Das ist er nun also, nach langer Wartezeit: der letzte Film des frühverstorbenen Heath Ledger, nicht mehr vollendet und dennoch mittels der Hilfe anderer namhafter Schauspielfreunde auf Kinoformat gebracht.
Und die Schlußtitel zeigen es noch einmal deutlich auf : "A Film by Heath Ledger and Friends" steht da als erstes zu lesen mit dem Toten als Hauptdarsteller.
Zweifelsohne eine nette Geste angesichts der unglücklichen Todesumstände, aber wer nun nach einem großen Ledger-Film Ausschau hält, dem sei vorweg gesagt, es ist immer noch ein Terry-Gilliam-Film. Und das bedeutet, der Film trägt vor allem die Handschrift von Ex-Monty-Python Gilliam, egal, was irgendwo geschrieben steht.
Das bedeutet wie üblich ein Höchstmaß an sehr speziellen, sehr schrägen und phantastischen Bildern, eine eher krause Geschichte und dementsprechend weniger Massenappeal als es bei einem größen Budget gut täte.
Wem der Ersteinsatz Ledgers in einem Gilliam-Film, bei "The Brothers Grimm" zu stromlinienförmig, effektlastig und gelackt daherkam, der kann in diesem Film beruhigt sein, der Regisseur ist wieder in seinem vertrauten Geläuf aus "Time Bandits", "The Fisher King" und "Münchhausen" angekommen, in dem Reich wild fabulierender Erzählkunst, wo mit erwartbaren Konventionen beliebig Schabernack getrieben wird.
Angesiedelt in der modernen Zeit, ist der titelgebende Dr.Parnassus ein Ewiglebender, der, müde geworden, seine Lebenszeit der Wetterei mit dem Teufel Mr.Nick verdankt und nun binnen dreier Tage seine sechzehnjährige Tochter an den Satan abzuliefern hat, wenn ihm nicht noch ein toller Dreh einfällt. In seinem Kabinett kann er seinen Gästen ferne Welten individuell gestalteter Phantasie vorführen, in denen ihnen sowohl selbst der Spiegel vorgehalten wird, als sie auch der Versuchung anheimfallen, derer sie widerstehen müssen, wenn sie nicht dem Bösen verfallen wollen. Nur leider interessiert sich an den unzugänglichen und schlecht gewählten Auftrittsorten niemand dafür, denn PR und gute Werbung ist nicht seine Sache, bis er und seine Truppe unter einer Brücke den erhängten Tony retten, der mal einen Kinderwohltätigkeitsfonds geleitet hat und sich natürlich auf Oberflächenreize versteht. Zeit also für eine ganz neue Wette um fünf Seelen vor Ablauf der alten Frist...
Was hier jedoch so wunderbar linear klingt, ist in Wirklichkeit eine sehr verzwickte und nebulös erzählte Geschichte.
Gilliam hat sich nie dem geraden Weg verschrieben und seine unglaublichen Bildwelten (die zumeist wunderbar handgemacht waren) stets mit Geschichten angereichert, die ständig Haken schlugen und Erwartungen unterliefen. Geschichten, die vielschichtig waren und nicht selten traurig endeten, weil ein Happy End ja jeder schreiben kann.
Das kann man auch hier wieder in jeder Szene spüren, denn selten unterlief ein Storyaufbau einer umständlicheren Struktur. Hier müssen gleich mehr als ein halbes Dutzend Hauptcharaktere eingeführt und abgefrühstückt werden, Hintergrundstories erzählt und der Plot vorangebracht werden, aber die Geschichte ist oft in sich selbst rückläufig, gibt nur Fragmente preis oder wird stets dann unterbrochen, wenn sie gerade spannend wird.
Dabei bleibt Gilliam seinen Kernelementen treu: alles ist ein bißchen moralisch und wird mit satirischen Häppchen und Seitenhieben auf die moderne Gesellschaft (exzessives Trinken, nicht kommunikative Familien, Konsumrausch, allgemeine Teilnahmslosigkeit, Ausbeutung von guten Zwecken) angereichert. An erster Stelle steht jedoch die Fabulierkunst an sich, denn hier wird auf der Bühne dargestellt, in zahlreiche Masken geschlüpft, sich in Phantasiewelten optisch verfremdet, Lebensdrama werden durchlebt und schlußendlich sind wir alle nur kleine Pappfiguren auf einer Marionettenbühne, die die Geschichte weitererzählen. Happy End? Nicht unbedingt oder nur bedingt.
Wie sehr das Drehbuch unter den Umgestaltungen Gilliams aufgrund von Ledgers Tod gelitten hat, ist im Nachhinein nicht einfach festzustellen, denn das erzählerische Frikassee war auch ohne notwendige Neukonstruktionen schon immer sein Markenzeichen.
Ledger tritt hier nun nur als der Realwelt-Tony auf, während er in den Phantasiewelten von seinen Gastdarstellern Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell dargestellt wird.
Der Kern der Geschichte wird jedoch nie klar, ebensowenig wie der Fokus sich immer mal wieder neu ausrichtet. Parnassus, geradezu kongenial von einem angejahrten Christopher Plummer dargestellt, muß immer wieder zwischen Storyteller und alkerfüllten Faselhans hin- und herschwanken, dann hält sich der Plot lange bei der feenhaften Tochter Valentina und ihrem störrigen Bühnenpartner Anton auf, bis dann Ledger als Katalysator ins Spiel kommt.
Aber dabei bleibt es auch: Ledger ist, entgegen aller Schlagzeilen, hier kein Hauptdarsteller und nur bedingt Mittelpunkt der Geschichte - vielmehr wirkt es manchmal so, als hätte Gilliam als Ehrenbezeugung alle vorhandenen Szenen mit dem Star in diesem Film untergebracht, was der Geschichte nicht immer gut tut, weil gewisse Erzählstränge dann nirgendwo hin führen.
Weder spielt er einen strahlenden Helden, noch bietet er eine wirkliche Identifikationsfigur, eher ein vielschichtiges Enigma irgendwo zwischen Gut und Böse, das nicht mal der Teufel für sich reklamieren mag. Und so wie die Geschichte alle Hindernisse umfließt, kommt man am Ende doch wieder bei Parnassus als Zentrum an und hat den namhaften Star schon fast wieder vergessen.
So kann Ledger auch keinesfalls wirklich glänzen, sondern stellt sich in den Dienst der ausufernden Geschichte, weswegen auch der Trick mit den Ersatzdarstellern nur als Patina funktioniert. Depp legt einen netten, aber typischen Kurzauftritt hin, Law spielt euphorisiert am Plot vorbei und Farrell darf dann den großen Abgang hinlegen, der allerdings einer phantasmagorischen Apokalypse untergeht, die die eigentliche Story bar jeder inneren Logik freundlichst unter sich begräbt.
Gewinner dieser Geschichte sind Plummer, der sonst immer in Nebenrollen vergeudet wird, Lily Cole als patentes Elfenwesen und der geradezu meisterlich besetzte Tom Waits als Teufelchen Nick, der mit Minjoubärtchen und Zigarettenspitze jede Szene klaut, derer er habhaft werden kann.
Der Plot kommt bei diesem Kuddelmuddel natürlich nicht mit, egal ob das bewußt gemacht oder irrtümlich von Gilliam verursacht wurde, der umständlich und sprunghaft Geschichte Geschichte sein und die Bilder für sich sprechen läßt, wobei gesagt werden muß, daß die Phantasiesequenzen manchmal etwas grob wirken und manchmal wahnwitzig einfallsreich. Die Bilder und Landschaften blasen den Zuschauer weg und nicht wenige Python-Fans werden sich freuen, daß ein paar Inserts drin sind, die auch in der Fernsehserie der berühmten Sechs vermutlich schiere Begeisterung ausgelöst hätten - bisweilen inszeniert Gilliam hier seine absurden Animationsinserts sogar als Teil der Phantasiehandlung.
Wie aber verdaut man so einen Wildwuchs?
Gar nicht, denn wem schon "Fear and Loathing" gefiel, der wird auch hier seinen Spaß haben, ein rauschhafter Bilderbogen, der meistens Stile aus zwei Jahrhunderten in einem Bild vereint und eine visuell delektable Chimäre erschafft, die einen mit auf einen Trip nimmt, den man so brachial heute nicht mehr oft im Kino zu sehen bekommt, weil alles in überschaubare Förmchen gepreßt werden muß. Egal, ob man nun noch einmal Ledger sehen möchte, oder dem Regisseur bei einem seiner selten Werke zuschauen möchte, hier werden beide Seiten irgendwie bedient und bekommen doch nicht alles, was sie erwarten.
"Parnassus" selbst verdient auf jeden Fall eines: Aufmerksamkeit! (7,5/10)