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Vittorio De Sica gilt neben Luchino Visconti („Bellissima") als einer der einflussreichsten Regisseure der Filmepoche des italienischen Neorealismus, dessen Kennzeichen die Darstellung sozialer Probleme wie Armut, größtmöglicher Realismus (Laienschauspieler, Originalschauplätze) und melodramatisches Pathos in der musikalischen Untermalung sind. Umso erstaunlicher, dass „Das Wunder von Mailand" als ein Vertreter selbiger Filmperiode gilt, obwohl er durch seine märchenhafte Überhöhung und naive, optimistische Grundstimmung eher an die Verspieltheit klassischer Hollywood-Musicals erinnert.

Es geht um das naive Findelkind Totò, dessen Pflegemutter noch während seiner Kindheit verstirbt. Er kommt ins Waisenhaus, bis er volljährig ist. Als stattlicher Mann (dargestellt von Francesco Golisano) verschlägt es ihn in die „Stadt der Armen", eine Wellblech-Siedlung der Unterschicht. Doch Totòs sonniges Gemüt schweißt die Gemeinschaft der Armen gegen einen reichen Geschäftsmann (Guglielmo Barnabò) zusammen, welcher sie aufgrund eigener Baupläne vertreiben will. Mit der Hilfe einer magischen Taube, welche Totò vom Geist seiner gestorbenen Mutter erhält, geht die Masse gegen den Widerstand der Kapitalisten und der Polizei vor...

Die Nöte der italienischen Unterschicht in der Nachkriegszeit werden in „Das Wunder von Mailand" vergleichsweise verharmlosend dargestellt. Zahlreiche komödiantische Elemente (ein Highlight: der singende Polizist) sorgen dafür, dass Armut, wie sie hier gezeigt wird, durchaus etwas Positives abzugewinnen ist. Korrelierend mit der auffälligen Märchenstruktur („Es war einmal" zu Beginn, dem Ritt-auf-dem-Besenstiel-Finale und ein interpretationswürdiger Epilog) fällt auf, dass „Das Wunder von Mailand" sowohl eine extraordinäre Ausnahme im sonst eher pessimistischen Neorealismus darstellt als auch dessen Gegenstand der Nachzeichnung gesellschaftlicher Gepflogenheiten in der Nachkriegszeit zutiefst verkörpert. Wie man auch immer diesen äußerst kurzweiligen Film lesen will - als Nonsense-Revue, ein gesellschaftkritisches Statement mit Augenzwinkern oder schlicht als fabelhaftes Märchen - Vittorio De Sica ist ein guter, wenn auch - durch stellenweise fragwürdige Tendenzen zur Verharmlosung und zum mokierenden Zynismus - nicht grandioser Film gelungen, der im Neorealismus einzigartig ist.

Fazit: „Das Wunder von Mailand" sorgt dafür, dass der Zuschauer über eine Länge von 90 Minuten die Welt so wahrnimmt, was sie auch unter dem Gesichtspunkt der Existenz von Armut und Klassenunterschieden ist: ein magisches Konstrukt. Ein humoristischer und zutiefst menschlicher Beitrag zum sonst eher moralinsauren Kino des Neorealismus.

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