Review

Ich nehme diesen Preis nicht an!

Dieser Satz flimmerte noch vor Kurzem einige Tage über die Schirme. Das deutsche Fernsehen und sein Publikum waren gespalten, erschüttert von dieser Reaktion oder glücklich, daß jemand endlich einmal ausspricht, wie sehr die Kultur zwischen Fernsehköchen und Schuldenberatern zu leiden hat. Ein kurzes, aber inhaltlich der knappen Gesprächszeit unterworfenes Gespräch mit Thomas Gottschalk gönnten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ihrem quotentauglichen und wie immer polarisierenden Publizisten und Literaturkritiker noch, schoben dies jedoch an den Rande des Programms - wie so oft, wenn es um Inhalte geht. Zwar konnte Marcel Reich-Ranicki, immerhin am Zenit der achten Dekade seines Lebens und auf eine erfolgreiche wie umstrittene Karriere zurückblickend, seinem Ärger hier Luft machen, bewies entgegen seiner gepflegten bis provokativen Streitkultur diesmal nicht fundierte Kenntnisse, sondern offenbarte, sich einfach nicht in einer Reihe mit den Nominierungen des Deutschen Fernsehpreises gesehen zu haben. Mit Mein Leben bieten die finanzierenden Sender WDR und Arte nun ein Versöhungsangebot. Der Fernsehfilm von Dror Zahavi basiert auf der millionenfach verkauften Autobiographie Ranickis.

Mein Leben - Marcel Reich-Ranicki erzählt den Lebensweg Marcel Reichs von seiner Ankunft als Junge in Berlin bis hin zu seiner Einreise in die BRD Ende der fünfziger Jahre episodenhaft nach. Die tragische Geschichte ist geprägt von der Machtergreifung Hitlers. Reich (als Neunjähriger Filip Jarek, später Matthias Schweighöfer) spricht bei seiner Ankunft kein Deutsch; er wird gehänselt. Doch er kämpft und erlernt die Sprache, wird zum musterhaften Schüler. Nun, unter dem Naziregime, ist es seine jüdische Herkunft, die ihm zu schaffen macht. Theater und Literatur entwickeln sich zur Leidenschaft. Schon früh entwickelt Marcel den Wunsch, Kritiker zu werden; seine Freundin Angelika (Henriette Richter-Röhl) möchte Schauspielerin sein.
Reich kann noch das Abitur ablegen, doch der Wunsch eines Studiums bleibt ihm verwehrt. Er wird aus Deutschland ausgewiesen. In Warschau wohnt er bei seinem Bruder Alexander (Alexander Khuon), einem Zahnarzt. Nach der Besetzung Polens lebt die Familie im Warschauer Ghetto. Marcel Reich arbeitet dort als Übersetzer.
Als sich der Nachbar Langnas erhängt, eilt er in die Wohnung, beruhigt die entsetze Tochter Tosia (Katharina Schüttler). Die beiden verlieben sich, bleiben fortan zusammen. Beider Familien werden im Laufe der Deportation nach Treblinka verschleppt. Marcel und Tosia flüchten. Sie kommen bei einem polnischen Pärchen unter, die sie unter Lebensgefahr verstecken. Hier drehen sie illegal Zigaretten und Marcel rezitiert Literatur, bis sie schließlich von der Roten Armee befreit werden.
Später aus der kommunistischen Partei entlassen, arbeitet Reich in einem polnischen Verlag, setzt sich für deutsche Literatur ein, organisiert eine Lesung Heinrich Bölls. Er trifft seine Jugendfreundin Angelika wieder, sie ist Schauspielerin. Beide haben ihren Berufswunsch erfüllt. Schließlich reist Marcel in die BRD aus und wird Kritiker bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wobei er erst hier seinen Namen in Reich-Ranicki geändert hat.

Ein Werk vor diesem Hintergrund kritisch zu betrachten ist schwer, darf es doch nicht am nötigen Respekt mangeln. Wohl aber darf ein tragisches Schicksal auch kein Hinderungsgrund und keine Entschuldigung sein. Es gibt einen entscheidenden Zug des Drehbuchautors Michael Gutmann, der dem Film leider jeglicher Authentizität beraubt. Aus dramaturgischen Gründen erfand er ein Verhör des polnischen Geheimdienstes vor dem Offizier Kawalerowicz (Sylvester Groth) durch das die einzelnen Episoden verknüpft wurden. Gleichwohl gibt Marcel Reich-Ranicki in Fernsehinterviews an, daß die geschilderten Geschehnisse unter den Nazis in Mein Leben deutlich milder dargestellt wurden, um den Zuschauer nicht zu verschrecken.
Es gleicht wirklich oft einem Lustwandel, wie Reich in diesem Film stets besonnen auf eine eloquente Art aus dem Schlamassel zu entkommen vermag. Schweighöfer trägt zu dieser Wirkung bei, in dem er die Figur glaubhaft, aber eben nicht mit einer Vielzahl Charakteristika anlegt, die eine Gefahr in die Parodie abzurutschen in sich geborgen hätten. Es ist hingegen ein Kunststück Katharina Schüttlers, mit einer insbesondere textlich so untergeordneten Rolle eine starke, spürbare Präsenz zu entwickeln.

Dror Zahavi wählt eine Mischung aus Dokumentationsstil, Drama und Erzählung. Gut vorgekaut erweckt er mit Mein Leben - Marcel Reich-Ranicki nahezu den Eindruck einer Glorifizierung seiner Hauptfigur, obwohl, oder gerade weil er an den besonders tragischen Stellen, wie die Geschichten beim Schriftsetzer Bolek, Zurückhaltung übt. Ranicki selbst beschreibt diese Episode als Scheherazade-Motiv, er habe um sein Leben erzählen müssen. Diese Bedrohung wird im Film kaum spürbar. Dafür scheint eine bizarre Komik durch, als Marcel Reich im Zug nach Polen zwischen Menschen gepfercht von seinem Buch aufblickt und in Anlehnung an seinen zukünftigen Biß zu vermelden weiß, daß er das falsche Buch ausgewählt habe; er sei ganz schön zäh, dieser Balzac.
Wo der Film so fixiert auf die Beziehung Marcel Reichs zur Kultur ist, verpaßt er jedoch die Gelegenheit, deren Bedeutung für eine Zusammenführung zu betonen. Das Verständnis für die Außerordentlichkeit seines Einsatzes für deutsche Literatur in Polen wird durch die Abmilderung der Bedrohung durch ein Land, welches seine bevorzugten Dichter hervorgebracht hat, verzerrt. Der Entscheidung schließlich in die BRD zu gehen, wird zu wenig Gewicht beigemessen. Gerade für ein jüngeres Publikum wäre es schön gewesen, zu verdeutlichen, welchen Vertrauensbeweis Ranickis Einreise gegenüber dem deutschen Volk darstellt, welches er trotz unverzeihbarer Erfahrungen nicht pauschal aburteilt, was keinesfalls selbstverständlich ist. Gleichwohl hätte, wenig akkurat wie der Film im Gesamtbild erscheint, vielleicht ein Interesse weckender Exkurs in die Literatur hier eher Gehör gefunden, als daß sich junge Zuschauer im Anschluß für Ranickis Kanon lesenswerter deutschsprachiger Werke interessieren würden.

Marcel Reich-Ranicki zeigte sich begeistert über Mein Leben, den er als Film über sich, nicht aber als authorisiertes Werk verstanden wissen wollte. Seinem Ego wurde sicherlich geschmeichelt, doch Zahavis Version seiner Geschichte ist lediglich einseitig, verwässert und für den Zuschauer nahezu uninteressant. Das ist schade, denn aus dem Munde Ranickis weiß sein Schicksal zu berühren, beindruckt, macht sprachlos, erweckt Mitgefühl. Mein Leben hingegen umschifft die Ecken und Kanten, die eine Person wie Ranicki so einzigartig machen. Seine Kritik am deutschen Fernsehen trifft so leider auch auf diese wenig sachliche wie tiefgängige Umsetzung zu. Eine objektive Haltung dem gegenüber wäre vielleicht kontrovers, aber nach dem Auftritt beim Deutschen Fernsehpreis immerhin konsequent.

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