Der Begriff "oben" impliziert auch immer die Höhe, aus der man schmerzhaft herunterfallen kann. Genau das passierte dem berühmten Abenteurer Charles Muntz, nachdem er von einer geheimnisvollen Expedition zurück kam. Er brachte das Skelett eines unbekannten Riesenvogels mit, das von den Wissenschaftlern als Fälschung bezeichnet wurde, weshalb der bisher so Verehrte seine Reputation verlor. Mit seinem Zeppelin flog er wieder zurück in das unbekannte Land, um zu beweisen, dass es dieses Tier wirklich gegeben hat.
Zum Zeitpunkt dieser Ereignisse war Carl Fredericksen noch ein kleiner Junge, für den Muntz ein Held war. "Oben" macht schnell deutlich, dass es sich bei den sonstigen Protagonisten seiner Geschichte nicht um Helden handelt. Der kleine, bebrillte Carl begegnet zufällig einem munteren Mädchen, dass sich für den stillen, eher ängstlich wirkenden Jungen so begeistert, dass sie Freunde werden und später heiraten. Ellie ist ein Glücksfall für Carl und obwohl sie keine Kinder bekommen können, bleiben sie glücklich bis ins hohe Alter. Bis Ellie stirbt und Carl sich vereinsamt in ihr gemeinsames Häuschen zurückzieht, dass inzwischen von Hochhäusern umsäumt wird.
"Oben" leistet sich diese lange Vorgeschichte, um den Charakter des kauzigen Alten, der auf seine Umgebung wunderlich wirkt, für den Betrachter nachvollziehbar werden zu lassen. Denn als mit Russel, einem dicklichen Pfadfinder, der seinen Spruch aus einem kleinen Buch ablesen muss, ein weiterer Aussenseiter an seiner Tür klopft, wird er von Frederickson harsch abgewimmelt, was normalerweise einen unsympathischen Eindruck hinterlassen hätte. Durch die traurig - schöne Einleitung bringt man für sein Verhalten dagegen Verständnis auf.
Pixar widmet sich in seinem Film den Aussenseitern der Gesellschaft. Selbst in dem abgeschiedenen Land, in dem noch unentdeckte Tiere leben, existieren keine der sonst allgegenwärtigen Dinosaurier, sondern ein seltsamer Vogel mit einem langen Hals. Auch der inzwischen zum "Mad-Scientist" gewordene Muntz umgibt sich nicht mit sensationellen Geschöpfen, sondern hat nur einer riesigen Hundemeute das Sprechen beigebracht - besser, ein merkwürdiges Halsband umgebunden, dass deren Gedanken in Sprache umsetzt. Der Witz dieser Konstellation liegt darin, dass die Hunde trotz ihres Sprachvermögens immer noch wie Hunde funktionieren und entsprechend mit Ballwerfen und "Da ist eine Katze"-Rufen abgelenkt werden können.
Aus dieser überschaubaren Konstellation entwickeln sie eine surreale Geschichte, in der Carl Frederickson, der sein Leben lang Luftballons verkauft hat, mit diesen sein Haus zum Fliegen bringt und damit der Abschiebung in ein Altersheim entkommt. Zufällig ist der kleine Russel mit an Bord und sie erleben eine Menge Abenteuer in einem geheimnisvollen südamerikanischen Land. Dabei geht die Story bewusst in die Tiefe, befasst sich mit der Einsamkeit im Alter, einer vaterlosen Jugend, der Chance neuen Lebensmut zu erlangen und dem Zusammenfinden unterschiedlicher Generationen.
Doch trotz dieser Bemühungen handelt es sich bei "Oben" um einen Animationsfilm, der auch ein kindliches Publikum erreichen will. Und genau darin ist er am besten. Die diversen Verfolgungsjagden mit ihren sprichwörtlichen "Cliffhangern" - besonders wenn der Zeppelin den Hintergrund dafür abgibt - können durch Tempo, Kamerablickwinkel und überraschende Wendungen überzeugen, aber die Story als solche bleibt oberflächlich. Schon die Vorgeschichte, die den Betrachter zu Tränen rühren soll, ist plakativ mit ihrer Darstellung einer idealen Liebe zwischen zwei Menschen, die scheinbar keine anderen Kontakte hatten. Hier wird bewusst etwas hochstilisiert, um damit Carls Festhalten an seiner Ellie (und damit die Verweigerung eines neuen Lebens) zu begründen. Auch die weiteren Ereignisse, die zu plötzlichen Erkenntnissen der Protagonisten führen, verwenden wieder die üblichen Klischees bis zum erwartungsmässig glücklichen Ende.
Das "Oben" mit einem alten Mann und einem dicken Jungen eher untypische Hauptakteure auswählte, ändert leider nichts daran, dass wieder die üblichen disneyschen Mechanismen der Harmonisierung greifen, trotz des Verzichts auf musikalische Einlagen und übertriebene Kitschmomente. Das wäre nicht weiter tragisch, gäbe sich "Oben" nicht den Gestus einer tiefschürfenden Story, die sich über den üblichen Geist kindgerechter Animationsfilme hinweg setzt. Dabei überzeugt "Oben " dann, wenn er sich auf sein Genre besinnt, während er insgesamt einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt (5/10).