein Kind adoptiert werden und zunächst scheint die Familienidylle hergestellt.

Nach dem Beginn des Familiendramas, der als Exposition den Film direkt auf ein dramaturgisch hohes Niveau hievt und den folgenden Psycho-Thriller umso eindringlicher gestaltet, werden zunehmend merkwürdige Facetten an der jungen, begabten Adoptivtochter aufgezeigt. Dabei kreiert Regisseur Jaume Collet-Serra, der bereits mit "House of Wax" Erfahrungen im Genre sammeln konnte, von Anfang an eine Atmosphäre, die kaum dichter sein könnten. Angefangen bei der hervorragend gewählten Kulisse des dunklen Blockhauses, das einsam inmitten eines verschneiten, düsteren Waldes liegt, über die zahlreichen Schockmomente und die Andeutungen dieser mit langsamen Kamerafahrten in die dunklen Winkel des Hauses, macht Collet-Serra beim Aufbau der Atmosphäre wirklich alles richtig.

Langsam aber behäbig treibt Collet-Serra den Plot im Folgenden voran. Ruhig, eindringlich, mit überaus zurückhaltendem Einsatz von Musik, die, wenn sie verwendet wird, die Spannung noch weiter steigert und die teilweise durchaus überraschend eingestreuten Ton-Effekte noch besser zur Geltung kommen lässt, nimmt "Orphan" Stück für Stück an Fahrt auf und steigert die Spannung permanent, weitestgehend ohne Schwachstellen oder Fehler. Während sich immer mehr merkwürdige, mitunter unheimliche Charakterzüge bei der suspekten Neunjährigen ergeben, die mit rücksichtslosem, teuflischem Kalkül die Ehe ihrer Adoptiveltern zu zerstören versucht und die jüngere, taubstumme Tochter der Familie für ihre Zwecke manipuliert und instrumentalisiert, wird die Dramaturgie zunehmend durch das Bröckeln der Ehe weiter angeheizt, wobei die Spannung bis zuletzt weiter ansteigt. Immer, wenn man als Zuschauer meint, der Höhepunkt müsse doch erreicht sein, steigert Collet-Serra den Spannungsbogen noch weiter, ohne, dass er auch nur für eine Minute auf der Stelle treten würde. Die Gewaltszenen, die dabei verwendet werden, sind zwar nicht derart explizit, wie zuletzt bei "Antichrist" oder den "Saw"-Filmen, dafür aber um ein vielfaches erschreckender und intensiver und darüber hinaus über die Lauflänge vorbildlich dosiert.

Der Spannungsbogen findet seinen Höhepunkt im nervenaufreibendem Finale, das nicht minder spannend als die von "Sieben", "Saw" oder "Der Exorzist" ausfällt und einen Film beendet, der definitiv zu den besten seines Genres gezählt werden kann, auch wenn im Mittelteil durchaus einige Stereotypen Verwendung finden. Verzeihlich ist dies jedoch allemal, da die Produktion nicht allzu dicht an den Handlungsbahnen des Genres orientiert ist, vor allem im Zusammenhang mit der Manipulation der Familienmitglieder durch das Adoptivkind einige Innovationen einfließen und "Orphan" allein schon aufgrund der starken Charakterkonstruktion und des eingebetteten Familiendramas zu jedem Zeitpunkt auf eigenen Füßen steht und nicht zum Abklatsch altbekannter Vorbilder verkommt. Zur Abrundung gibt es dann auch noch einen finalen Twist, der durchaus zu überzeugen weiß und im Laufe des Films gelungen vorbereitet wurde. Nach dem finalen Kampf, der durchaus unter die Haut geht, endet der bis dato spannendste und atmosphärischste Film des Jahres.

Da trotz aller Bemühungen um atmosphärische Dichte und einen lupenreinen Spannungsbogen das Gelingen des Films im Endeffekt doch von dem Gefühl der Bedrohung, das von der unheimlichen Neunjährigen ausgeht, abhängt, steht und fällt "Orphan" mit seiner 12jährigen Hauptdarstellerin Isabelle Fuhrmann. Und die macht ihre Sache ausgezeichnet. Sowohl als liebenswerte, dankbare Adoptivtochter, die zunächst wie das Idealbild einer Tochter wirkt, als auch als bedrohliches, diabolisches Monstrum, dessen rücksichtsloses Kalkül und Gewaltbereitschaft wirklich erschreckend sind, überzeugt sie auf ganzer Linie. Im Mittelteil umgibt sie, selbst in den Szenen, in denen sie mit ihrer braven, höflichen Art für den unbefangenen Zuschauer nett und sympathisch wirken sollte, eine düstere Aura. Was sie in den Mord-Szenen und im Finale als rasende Mörderin zeigt, ist dann ebenfalls ausgezeichnet und so ist sie am Gelingen des Films maßgeblich beteiligt.

Dass die 12jährige, bisher im Grunde vollkommen unbekannte Isabelle Fuhrmann im Cast durchaus herausragt, heißt jedoch nicht, dass die erfahreneren Darsteller ihre Sache nicht ebenfalls hervorragend machen würden. So überzeugt Vera Farmiga, die eher durch Nebenrollen in größeren Produktionen wie in "Running Scared" oder "Departed" in Erscheinung getreten war, ebenfalls. Am Anfang zieht sie den Fokus, das Mitleid und die Sympathien der Zuschauer ganz klar auf ihren Charakter, zeigt bei der Totgeburt eine besonders eindringliche Vorstellung, ist beim Lesen der Gutenachtgeschichte bei ihrer kleinen Tochter praktisch rührend gut und meistert ihren zerrissenen Charakter auch im weiteren Verlauf des Films wirklich ausgezeichnet. Daneben ist auch die junge Aryana Engineer in der Rolle der taubstummen Tochter erfreulich gut besetzt und derart liebenswert, dass man sich ihr kaum entziehen kann, während auch der dritte Kinderdarsteller, Jimmy Brennett, eine ordentliche Leistung auf die Leinwand bringt. Peter Sarsgaard, der unter Anderem in "Flight Plan" und "Jarhead" mit von der Partie war, wirkt dagegen temporär relativ blass, bildet aber mit seiner zurückhaltenden, mitunter gleichgültigen Darstellung einen gelungenen Gegenpol zu Vera Farmiga.

Fazit:
Auch wenn "Orphan" nicht ganz frei von Genre-Stereotypen ist, handelt es sich bei ihm doch um einen der besten Mystery-Thriller der letzten Jahre, der weit aus der Masse an lieblosen Fließbandproduktionen herausragt. Darstellerisch wie inszenatorisch über jeden Zweifel erhaben, fesselt der Film mit seiner enorm dichten Atmosphäre durchgehend, überzeugt besonders durch seinen stringenten Aufbau und treibt die Spannung damit bis zum Schluss, der zudem mit einem gelungenen finalen Twist daherkommt, auf die Spitze. Zudem erweist sich die Symbiose aus Familien-Drama und Horrorfilm als enorm eindringlich, spannend und nervenaufreibend, womit der Film jedem ans Herz gelegt sei, der noch einmal einen meisterhaft gelungenen Suspense-Film sehen will.

95%

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