Räumt ein Bestseller alle Buchhandlungen leer, ist die Verfilmung nicht fern.
Nicht selten ist man dann enttäuscht, was die namhaften Filmemacher aus dem Lieblingsstück alles so gemacht haben, es gekürzt, verhackstückt, angepaßt und entfremdet haben, so daß es mit Tränen in den Augen gar nicht wieder erkennt.
Aber um so schöner, wenn es dann auch anders geht, wie im Falle der "Milleniumstrilogie" des schwedischen Autors Stieg Larsson, der sich seines weltweiten Erfolgs leider nicht mehr erfreuen kann, weil er nach Abschrift seiner Krimitrilogie leider an einem Herzinfarkt verstarb. Nicht (oder noch nicht) Hollywood nahm sich seines Werks an, sondern die Filmindustrie seines Heimatlandes Schweden, denn was als Buch ungemein schwedisch vorkommt (kleiner Scherz), sollte auch in Schweder bleiben.
Und so entrollt sich die düstere Geschichte wie eine blaustichige Lawine in Richtung Publikum und man darf Niels Arden Oplev das Kompliment machen, mit seiner Arbeit genau das Werk auf die Leinwand gebracht zu haben, was die Buchfans erwarten durften.
Volle 150 Minuten wurden aufeinandergestapelt, um das inhaltlich komplexe 600-Seiten-Werk leinwandkompatibel zu machen und wenn ich an dieser Stelle schon mal etwas Kritik üben darf: es ist immer noch einen Hauch zu kurz.
Larsson erzählt im Kern seiner Geschichte die Aufklärung eines Mordfalls, bzw. des Verschwindens einer jungen Frau vor beinahe 40 Jahren von einem Familienfest einer Industriedynastie. Der schon allmählich altersschwache Onkel des Mädchens hat jedoch die Suche nie aufgegeben (er bekommt immer noch jedes Jahr eine gepreßte Blume anonym zugesandt) und engagiert den in die rechtliche Bredouille geratenen Wirtschaftsjournalisten Blomkvist, der von einem anderen Industriellen gelinkt wurde und nun auf eine Haftstrafe wartet. Während Blomkvist in der verzweigten Großfamilie nach Spuren sucht, bleibt jedoch noch jemand anderes an dem Fall: nämlich die junge Frau, die für den Auftraggeber Vanger die Daten über Blomkvist gesammelt hat: Lisbeth Salander ist Anfang 20, ein Suchgenie und darüber hinaus ein mehr als sperriger Mensch, übersät von Tattoos und Piercings und unter staatlicher Aufsicht stehend, da als psychisch labil geltend.
Diese beiden absolut gegensätzlichen Menschen finden nun auf Umwegen zusammen, um einen Fall auszugraben, der bis zur NS-Zeit zurückreicht und viel größere Kreise zieht, als zu Beginn abzusehen ist.
Oplev orientiert sich bei seiner Verfilmung an dem, auf den ersten Blick recht eckigen Aufbau des Romans, der noch starke Bezüge zum Wirtschaftsjournalismus trägt, die allerdings im Film fast alle ausgemerzt werden. Erwartungsgemäß fokussiert man sich im Film auf die Aufarbeitung des Kriminalfalls vor Ort (auf der kleinen Insel, wo das Verbrechen stattfand), der immer grauenerregendere Dimensionen annimmt. Zwar wird die zeitliche Dimension halbiert (das alles findet in einem halben Jahr statt, im Buch genau ein Jahr), jedoch funktioniert in der dramatischen Komprimierung um so besser. Oplev taucht sein schwedisches Seenhinterland in ein winterliches Zwielicht aus Schnee und Regengräue, hält in finstere Räumlichkeiten einer einst einflußreichen Großfamilie und setzt auf teils körniges, teils bläuliches Material, das einen frösteln läßt.
Aber das ist auch nötig, denn bei Larsson an sich ist die Welt schlecht, ein kaum noch zu durchblickendes Konglomerat von Wirtschaftsinteressen, das nur noch von den Abgründen hinter den Privatfassaden übertroffen wird. Während der Mordfall immer mehr in die Breite geht, geht das individuelle Profil von Lisbeth Salander jedoch in die Tiefe. Ein Nebenhandlungsstrang rund um ihren vom Staat bestellten Aufpasser, der sie dann sexuell mißbraucht, gibt nicht nur präzise Details über den schwierigen Charakter der jungen Frau preis, sondern tönt die trüben Bilder in finsterstes Schwarz, eine unangenehm graphische Vergewaltigung (samt entsprechender Gegenreaktion), die schon andeutet, daß hinter den biederen Wohnungstüren der Abgrund lauert und man sich schützen muß. Salander schützt sich zunächst, indem sie sich abgrenzt, später benutzt sie Blomkvist als vorsichtigen emotionalen Anker, der mit über 40 Jahren natürlich ihr Vater sein könnte (was romangemäß nicht überaus realistischen Bettszenen schützt, denn in Larssons Welt nimmt man, was man kriegt).
Die Sympathien Oplevs liegen eindeutig bei Lisbeth Salander, die von Noomi Rapace vermutlich als Rolle ihres Lebens gespielt wird, mürrisch, wenig zugänglich, psychisch labil und doch ungemein liebenswert. Der Charakterfokus liegt eindeutig auf ihr, was zu Lasten Michael Nykvists geht, dessen Blomkvist eigentlich die Hauptfigur des Romans ist. Doch sein Ermittler bleibt schwammig, vage sympathisch, aber nie charismatisch, was allerdings auch daran liegt, daß sein Womanizer-Image mit zahlreichen Frauen hier einfach unter den Tisch fällt, sogar die Beziehung zu der wesentlich älteren Cecilia Vanger hat man aus dem Film komplett eliminiert. Ohne diese spezielle Individualität bleibt die Figur jedoch blasser, als ihr gut tut.
Natürlich wurden noch einige Dinge für den Film extrem verkürzt, die Affäre, die Blomkvist ins Gefängnis bringt und im Buch einen recht üppigen Rahmen bildet (also eine längere Vorgeschichte und knapp 100 Seiten nachträgliche Aufarbeitung) werden elegant zusammengefaßt und bieten am Ende Stoff für eine gute, angehängte Pointe. Daß der Mordfall an sich nach gut zwei Stunden schon aufgelöst wird und alles Folgende Nachbearbeitungen und Ergänzungen sind, ist in diesem Fall nicht störend.
Das liegt nicht zuletzt an der transportierten Kälte der Geschichte über eine bösartige Welt, in der sich die unterschiedlichsten Menschen aus abseitigsten Gründen aneinander drängen, um nicht unterzugehen, Täter wie Opfer.
Vermutlich, um es nicht noch grimmiger zu machen, als der Film eh schon wirkt, wurde jedoch etwas von der Konsequenz der Geschichte abgemildert. Die Komplexität der reichen Großfamilie geht hier etwas unter, die Figuren bleiben meist unterentwickelt oder wirken unsympathischer als sie für ihre späteren Abgründigkeiten sollten. Auch der ebenso zynische wie verständliche Schluß, daß die Familie den Großteil der Mordtaten unter den Teppich kehrt, weicht hier einer korrekten rechtsstaatlichen Aufklärung, was dem Stoff etwas die Schärfe nimmt, doch letztendlich gönnt der Autor dem Publikum wie seinen Figuren am Ende immer noch ein gewinnendes Zwinkern.
Dennoch ist und bleibt "Verblendung" ein hervorragender Start in die Filmtrilogie, die beweist, wie man auch europäisch lokal mit einfachen Mitteln finsterstes Unterhaltungskino, mit Ecken, Kanten und Untiefen machen kann, ohne das Publikum mit Arthausanspruch oder TV-Look zu langweilen. "Verblendung" ist eine lange, rasante, bittere Geschichte gegen die Erwartungshaltung des Publikums und gerade deswegen so konsequent, realistisch und emotional. Stille Wasser sind eben tief. Und schmutzig! (8,5/10)