Review

Die deutsche Tragikomödie „Dorfpunks“ aus dem Jahre 2009 entstand unter der Regie Lars Jessens („Am Tag als Bobby Ewing starb“) auf Basis des gleichnamigen autobiographischen Romans von Rocko Schamoni, Musiker, Schauspieler, eng verbandet mit den Fun-/Avantgarde-Punks „Die goldenen Zitronen“ und aktuell u.a. bei „Studio Braun“ involviert.

Der pubertierende Malte (Cecil von Renner, „Abgebrannt“) wächst im ebenso beschaulichen wie übersichtlichen Schmalenstedt in Schleswig-Holstein als Sohn einer bildungsbürgerlichen Lehrerfamilie auf. Als mit ein paar Jahren Verspätung die Punkwelle auch dieses Dörfchen an der Ostsee erreicht, identifizieren Malte und seine Freunde sich schnell mit der Idee, werden Punks und gründen eine Punkband. Zwischen Rebellion, Randale, Suff, Mädchen, Politik, Spießern, Dorfprolls und Faschos beginnt die Suche nach einer eigenen Identität damit aber erst so richtig, denn was Punk eigentlich ist und wie man ihn lebt, weiß noch keiner so genau...

So wie Schamoni mit seinem lockeren Schreibstil seine persönliche Punk-Sozialisation selbstironisch niederschrieb, so nimmt auch „Dorfpunks“ auf angenehm sympathische Weise sich selbst satirisch auf die Schippe, bleibt dabei aber trotzdem eng an der Gefühlswelt seiner Protagonisten. Wem das Milieu nicht fremd ist, wird zweifelsohne viel wieder erkennen, vor allem aber sich selbst in der von der Urbanität des Punkphänomens weit abgeschotteten grenzenlosen Naivität, gepaart mit Aufbegehren und Aufbruchsstimmung, Sinnsuche und dem Drang nach Selbstverwirklichung, dem Motiv, aus dem vorgezeichneten Trott auszubrechen. Innerhalb eines einzigen schicksalhaften Sommers werden die Weichen gestellt für Malte, der sich fortan Roddy Dangerblood nennt, und seine Freunde Fliegevogel, Sid, Flo, Piekmeier und Günni. Damit ist „Dorfpunks“ weniger ein knallhartes, anarchisches, blut- und schweißtriefendes Stück über Jugendliche, die glauben, nichts zu verlieren zu haben (oder es tatsächlich nicht zu haben), sondern vielmehr eine sensible „Coming of age“-Geschichte über mehr oder weniger behütet aufgewachsene Kids. Angesiedelt irgendwann zu Beginn oder Mitte der 1980er dröhnen die aufrührerischen Punk-Attacken einer Band wie Slime aus den Boxen, ertönen aber auch waverige, differenziertere Klänge der Fehlfarben. Ohne seine Protagonisten vorzuführen, lässt „Dorfpunks“ die punkige Dorfjugend exemplarisch viele Stationen durchlaufen, die nicht nur damals, sondern auch heute noch gang und gäbe sind, wenn Gleichaltrige mit der Subkultur konfrontiert werden und sich ihr verschreiben.

Zwischen politischem Anspruch und hedonistischer Vergnügungssucht, Anti-Haltung und künstlerischer Selbstverwirklichung fällt es nicht leicht, seinen eigenen Weg zu finden und gehen die eigenen Ideen nicht immer konform damit, was sich die anderen unter dem Oberbegriff „Punk“ vorstellen. Malte alias Roddy wird die Rolle des fröhlichen Musikliebhabers zuteil, der in erster Linie Spaß haben will, während sich Sid nur peripher für die Musik interessiert und extremen politischen Idealen nachhängt bzw. sich anfällig für diese zeigt. Die Konflikte sind vorprogrammiert, die Konstellation birgt Zündstoff für die Freundschaft der Jugendlichen vom Lande. Die Band wird aus einer völligen Selbstüberschätzung heraus gegründet und drängt auf die Bühnen, ändert ständig Namen und Konzept und wirft letzteres gern auch während eines Auftritts komplett über den Haufen. Man probiert sich aus, gibt einen feuchten Kehricht auf Publikumserwartungen und Kritik und ist sogar stolzerfüllt, wenn man’s mal wieder so richtig verkackt hat. Der sonst eher subtile Humor des Films mit seinen in herrlichem norddeutschen Dialekt schnackenden Protagonisten findet in diesen Szenen seine Zuspitzung, der erste dargebotene Song ist eine scharf beobachtete Parodie auf die größenwahnsinnigen, vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Anfänge so mancher Punkband. Auch die Szenen, in denen Roddy und seine Freunde eine Normalo-Party stürmen und sich nach allen Regeln der Kunst danebenbenehmen, haben es in sich.

Schnell jedoch finden auch ruhigere Momente wieder Platz, z.B. wenn es um Roddys erste Liebe geht, die so gar nichts mit den romantischen Vorstellungen von aufkeimenden zarten Gefühlen zu tun hat und weit entfernt ist von üblichem Teenie-Schmonz. Zum Ende hin wird der Film zunehmend ernster, begleitet von völlig unpunkigen melancholischen Klavierklängen. Roddys Töpferlehre läuft irgendwie nebenher und füllt ihn alles andere als aus; die Zeit nutzt er lieber, um seiner Phantasie entspringende Fanzine-Artikel zu verfassen. Sich kreativ mit der Band auszutoben funktioniert nicht mehr, mit seiner Musikbegeisterung wendet er sich infolge dessen lieber an einen alternden Barkeeper, der quer durch die Genres seine Lieblingsscheiben auflegt und von Roddy dabei fasziniert beobachtet wird. Nach einem dramatischen Höhepunkt, bei dem die Clique fast ertrunken wäre, findet Roddy sein Heil schließlich darin, mit einem Künstlertypen zusammen dadaistischen Blödsinn zu treiben wie Flöten mit der Nase zu spielen. Roddy scheint damit seine Definition von Punk gefunden zu haben und der Zuschauer kann ob der niedlichen und ungefährlichen Entwicklung beruhigt aufatmen.

Das ist alles soweit in Ordnung und tatsächlich eine Option, die man als durch die Punkbewegung angefixter kreativer Geist wählen kann. Leider kommt jedoch wenn überhaupt, dann höchstens am Rande vor, dass man allen schwierigen Anfängen zum Trotz sehr wohl auch tiefer in die Subkultur eintauchen und alles andere als weithin akzeptierte und tolerierte Wege finden kann, seine innere Unruhe und Aggressivität zu kanalisieren und weitestgehend frei von belächelbarem jugendlichem Eifer Aufsehen erregen, Unruhe stiften und nicht zuletzt verdammt gute, emotionale Musik machen kann. Das ist etwas schade, denn auf diese Weise kann „Dorfpunks“ auch ohne Weiteres als Genugtuung von denjenigen aufgefasst werden, die das Punk-Phänomen in erster Linie als infantile Alberei und schnell zu überwindende Phase des Erwachsenwerdens diskreditieren möchten. Am ehesten sollte man Jessens Film aber als individuelle biographische Auszüge des Lebens einer Dorfclique betrachten, der keinerlei Ansprüche an eine ohnehin mehr als schwierige Definition oder gar Bewertung von Punk erhebt. Und ihn einfach auf sich wirken zu lassen, ohne ihn zerpflücken und analysieren zu wollen, sich um seine Aussage und seine Authentizität zu streiten, erleichtern klasse aufspielende Jungdarsteller, gelungene Situationskomik und eine feinfühlige Regie, die sich jedoch nicht von einer gewissen norddeutschen Behäbigkeit freisprechen kann – vermutlich aber auch gar nicht möchte.

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