Das Genre des Vampir-Films hatte es in letzter Zeit wahrlich nicht leicht: Das allgemeine Bild der an sich doch so faszinierenden Blutsauger wurde durch die unsäglich banalen Twilight-Verfilmungen stark in Mitleidenschaft gezogen - in der öffentlichen Wahrnehmung löste kitschig-gekünstelte Theatralik die ehemals bedrohliche Ausstrahlung ab. Das Publikum, welches abseits des Mainstream-Kinos sucht, kann jedoch nach wie vor starke Streifen mit den übernatürlichen Wesen ausfindig machen. Ein besonders famoser Beitrag kam 2009 von dem Südkoreaner Park Chan-wook, welcher dank seiner gelungenen Rache-Trilogie (“Sympathy for Mr. Vengeance”, “Oldboy” sowie “Lady Vengeance”) auch manch einem westlichen Film-Fan ein Begriff sein dürfte. Sein geniales Vampir-Drama “Durst” gewann nicht ohne Grund den Preis der Jury in Cannes - das mitreißende Meisterwerk ist ebenso innovativ wie intensiv und lässt den faszinierten Zuschauer schlicht atemlos zurück.
Pater Sang-hyeon (Song Kang-ho) meldet sich freiwillig als Testperson zur Erforschung einer tödlichen Krankheit. Als diese ihm schließlich das Leben zu kosten scheint, kann er durch eine Bluttransfusion unerklärlicherweise doch geheilt werden. Jedoch nur auf den ersten Blick: Die fatale Erkrankung wird lediglich von einer noch grausameren unterdrückt - der Priester mutiert zum blutabhängigen Vampir. Die Aufgabe seiner geistlichen Tätigkeit stellt nicht die einzige radikale Änderung in seinem Leben dar: Schon bald beginnt er eine leidenschaftliche Affäre mit Tae-joo (Kim Ok-bin), der vom Leben gelangweilten Frau eines alten Jugendfreundes. Da eben jener eine zunehmende Bedrohung für das Glück des frisch verliebten Paares darstellt, beschließen die beiden, ihn kaltblütig umzubringen. Die vermeintlich so simple Tat zieht jedoch nicht geahnte Konsequenzen nach sich…
“Durst” ist ein Film der Extreme. So auch der extremen Gegensätze: Malerische Poesie trifft auf brachiale Gewaltausbrüche, große Gefühle gehen Hand in Hand mit gnadenloser Kaltblütigkeit. Der in seinem Stil so wunderbar wandelbare Park Chan-wook siedelt diese mitreißende Melange irgendwo zwischen der fiebrigen Virtuosität von “Oldboy” sowie der ruhigen Melancholie von “Lady Vengeance” an, ohne sie jemals wie ein Plagiat seiner eigenen Arbeit erscheinen zu lassen. Verspielte Kamerafahrten sowie der stetige Wechsel von verstörenden und anrührenden Bildkompositionen garnieren die geniale Inszenierung, welche sich weder bei den blutigen noch den anzüglichen Passagen in irgendeiner Weise zurückhält - jede Mord- sowie Sex-Szene wird äußerst plastisch illustriert. Diese explizite Darstellung dient jedoch nie dem bloßen Selbstzweck oder billiger Effekthascherei, sondern unterstreicht stets auf intensive Art das brodelnde Innenleben der hochinteressanten Charaktere.
Der zum Vampir gewordene Pater stellt dabei die tief tragische Hauptfigur dar. Auch wenn ihn das Dasein als Blutsauger an seiner strengen Lebensführung zweifeln und diese schlussendlich ablegen lässt (Kirchengegner könnten spöttisch meinen, dass er nach seinem Tod lebendiger ist als zuvor), hält er doch stets an seinen religiösen Überzeugungen und somit an der Suche nach Absolution fest. Entsprechend sündenfrei bezüglich menschlicher Opfer gestaltet sich sein Überlebenskampf in der ersten Hälfte, wodurch die aufkeimende Liebesgeschichte viel Platz einnehmen darf. Auf die Vampir-Thematik wird hier nur ausgesprochen spärlich eingegangen, die ohnehin bekannten Grundregeln bezüglich Sonnenallergie und Blutdurst werden einfach erklärungslos hingenommen und dankenswerterweise nicht zum außergewöhnlichen Spektakel hochstilisiert. Diese friedliche Ausgangssituation kippt jedoch nach und nach, sobald die anfangs noch bemitleidenswerte Geliebte beginnt ihr wahres Gesicht zu enthüllen.
Die psychische Abgründigkeit der Femme Fatale zeigt sich zunehmend deutlich; der Wissensvorsprung, den der Zuschauer gegenüber dem Priester hier innehat, lässt einen dessen vehementen Vorstoß in seine auswegslose Situation mit umso mehr Bedauern verfolgen. Als sich ihm letztlich selbst das gesamte Bild erschließt, offenbart sich die komplette Tragik seines Schicksals: Auch wenn er es keineswegs vermag, das rücksichtslose Verhalten seiner Freundin in Einklang mit seinen christlichen Ansichten zu bringen, ist sie doch die einzige, der er sich anvertrauen kann und die ihn somit vor der absoluten Vereinsamung rettet. Das Leben als Wesen der Nacht entwickelt sich immer mehr vom netten Nebeneffekt zum aufreibenden Konfliktfeld und fungiert so als treibender Motor der Handlung, welcher die zutiefst dramatische Geschichte über Anstand und Moral schließlich auf ein im selben Maße poetisches wie ergreifendes, aber auch leichtfüßiges und latent lustiges Finale zusteuern lässt.
Generell ist der Streifen von einer äußerst skurrilen Art von Humor durchzogen, dessen eigenwillige Erscheinungsform die kunstvolle Bildsprache auf makaberste Weise untermalt - bestes Beispiel dafür ist die ebenso verrückte wie verstörende Erscheinung des jüngst verstorbenen Ehemanns, dessen Vision das Paar auch beim Liebesspiel nicht verschont. Die starken Darsteller haben diese außergewöhnlichen Sequenzen genauso wie alle weiteren Szenen fest im Griff und gestalten ihre Protagonisten lebendig aus - trotz der fremden Kultur und der damit einhergehenden ungewohnten Umgangsformen stellen sich problemlos bewegende Sympathie respektive Abscheu ein. Die erhabenen Klänge des Soundtracks runden das einwandfreie Gesamtbild stimmig ab.
Fazit: “Durst” entpuppt sich als ebenso ungewöhnliches wie geniales Vampir-Drama, das von einer klassischen Spannungskurve geprägt ist. Nach einem ruhigen Beginn, welcher die übernatürlichen Aspekte zugunsten der tiefen Charaktere relativ unbeachtet lässt, nimmt der Film kontinuierlich an Tempo zu und kulminiert schließlich in einem famosen Finale. Der intensive Abstieg in die Untiefen der seelischen Hölle wird unglaublich packend illustriert, das moralische Dilemma ist jederzeit schmerzhaft spürbar. Park Chan-wook kleidet seine explizite Studie über Menschlichkeit in formvollendete Bilder und kreiert so ein atemberaubendes Kunstwerk, das gleichzeitig dramatisch-düster wie auch schaurig-schön ist.
10/10