Der Journalist Michael Blomkvist hat eine aufsehenerregende Enthüllungsreportage über den Großindustriellen Wennerström in den Sand gesetzt und muss abtauchen. Da kommt ihm das Angebot des zurückgezogen lebenden Millionärs Henrik Vanger gerade recht: Blomkvist soll recherchieren, warum Vangers Nichte Harriet vor 40 Jahren spurlos verschwand. Vanger ist sich sicher dass damals ein Mord geschah, und Blomkvist soll herausfinden wer der Mörder war. Und außer einer Menge Geld gibt es auch eine Belohnung: Informationen über Wennerström, die Blomkvist helfen werden, seinen Ruf wieder reinzuwaschen und Wennerström ins Gefängnis zu bringen. Blomkvist wendet sich an die Ermittlerin, die Vanger geholfen hat Informationen über ihn selber herauszufinden, Lisbeth Salander, und die wiederum findet schnell heraus, dass Harriet nicht das einzige Opfer war, sondern dass in den 50er- und 60er-Jahren ein unentdeckter Serienmörder in Schweden umging. Der heute anscheinend immer noch mordet. Und der es gar nicht mag, dass seine Mordserie plötzlich aufgedeckt wird …
Muss man zu diesem Film, zu dieser Geschichte, wirklich noch eine Inhaltsangabe schreiben? Der Roman hatte in den Jahren nach 2005 (schwedische Originalausgabe) bzw. 2006 (deutsche Erstausgabe) ein Abonnement auf den ersten Platz aller weltweiten Bestsellerlisten, die Nachfolgeromane ebenfalls, und wer immer in der zweiten Hälfte der 00er-Jahre Thriller las, kam an diesen Romanen sowieso nicht vorbei. Zu intensiv das Leseerlebnis, zu umfassend der Erfolg, als dass man sich daran hätte vorbeimogeln können.
Soweit meine Einleitung zu der 2011 von David Fincher gedrehten Version, im Folgenden 2011 genannt. Jetzt erst, einige Monate nach 2011, habe ich die Erstverfilmung von 2009 gesehen. Im Gegensatz zur Hollywood-Fassung waren meine Erwartungen höher, reden wir hier doch immerhin von einem düsteren skandinavischen Thriller. Einem Genre, das seit Jahrzehnten die Bestsellerlisten und Primetime-Plätze europäischer Fernsehanstalten für sich reserviert hat. Doch kann man zwei so gleiche und doch unterschiedliche Filme überhaupt vergleichen? Und macht so ein Vergleich Sinn?
Grundsätzlich ist es ausgesprochen spannend zu sehen, wie zwei Filme, die sich beide sehr stark an der literarischen Vorlage orientieren und entsprechend die exakt gleiche Geschichte erzählen, wie zwei solche Filme sich doch so unterscheiden können. Und gleichzeitig auch wieder nicht. Wenn ich so meinen Text zu 2011 lese, und das mit den sehr frischen Erinnerungen an 2009 vergleiche, dann fällt mir als erstes auf, wie stark der (im Folgenden kursiv dargestellte) Fincher-Film tatsächlich ist, und wie schwächlich dagegen die Oplev-Version wirkt.
… dass Fincher sich in Bezug auf (sexuelle) Gewalt und vor allem Sexualität im Besonderen keinerlei Zurückhaltung auferlegt, und zum Beispiel Rooney Mara auch mal schnell und kompromisslos nackt zeigt. Und ich meine komplett(!) nackt. Auch die Vergewaltigung Lisbeth Salanders schmerzt den Zuschauer sehr …
David Fincher ist David Fincher, und der Mann ist halt nun mal ein alter Hase was dunkle und gewalttätige Stories angeht, genauso wie die Sache mit der Sexualität bei ihm zum (filmischen) Leben dazugehört. Auf der anderen Seite bekommt Michael Nyqvist bei Oplev zwar regelmäßig was aufs Maul, aber wirklich übel zugerichtet wird er erst gegen Schluss. Die Gewalt wird gebremst dargestellt, genauso wie die Sexualität. Lisbeths Vergewaltigung ist bei Fincher hingegen ein echter Schock, bei Oplev nicht so sehr. Und dieses “nicht so sehr“ durchzieht auch in anderen Bereichen den gesamten Film:
Daniel Craig zeigt mit seinem feinen und sensiblen Spiel Nuancen – Michael Niqvist wiederum erinnert in seiner ganzen Art in vielen Momenten fast ein wenig an einen zahmen Tobias Moretti, ihm fehlt aber der Biss, der Craig in 2011 so auszeichnet. Rooney Mara scheint zwar im Überblick auf Autopilot in Richtung Stierblick-Punkette zu steuern, deutet aber spätestens in der zweiten Hälfte ebenfalls Tiefblicke in ihre Seele an, die fast ein klein wenig schaudern lassen. Noomi Rapace ist stark, aber ihre Aggressivität und ihre Wildheit sind gegenüber Rooney Mara bis auf eine Szene deutlich zurückgenommen. Diese eine Szene ist die kurze Kampfsequenz in der U-Bahn, in der ein Arschloch Lisbeths Notebook versucht zu stehlen, und Lisbeth sich nachhaltig wehrt. Für einen intensiven und schmerzhaften Moment kommt genau diese intendierte Wildheit plötzlich durch, und Noomi Rapace kann zeigen was sie drauf hat, bevor der Regisseur wieder „Nicht so sehr“ ruft. Rooney Mara trägt Lisbeths Hass auf die Menschheit deutlich vor sich her, ohne dabei aber zu übertreiben, und generiert damit eine ungemein kraftvolle und erinnerungswürdige Filmfigur, was Noomi Rapace leider verwehrt wird.
Person A reist nicht nach Ort B, sie ist einfach da, und nur Lisbeth Salander sehen wir regelmäßig beim Reisen – Da sie aber versucht, der Giacomo Agostini Schwedens zu werden, bleibt das Tempo bei diesen Szenen unverändert hoch. 2009 zeigt die Menschen öfters einmal beim Reisen, gerade wenn Blomkvist und Lisbeth die alten Tatorte abklappern erzeugt Oplev eine ganz eigene Stimmung. Durch die ruhigen und schönen Bilder Schwedens erzeugt er keine atemlose Hochspannung wie sie 2011 innewohnt, dafür aber breitet sich Ruhe aus - Eine Art Stille, die dann von der Mörderjagd auf konträre Weise wieder unterbrochen wird. Das Tempo ist nicht so hoch, die Intensität dafür aber fast genauso mitreißend. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass beide Filme Überlänge haben (2009 mit 147 Minuten, 2011 mit 158 Minuten), 2009 aber einige Handlungselemente fortlässt, und sich auch der Überleitung zu den nachfolgenden Teilen verweigert. Gerade dass Lisbeth am Ende des Films Wennerström abzockt wird in 2011 schon fast Heist-mäßig inszeniert, was dem Film ganz klar ein Krönchen aufsetzt, während 2009 diesen Handlungsstrang ein wenig verschämt unter den Tisch fallen lässt: Weder wird klar was Blomkvist von Vanger dafür erhält, dass er die Ermittlung über Harriets Verschwinden durchführt, noch wird irgendwann klargestellt, warum Lisbeth Blomkvist überhaupt hilft. Blomkvist steht in Lisbeths Wohnung, redet ein wenig, und Lisbeth ist wie angefixt und will unbedingt ermitteln. Nicht unbedingt nachvollziehbar das, vor allem wenn man an die Romanvorlage denkt, die einen solchen Moment naturgemäß sehr logisch aufbaut. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in einem Film weniger Zeit zur Verfügung steht als in einem Buch, zeigt Fincher, dass dieser zentrale Moment, in der die beiden Hauptfiguren emotional miteinander verbandelt werden, gründlich aufgebaut werden kann. Oplev geht über diesen Moment drüber als würde er sich dafür nicht wirklich interessieren, was die Beziehung der beiden Figuren ein wenig erschwert.
Aber trotz der vielen Kritikpunkte, trotz der schwächeren Schauspieler (Noomi Rapace selbstverständlich ausgenommen) und trotz der gebremsten Darstellung, trotzdem ist 2009 ein ausgesprochen gelungener Film. Oplev arbeitet viel mit grafischen Überblendungen während der Ermittlungsarbeit, seine kurze Zeitsprünge und bildhaft dargestellten Gedanken erzeugen eine sehr intensive Atmosphäre, die den Film tatsächlich in trockene Tücher rettet. Und erst im Vergleich der beiden Filme zeigt sich, dass die trocken-gewalttätige Art Finchers gegenüber dem sanfteren Oplev die Nase vorne hat. Ein putziges Gedankenspiel drängt sich auf, dass die beiden Regisseure sich getroffen haben und Ideen verteilt haben: Ich baue die Story gewalttätiger auf, dafür bekommst Du die interessanteren optischen Ideen …
Beide sind gute Filme, beide haben ihre Vor- und ihre Nachteile. Ich glaube, bei einer Zweitsichtung würde ich 2011 bevorzugen, und ich finde es unglaublich schade, das keine Fortsetzungen mit dem gleichen starken amerikanisch-europäischen Team gedreht wurden. Und die skandinavischen Nachfolger wurden dann gottseidank nicht mehr von Oplev gedreht sondern von Daniel Alfredson, der zwar auch kein David Fincher ist, aber VERDAMMNIS und VERGEBUNG mit Action und dunkler Atmosphäre sicher und stimmungsvoll umgesetzt hat. Insofern kann man den Oplev-Film mit ein wenig Wohlwollen als interessantes und durchaus gelungenes Experiment einstufen, das stimmungsmäßig der Romanvorlage vielleicht nicht so ganz entspricht, dafür aber eigene Töne einbringt. Aber, und das ist eine persönliche Meinung, sowohl der Fincher wie auch die Alfredsons sind stärker