Geschichten sind Geschichten. Man hört sie alle, aber was man damit anfängt, ist jedem selbst überlassen. Die Freiheit des Denkens. Was Edward Norton als Namenloser in „Fight Club“ zu erzählen hat, ist zweifelsohne etwas Besonderes, das man verteufeln oder geistig aufsaugen kann. Besonders ist seine Story in jedem Fall – ein pessimistisch inszenierter Weckruf, der jeden irgendwie anspricht. Abstrakt und doch so außergewöhnlich gewöhnlich.
Der Protagonist ist Sklave seiner Sehnsucht und deshalb so greifbar. Ein höherer Angestellter, finanziell auf festen Beinen und sich mit Armani und CK Outfits präsentierend. Dazu eine 160 Quadratmeter Wohnung, die mit geschmackvollen, sorgfältig ausgewählten Katalogmöbeln ausgestattet ist. Wen sich der namenlose Erzähler ärgert, putzt und pflegt er sein Mobiliar. Der Konsum als Befriedigung. Befriedigend ist sein Leben dennoch nicht. Im Rausch von Schlafstörungen erlebt er die Tage wie eine Aneinanderreihung von Kopien. Bei Geschäftsreisen sieht er wie portioniert sein Dasein ist. Sitznachbarn im Flugzeug sind portionierte Begleiter, die ihm für einen gewissen Zeitraum Aufmerksamkeit schenken. Man hört zu, aber man hört sie nicht. Nach dem Flug ist alles vorüber. Die Zeit verrinnt, die Arbeit ruft, Konventionen regulieren das Leben. Gesetzmäßigkeiten und Regulierungen verhindern Freiheit, er lebt in einer Welt, die klar definiert ist.
Erst als der Protagonist das Leid anderer in Selbsthilfegruppen sieht und für sich ausnutzt, kehrt eine gewisse Zufriedenheit in seinem Leben ein. Man hört ihm zu, weil er sich mit Krankheiten „schmückt“. Mitleid als Kommunikationsmittel. In den Armen eines fettleibigen, an Hodenkrebs leidenden kranken Menschen findet seinen persönlichen Urlaub. Doch er ist nicht alleine. Er entlarvt eine weitere „Touristin“, die trotz fehlender Krankheit mit Selbsthilfegruppen ihre eigenen Bedürfnisse stillt. Plötzlich klappt es nicht mehr sich Mitleid zu erschleichen, wiederkehrende Schlaflosigkeit ist das Resultat.
Die personifizierte Sehnsucht findet der Erzähler in Tyler Durden – er ist das Spiegelbild, das er schon immer gesucht hat. Intelligent, verrückt, lässig, anarchisch, revolutionär, souverän und ungeheuer clever mit einem Hang zur Selbstzerstörung – Durden ist genau das, was Nortons Figur suchte. Brad Pitt verkörpert die pure Anarchie – der Lehrmeister für ein Leben in Freiheit. Nichts scheint ihn von seinem Plan abzuhalten, er nutzt die Konsumgier der anderen, macht sich über das System, die Portionen und deren Köche lustig. Er spuckt den Leuten im wahrsten Sinne des Wortes in die Suppe.
Wer Schmerz spürt, lebt! „Schlag mich“! Sie gründen den „Fight Club“. Kämpfe im selbst geschaffenen, rechtsfreien Raum mit Leuten, die sich geistig und körperlich auch tot fühlen und das Gefühl zu Leben suchen. Durden und der Erzähler gründen die ultimative Kampfstätte für Gleichgesinnte, die auch den Schmerz als Lebenssignal spüren möchten. Gutes resultiert mitunter auch von schlechten Charakterzügen. Es geht aber nicht nur um gewinnen oder verlieren im Dunstkreis von ausgeschlagenen Zähnen, gebrochenen Gliedmaßen und blutverschmierten Gesichtern. Das Verlieren kann einem ebenso unheimliche Kräfte verleihen. „Erst wenn man alles verloren hat, hat man die Freiheit alles zu tun“. Vom Boden aufstehen und weiterkämpfen – der Mensch fällt, um aufzustehen.
Man kämpft gemeinsam für die Freiheit zur Selbstentfaltung. Tun und lassen, was einem Spaß macht ohne gelenkt zu werden. Der „Fight Club“ hat seine eigenen Regeln und wird nicht reguliert.
So abnormal es klingen mag, im Wesentlichen trifft Regisseur David Fincher mit „Fight Club“ einen vorhanden Gedankenbereich, den man gerne negiert. Moralisch ist der Film keineswegs, aber wer möchte sich auch anmaßen zu entscheiden, was Gut und Böse ist? Man sieht es vielmehr, als dass man es definieren könnte.
„Fight Club“ ist eine geniale, filmische Hinterfragung von dem, was man als Normalität betrachtet. Die Mitglieder des Fight Club sind in gewisser Weise Freiheitsterroristen. Sie erlangen nicht über Geld Freiheit und wählen einen anderen Weg des Reichtums. Gleichgesinnte Namenlose schließen sich Durden und Co. an. Niemand ist davor gefeit, Namen sind Variabeln. Normal ist „Fight Club“ nicht, aber der Film bietet im Sinne von Unzufriedenheit und Sehnsüchte Identifikationspotenzial. Daraus resultiert ein in Fincher Manier düster inszenierter Denkanstoß, den man in Form einer Geschichte nicht nur hört und sieht, sondern auch erlebt. Gerade im Amoralischen und Unmenschlichen ist hier das Menschliche verankert. (9,5/10)