"Jeder hat ein Geheimnis !"
Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) hatte als Journalist geglaubt, hinter die kriminellen Machenschaften Hans-Erik Wennerström (Stefan Sauk) gekommen zu sein, aber als er seine Beweise gegen den Geschäftsmann vorlegen will, stellen sich diese als gefälscht heraus. Blomkvist muss wegen Verleumdung ins Gefängnis, weshalb sein kritisches Journal "Millenium" vor dem Aus steht.
Parallel interessiert sich Henrik Vanger (Sven-Bertil Taube), ein 82jähriger Fabrikbesitzer, für Blomkvists Geheimnisse, denn er will wissen, ob er dem Journalisten vertrauen kann. Deshalb beauftragt sein Anwalt eine Detektei, deren Mitarbeiterin Lisbeth Salander (Noomi Rapace) ein vollständiges Dossier über Blomkvist anlegt, dessen Ergebnis dazu führt, dass Vanger ihn zu sich einlädt. Er bittet ihn, nach seiner vor 40 Jahren verschwundenen Nichte Henriette zu suchen, die er wie eine Tochter geliebt hatte. Er verdächtigt Eines der weiteren 30 Familienmitglieder, sie ermordet zu haben, um sich ein größeres Stück des Erbes zu sichern. Besonders verbittert ist er darüber, dass ihm der Mörder seit 40 Jahren zum Geburtstag Glockenblumen schenkt, wie es seine Nichte immer bis zu ihrem Verschwinden getan hatte. Blomkvist, der noch ein halbes Jahr Zeit bis zum Haftantritt hat, willigt in den Auftrag ein, zieht auf die Insel, wo sämtliche Familienmitglieder des Vanger-Clans leben und vertieft sich in die unzähligen Hinweise, Fotos und bisherigen Erkenntnisse...
Autor Stieg Larsson entwirft in seinem ersten Teil der "Millenium"-Trilogie ein gesellschaftliches Panoptikum, in dem beinahe jede Person unter der bürgerlichen Oberfläche Geheimnisse verbirgt, die nur Grauen erzeugen können. Die Komplexität der tatsächlichen Hintergründe, die Blomkvist nur langsam ausgräbt, hätten angesichts der Vielzahl von Personen schnell unübersichtlich werden können, weshalb der Film das einzig Richtige tut - er strukturiert die Story ganz klar und bleibt in seinem Erzählfluss einfach und nachvollziehbar.
Zu Beginn widmet er sich hauptsächlich den beiden Protagonisten, wobei Blomkvist der offensichtlichste Charakter innerhalb des gesamten Geschehens bleibt, der allein schon durch Salanders Recherche zu Beginn offengelegt wird. Ihre Vergangenheit bleibt dagegen bis zum Ende des Films ein Rätsel, aber ihr Charakter offenbart sich schon durch ihre düstere Erscheinung und ihr aggressives Verhalten. Geradezu bedrückend sind die Sequenzen mit ihrem neuen Vormund, der ihr auf Grund ihrer psychischen Labilität vom Gericht auferlegt wurde. Dieser nutzt ihre schwache Position dazu aus, sie zu sexuellen Handlungen zu erpressen. Doch die Art, wie sie sich dagegen wehrt, verdeutlicht, dass Lisbeth Salander auch von den abartigsten Verhaltensweisen nur noch schwer geschockt werden kann.
Nachdem "Verblendung" die Begegnung der beiden Hauptfiguren durch die ausführlichen Charakterisierungen geschickt vorbereitet hat, widmet er sich ausschließlich der Recherche nach der verschwundenen Henriette. Die Art, wie hier Erkenntnis an Erkenntnis aneinander gereiht wird, Puzzlestücke ergänzt und Fotos fast zu filmischen Vorgängen zusammengestellt werden, ist in seiner Nachvollziehbarkeit schon lange nicht mehr so überzeugend filmisch umgesetzt worden und erzeugt eine ungeheure Spannung. Die Modernität der Computertechnologie, die hier verwendet wird und ohne die die Protagonisten nicht mehr auskommen, vermittelt dabei zwei wichtige Elemente - einerseits begründet sie, warum erst jetzt bestimmte Erkenntnisse gewonnen werden können, andererseits sind die Methoden der Ermittler dadurch in ihrer gegenwärtigen Alltäglichkeit jedem vertraut.
Der Betrachter gerät so mit in den Sog der beiden Protagonisten, erkennt selbst Zusammenhänge oder befindet sich mit ihnen im Irrtum, bleibt aber immer auf der Höhe des Geschehens und spürt damit auch die Gefahr, die zunehmend wächst, als sich immer mehr Erkenntnisse zu einem grauenvollen Verbrechen verdichten. Auch wenn "Verblendung" an drastischen Gewaltdarstellungen spart, sind die optischen Eindrücke und die Beschreibung der Vorgänge mehr als eindrucksvoll und erzeugen eine neuartige Annäherung an das Serienkiller-Genre, ohne die üblichen Klischees.
"Verblendung" ist deutlich komplexer als ein reiner Kriminalthriller, so abartig das Verbrechen auch sein mag. Er ist vor allem eine Sezierung des Bürgertums, das sich ohne Scham die menschenverachtendsten Verhaltensformen in der Sicherheit leistet, nicht dabei entdeckt zu werden. Die Story verdeutlicht auch Larssons unter dem kruden Geschehen verborgenen Idealismus, indem er diese Sicherheit als Irrtum darstellt, und mit der Figur der Lisbeth Salander eine ungewöhnliche Frau hinausschickt, deren Worte nur als Warnung zu verstehen sind :
"Jeder hat ein Geheimnis !" (9/10)