Als sich John Lasseter 1975 für einen Studiengang für Figurenanimationen beim CalArts in Californien einschrieb, dürfte er sich nie im Leben erträumt haben, wie sein Lebensweg einmal aussehen dürfte. Alles fing klein an und erreichte mit "Wall-E" nun im letzten Jahr erneut wieder einen der absoluten Höhepunkte in der Schaffenskraft von Lasseter & Co. Die Rede ist natürlich von Pixar, dem definitiv gigantischsten Filmstudio in Sachen 3D-Animationsunterhaltung. Egal ob es die Technik ist oder der Inhalt, Pixar spielt mit nahezu jedem ihrer Filme in der allerobersten Qualitätsliga mit und ein Jahr ohne Oscarauszeichnung ist für die Herren fast schon undenkbar. Obs auch bei "Oben" klappen wird, dem nun neusten Streich der laufenden Pixel, bleibt abzuwarten, denn so ganz an seine Vorgänger mag dieser nicht rankommen. Für beste Filmunterhaltung reicht es jedoch auch diesesmal wieder.
Vor allem weil Pixar Mut beweist und diesesmal eine Geschichte präsentiert, die nicht durchgehend nur für Heiterkeit sorgt. Denn die Story handelt von Carl Frederiksen, einem Mann, der seinen Lebensabend allein und leicht griesgrämig versucht zu verleben. Seine Frau ist gestorben und die Einsamkeit macht sich immer mehr in seinem Leben breit. Doch da ist ein Traum, ein Traum den er schon seit vielen Jahren hat. Nämlich einmal mit seinem Haus nach Afrika zu fliegen. Und als ihm der Krach in seiner Umgebung wieder einmal zuviel wird, setzt er diesen Traum endlich in die Tat um. Doch schon bald wird der "Ballonflug" gestört, denn nicht nur ein dickliches Pfadfinderkind hat sich in den wahrwerdenden Traum eingeschlichen, auch ein bunter Vogel, sprechende Hunde, sowie ein verrückter Wissenschaftler machen Frederiksen schon bald das Leben ziemlich schwer... Ohne Frage, schon allein beim Lesen der Inhaltsangabe kann man sich ungefähr ausmahlen, was einen erwartet. Eine durchaus tiefgründige Geschichte, welche mit den Pixartypischen, liebenswerten Verrücktheiten untermalt ist und vor allem mit Charakteren protzen kann, die (nahezu) durch die Bank weg megasympathisch sind. Kurzum, auch "Oben" bietet besten Stoff, um alle Qualitäten des Studios auszureizen.
Und dabei ist es vor allem der Beginn, welcher so prächtig geraten ist und definitiv gleich den gelungensten Teil ausmacht. Denn die Vorstellung von Frederiksen, sowie das Schildern seines Lebens in kurzen, aber äußerst prägnanten Rückblenden, ist mitunter von einer Ernsthaftigkeit gezeichnet, welche man bei Pixar sonst eher selten erwartet. An manchen Stellen könnte das Gezeigte sogar die Kleineren überfordern, wenn Frederiksen ein ums andere Mal um seinen Traum gebracht wird und sogar die Frau wegstirbt. Diese Szenen sind teilweise auf einer derart realistischen Schiene gehalten worden, dass sich manch einer für ein paar Minuten wie im falschen Film fühlen könnte. Doch dabei sind es gerade diese Szenen, die auch den Wachstumsprozess von Pixar, welcher (im positiven Sinne) sicherlich nie Enden wird, bestens veranschaulichen und zeigen, dass auch ein Pixarfilm nicht immer nur von fröhlichen und kindlichen Fantasien leben muss, um zu überzeugen, sondern es auch mit wirklich ernsten Themen hinbekommt zu unterhalten. Schon "Wall-E" war da vorzüglich, doch diese ersten 20 Minuten des Films kommen der Realität noch ein ganzes Stückchen näher.
Sobald sich Frederiksen aber in die Lüfte begibt und anfängt mit seinem Haus durch die Wolken zu schweben, zeigt Pixar dann doch wieder das, was man eigentlich von ihnen erwartet: kindliche Fantasien und Träume, in bestmöglicher Art und Weise, auf die Leinwand gebracht. Neben dem fliegendem Haus muss sich Frederiksen dann, auf teils höchst amüsante Art und Weise, mit einem merkwürdigen bunten Vogel herumschlagen, mit einem nervigen Pfadfinder-Balk und mit Hunden, die sprechen können. Eben typisch Pixar oder auch Disney. Doch Moment, wirklich sprechen können die Hunde nicht. Denn auch hier gibt es einen knackigen Griff zu bewundern, welcher so aussieht, dass die Hunde hier nur durch die Erfindung eines Tüftlers so etwas ähnliches wie sprechen können, genauer gesagt, ihre Gedanken in menschlich verständliche Laute umwandeln. Das diese dann teils doch etwas zu Klischeehaft ausfallen, mag manch einen stören (natürlich hassen alle Hunde Katzen, natürlich wollen sie immer Bällchen holen und natürlich sind es immer die gleichen Rassen die die Guten und die Bösen darstellen), andererseits bürgen diese Szenen aber auch immer wieder für wohlige Lacher, so dass man sich der Sache dann doch, mit einigem Wohlwollen, annehmen kann.
Sowieso sollte man jetzt nicht der Meinung sein, dass Pixar sein zunächst recht ernstes Werk wieder in völlig kinderfreundliche Unterhaltung kippen lässt, denn dem ist definitiv nicht so. Zum einen weil die Anfangsszenen, trotz des recht erwachsenen Beginns, nicht völlig Kinderuntauglich sind, sondern weil Pixar einen gewissen Ernst auch nach der Einführung durchgehend beibehält. Zwar regiert nach 20 Minuten irgendwann wirklich der Spaß und die Fantasie und es ist nur logisch, dass vor allem Kinder sich dabei alles in allem wohler fühlen dürften, als noch vor einigen Minuten, doch die Tiefe der Frederiksen-Figur bleibt bis zum Schluss erhalten und der Ernst dahinter ist, trotz allem, immer noch deutlich erkennbar, zumindest für das geschulte Auge. Denn wirklich albern wird Frederiksen nie und vor allem der unterschwellige Aufbau der großväterlichen Beziehung zum kleinen Pfadfinder, ist immer noch vom vielschichtigen Beginn unterfüttert, was zwar Kindern nicht komplett bewusst sein dürfte, dem erwachsenen Animationsfreund dafür aber umso mehr. Und von Pixar zu erwarten, dass sie den Ernst im vollen Umfang des Beginns beibehalten, wäre vielleicht sogar ein wenig töricht. Denn Pixar ist und bleibt nun einmal ein "Familienunternehmen", welches hauptsächlich mit der kindlichen Fantasie spielt und dafür bilden die Einfühung, inkl. auch manch rüderer, gar blutiger Szenen, und der ernste Grundton schon eine gewisse Überraschung ab.
Das es alles in allem dennoch nicht ganz zum üblichen Meisterwerkstatus reicht ist dabei vor allem dem etwas zu überfülligen Mittelteil geschuldet. Die Jagd der "sprechenden Hunde" auf den "bunten Vogel" wirkt auf Dauer ein wenig ermüdend und nervig, vor allem auch, weil der Oberkläffer hier zeitweise mit einer derart penetrant piepsigen Stimme redet (im Alvin & die Chipmunks-Stil), dass diese wirklich negativ heraussticht. Und auch wenn dann der eigentliche Schurke seinen ersten Auftritt als Schurke hat, welcher übrigens ein ehemaliges Idol von Frederiksen ist, fühlt man sich auch leicht ermattet, da dieser dann, selbst für Pixar- bzw. vor allem Disneyfilme, ein wenig arg klischeehaft daherkommt. Aber insgesamt sind diese störenden Elemente dann doch noch gering genug, um einen nicht wirklich zu ärgern. Und das Ende ist dann mal wieder Disney-/Pixarkitsch, der wirklich positivsten Sorte.
In Sachen Inszenierung selbst gibt es dann noch zu sagen, dass Pixar hier zwar einen etwas kantigeren und weniger glatten Animationsstil gewählt hat, als z. Bsp. bei "Wall-E", dieser aber insgesamt gut zum ganzen Filminhalt passt. Herrlich vor allem das Gesicht von Frederiksen, welches genauso quadratisch ausgewogen daherkommt, wie seine kantige Brille, während seine Nase ein dicker Knubbel ist, stark im Kontrast zu seinem Mittläufer, dem dicklichen Pfadfinderjungen, dessen Gesicht Eiförmig und mit Mininase programmiert wurde. Dazu eine passende Arbeit aus der Soundabteilung und wunderbare Synchrosprecher, welche Ihre Arbeit durchgehend bravourös gestalten. Kurzum, wers nicht immer so glatt und protzend animiert braucht, wie z. Bsp. bei "Monster AG", der darf sich erneut auf eine Inszenierung at its Best freuen.
Fazit: Ein neuer Pixar, ein neues Meisterwerk? Na ja fast, da sich "Oben" im Mittelteil doch ein wenig hängen lässt, ab und an mit einer quitschigen Hundepiepsstimme nervt und den Obermotz im Endeffekt nicht ganz so kreativ daherkommen lässt, wie den ganzen Rest. Ansonsten aber weiß auch dieses Werk wieder bestens zu gefallen, beweist teilweise sogar ordentlichen Mut, mit seinem ernsten, realitätsnahen und recht erwachsen wirkenden Beginn. Später muss dieser zwar den üblichen Pixarstrickmustern dann doch ein wenig weichen, was aber keineswegs als negativ betrachtet werden soll, da man von einem Film für die Familie, welcher hauptsächlich nun doch einmal die lieben Kleinen unterhalten soll, nicht wirklich 100 Minuten Drama am Stück erwarten kann. Wer also von Pixar immer noch nicht genug hat, ernsteren Grundthemen im Animationsfilm nicht abgeneigt ist, sich dann aber auch freuen kann, wenn die ernste Thematik der Familienheiterkeit ein wenig weicht, der wird auch an "Oben" seinen, hier und da durchaus vielschichtigen, Spaß haben!
Wertung: 8,5/10 Punkte