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Ist ein Roman erfolgreich, dann lässt die Verfilmung selten auf sich warten, das ist auch in Schweden so.
Stieg Larrson hatte ja gleich eine Bestsellertrilogie umfangreichen Ausmaßes vorgelegt, da durfte gleich dreifach die Kasse klingeln. Zwei Außenseiter sind seine Helden. Zum einen der Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist), Spitzname: Kalle Blomquist, der allerdings gerade im Karrieretief ist, hat er doch dem falschen Konzern ans Bein gepinkelt. Natürlich hat er an sich recht, das erfährt der Zuschauer bald, was nur als weitere Bestätigung seines exzellenten Spürsinns in einer korrupten Welt voller Täuschungen ist.
Die wesentlich krassere Außenseiterin ist allerdings Lisbeth Salander (Noomi Rapace), eine erstklassige Hackerin mit Punkoutfit und Punkattitüde. Sie eckt gerne an, steht allerdings unter staatlicher Vormundschaft – psychischer Probleme wegen, wie man später erfährt. Aus Lisbeths Vergangenheit macht „Verblendung“ lange ein Geheimnis, wobei sich der aufmerksame Zuschauer bald ein Bild davon machen, was früher passierte. *SPOILER* Bei der Rückblende mit dem Kind ist z.B. klar, wer da seinen Daddy abfackelt und das Warum ist im Kontext des Films unschwer zu erraten. *SPOILER ENDE*

Nach Verlust seiner Zeitung wird Mikael angeheuert den Jahre zurückliegenden Mord an der Nichte eines reichen älteren Herrn aufzuklären. Lisbeth, die Mikael vorher für ihre Arbeitgeber durchleuchten musste, interessiert sich ebenfalls für den Fall. Beide ermitteln erst getrennt, später gemeinsam…
Ganz unhollywoodesk kommt dieser Schwedenkrimi daher, trotz seines Erfolgs beim Breitenpublikum. Dabei ist „Verblendung“ alles andere als leichte Kost, die düsteren, beinahe trostlosen Bilder wirken da wie ein Omen: Sexuelle Nötigung und Missbrauch kommen in verschiedenen Kontexten vor, egal ob es sich dabei um Lisbeths fiesen Vormund oder andere Figuren handelt, die Großfamilie, in deren Umfeld Mikael ermittelt und zu der das Opfer gehörte, hat düstere Familiengeheimnisse von Vergewaltigung über antisemitische Geisteshaltungen bis hin zu innerfamiliärer Gewalt zu bieten. Und wenn die Unterdrückten zurückschlagen, dann mit unverhohlenem Rachedurst und derber Gegengewalt. Damit zielt „Verblendung“ öfters durchaus auf die Magengrube, jedoch nichts als kalkulierter, billiger Schock, sondern zur Etablierung eins düsteren Weltbildes und einer düsteren Stimmung.
Auch die Hauptfiguren sind alles andere als strahlende Helden, haben beide mit ihrer mehr oder minder angeknacksten Psyche zu kämpfen und tun meist das Richtige ohne wirklich als Idealisten zu erscheinen. Dem eigenwilligen Verhältnis der beiden Außenseiter widmet „Verblendung“ viel Zeit, lässt die Beziehung zwischen zweckmäßiger Kooperation, Freundschaft und romantischem Verhältnis schwanken, ohne dass die Figuren selbst zu wissen scheinen, wie ihr Verhältnis nun sein soll. Trotzdem geraten die langsam erzählten Ermittlungsarbeiten nie in den Hintergrund, stimmig kommt man Schritt für Schritt der Lösung näher und natürlich steckt mehr hinter der Sache als man anfangs ahnt.

Doch „Verblendung“ ist so geschickt konstruiert, dass das Ganze nie unglaubwürdig wirkt, egal wie weit die Kreise sind, welche die Familiengeschichte zieht. Denn der Verdächtige ist ganz klar im Kreise der Verwandtschaft von Opfer und Auftraggeber zu suchen – nur jene ist nicht gerade klein, weshalb man eifrig beim Whodunit miträtseln darf. Über ein paar logische Patzer muss man dabei hinwegsehen, wobei man die Tatsache, dass man scheinbar immer und überall in Schweden WLAN-Empfang hat noch am ehesten akzeptieren kann. *SPOILER* Unverständlicher ist es dann schon, wenn Lisbeth den Killer überwältigt und ihm befiehlt abzuhauen, nur um ihn dann leichtsinnig und todesmutig zu verfolgen, aber vielleicht wurde noch etwas Action gegen Ende benötigt. *SPOILER ENDE* Auch am Ende ist etwas eigenartig, *SPOILER* dass herauskommt, das die Absenderin der Blumen diese zwar schickte, aber nie einen Hinweis, was damals vorfiel, was vielleicht zur zeitigen Aufklärung der Verbrechen geführt hätte. *SPOILER ENDE* Letzteres kann man allerdings noch akzeptieren, wenn man sich an Hitchcocks Antwort auf die Frage, warum die Figuren in seinen Filmen nie zur Polizei gehen: „Weil der Film sonst nach 10 Minuten vorbei wäre.“
Noomi Rapace stieg mit der Salander-Rolle zu einer Art Star auf, ist sie doch das Aushängeschild auf den Postern und ist bereit sich in absolut schräge Outfits zu werfen und die abgefuckte, leicht kaputte Hackerin mit voller Hingabe zu spielen und ihr Wechselbad der Gefühle deutlich auszudrücken. Michael Nyqvist ist dagegen als introvertierter Journalist bei weitem nicht so auffällig und sicher auch nicht so gefordert, kann als ruhiger Gegenpol jedoch ebenfalls überzeugen.

„Verblendung“ ist ruhig erzählte, sehr stimmige Krimikost, die sich viel Zeit für die Figuren nimmt, geschickt aufgebaut daherkommt und sich mit seinem düsteren Weltbild von gewohnter Genreware unterscheidet. Hier und da tun sich kleine Logiklücken auf (was aber auch an der Kürzung der umfangreichen Romanvorlage liegt), doch eine willkommene Abwechslung zum 08/15-Thriller ist der spannende Schwedenkrimi ganz klar.

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