November 1963.
Der Hamburger Journalist Peter Miller [ Jon Voight ] bekommt bei dem Selbstmord eines alten Mannes dessen Tagebuch in die Hände und dadurch auf die Spur einer Organisation der ehemaligen SS - Angehörigen. Mit Hilfe des israelischen Geheimdienstes schleust er sich in die O.D.E.S.S.A. ein...
Die Verfilmung des Romanes von Frederick Forsyth lies nur zwei Jahre auf sich warten; wurde mit Hinblick auf die Thematik und den damit verbundenen Erfolg des Bestsellers sowie der kürzlich angelaufenen Forsyth – Verfilmung Der Schakal also ziemlich eilig produziert. Ist trotzdem nicht zu einem filmischen Schnellschuss geraten, der alles andere drumherum in der Hektik vergisst; Grund dafür ist die übersichtliche und zumeist inszenatorisch sichere Regie von Ronald Neame, der als Routinier im Geschäft über genug Erfahrung verfügte. Und er hält sich an die Vorlage.
Neame, der trotz Die Höllenfahrt der Poseidon als vorherige und Meteor als nachfolgende Arbeit kein reiner Blockbuster – Regisseur ist, verstand es, die Zeitumstände in der Geschichte mit zu integrieren, vielleicht sogar noch durch die eingängigeren Bilder zu intensivieren und dadurch auf der Leinwand die erforderliche Wirkung zu erreichen.
Das Hervorrufen der Spannung erfolgt über die gleichen materiellen Themen: Dem Gegensatz des Zeitporträts der Bundesrepublik der sechziger Jahre zu der unrühmlichen Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges, welcher damals noch viel intensiver seinen Einfluss auf das zentrale Leben ausübt als heute; wo aber immer noch seine Auswirkungen auf das Bewusstsein der Menschen zu spüren ist.
Von Seiten der Produktion war man dann auch schlau genug, wirklich vor Ort in Hamburg, Heidelberg oder auch Wien zu drehen und so den Bezug gleich geographisch herzustellen; sicherlich spielt der Film 10 Jahre vor der Herstellungszeit, aber von der eigentlichen Warte her hat sich nichts geändert. Man muss sich als Zuschauer sowieso ständig ins Gedächtnis rufen, dass man in den 60ern angesiedelt ist, weil das Entstehungsjahr inmitten der 70er prägnanter wirkt und auch deutlichere Rückschlüsse zulässt.
Die Nähe zur Realität erfolgt anders als im Roman allerdings nicht über die gründliche Recherchen und präzise Detailbeschreibungen, sondern über einen kolportagehaften Erzählstil, der stark mit den Empfindungen des Zuschauers spielt und ihn über Gerüchte und verkürzte Beschreibungen in die Handlung einbezieht. Ein bisschen Schund im Nazimantel, wenn man es ganz grob vereinfachen will.
Mit rationalen Argumenten kann man die Ereignisse sowieso nicht
beurteilen, also wird eine wissenschaftliche Herangehensweise gelassen und durch viel Mysteriöses angelockt. Dem Holocaust-Überlebenden und bekanntesten Verfolger von NS-Verbrechern Simon Wiesenthal als dem „Personifizierten jüdischen Gewissen“ nur eine kleine Rolle zugestanden, und stattdessen in ein Geheimnis gewirbelt, dass als eine Art Schreckgespenst aufgebaut ist. Eines, was früher existierte und heute immer noch fest in den Köpfen der Leute verwurzelt ist und dadurch weiterlebt.
Der Faschismus und seine Greueltaten werden zu Recht von Generation zu Generation übergeben und bedürfen vielleicht sogar der abbreviierten Prosabearbeitungen, um die Verbrechen überhaupt teilweise nachvollziehen zu können und dabei auch noch eine Perspektive zu besitzen. Die Bedeutung und die Warnung wenigstens ansatzweise zu begreifen.
Der Film kann dann auch gar nicht die Antworten auf die Fragen aufzeigen, die für das Verständnis des Holocaust und die Kriegsverbrechen wesentlich sind, also wird es gleich gelassen und nur durch einen knappen Auszug aus dem Tagebuch visualisiert. Historische Wurzeln und die politischen Ursachen dann schnell durch seinen jetzigen Stellenwert ersetzt.
Für die Ewiggestrigen ist die vergangene Epoche der Rückzug zu besseren Zeiten; für die Anderen ist es passé. Wird es verdrängt, aber auch sie stecken in der Vergangenheit drin.
Peter Miller hat keinen Platz im Leben, weil er keinen Vater hatte, sondern diesen im Krieg verlor. Er kommt auch nur teilweise nach ihm; ist nicht so konsequent und geht schwierigen Dingen eher aus dem Weg. Was er von seiner Mutter hat; sie kann ihm nicht einmal über die Fragen zur Vergangenheit weiterhelfen, weil sie selber betroffen war und das Ganze vergessen möchte. Stellvertretend für die restliche Bevölkerung sagt sie ihm nur, dass es die jungen Leute eh nicht begreifen. Millers Chefredakteur formuliert es anders: „Damit verkauft man keine Zeitung.“
Die Leute wollen es gar nicht wissen, es ist ein alter Hut, kein Interesse daran. Diskussionen über den Charakter des Dritten Reiches erfolgen nicht, nicht mal ein Austausch. Thema abgehakt.
Nur nicht für Miller, der bisher keinerlei Neugier für das Kapitel entwickelt hatte, aber sich plötzlich umso emsiger darum kümmert. Sein eigenes Leben aufs Spiel setzt und seine Identität gleich mit. Er verliert sich in dem Fall, gibt sich später als Altnazi aus, lässt sich entsprechend drillen und sucht Kontaktaufnahme in die Odessa.
Neames Inszenierung greift bis dahin wie der Roman auf die üblichen Formeln gängiger Spionagethriller zurück. Die ominösen Hintermänner. Die Beschatter, offensichtlich oder heimlich. Die Versuche ihn davon abzubringen zuviel nachzuhaken. Die Helfershelfer, die selber Unterstützung benötigen. Die persönliche Achillesferse. Dabei entwickelt man fast zuviel Stoff, so dass dann auch Einiges sehr schnell vonstatten geht; nicht überhastet, aber schon in kurzer Zeit viel in Bewegung gesetzt wird. Im Gegenzug dazu werden oftmals Einzelmomente sehr weit gedehnt, was ein seltsames Zeitgefühl zur Folge hat.
Miller schleicht sich mehrere Male quälend langsam an, ist aber trotzdem so rasch auf der richtigen Spur, dass nach kurzen Nachfragen die Odessa ihm schon in der nächsten Ecke geradezu in die Arme läuft. Bei dem unvorbereiteten Zusammenprall damit landet er in der wohl bekanntesten Szene des Filmes vor der heranbrausenden U – Bahn.
Ist diese Einstellung übrigens nicht wirklich gut umgesetzt worden, wirkt sie doch wie die meisten anderen Schlüsselmomente im Gesamtkontext der Atmosphäre; welche trotz oder gerade wegen der bevorstehenden Weihnachtszeit schnell ein tiefgrummeliges Gefühl bekommt.
Übermächtig ist diese unangenehme Mischung aus Wahrheit und informiert klingender, aber sehr trivialer und deswegen stimulierender Fiktion vor allem auf dem Jahrestreffen der Division „Siegfried“. Zu dem Miller auch wie die Jungfrau zum Kinde kommt und dort anschaulich erleben darf, dass sich nichts geändert hat. Dort wird zum ersten Mal „Heimatluft geschnuppert“, die damaligen Kameraden bilden auch heute noch ihr ganz eigenes Hauptquartier, stehen in Reih und Glied und erheben den Arm nur nicht, weil ständig ein voller Bierkrug in der Hand ist. Gemeinsam wird „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ skandiert, was die meisten zwar heute nur mit der Friedhofsszene aus Otto – Der Film kombinieren, aber selbst dort assoziativ mit braunem Gedankengut verklebt war. Und wenns nur durch die allesamt arischblonden „Heinos“ waren, die sich zombiegleich aus dem Grab erhoben.
Hier hat dieses Volkslied der Jugendbünde - was lange vor 1933 entstand und auch später zum Repertoire von Opfern und Täter gehörte - ebenfalls einen erheblichen grotesken Effekt. Auch hier weiss man zuerst nicht, ob man lachen soll, aber tut es dann besser nicht; weil es vielleicht im Halse steckenbleiben würde. Im Film wird diese Klippe noch geradeso umschifft, weil Miller entdeckt, rausgeschmissen und verprügelt wird; etwas, dass man schon eher zuordnen kann.
Auch das Ende macht es einem einfach, natürlich geht es gut aus, bringt noch einen versöhnlichen Kommentar zur Kollektivschuld und auch das Motiv hinter Millers Eifer kommt zur Sprache. Dabei wird auch auf Wiesenthals Lebens- und Arbeitsmaxime "Recht, nicht Rache“ Bezug genommen. Und auch diesmal wird es so gehalten, dass man es anders als die eigentlichen Ursachen und die ganzen Geschehnisse verstehen kann. Massentauglich halt.