Review

Die konkrete Beziehung des Theater, in der das Publikum nicht nur räumlich greifbar zu den Aufführenden gesetzt ist, sondern im besten Fall mit ihr sogar eins werden kann, bis der Vorhang fällt und das Licht erlöscht, ist leider in Forever Enthralled schon aufgrund der Kluft des Mediums nicht gegeben. Dennoch kann Regisseur Chen Kaige zumindest die hierzulande und wohl auch global im westlichen Kulturkreis mittlerweile eher unbekannte Person des Mei Lanfang (1894-1961) näher bringen, eine Legende der Pekingoper, der in den Dreißigern des Vorherigen Jahrhunderts tatsächlich weltweit berühmter Exportschlager und als Künstler und Mensch von Personen wie Eisenstein, Chaplin, Piscator und Brecht gewürdigt war.

In einer Mischung aus Übersichtswissen und teilnahmsloser Introjektion zeichnet Chen in seiner Abbildungsfunktion etappenweise Leben und Werk des sich intensiv für Erneuerung und gleichzeitig Erhalt seiner Fertigkeit speziell und der Erlebnisqualität der Bühne allgemein engagierenden Pioniers auf. Die Biographie, seit Juni 2006 geplant und jeweils ein halbes Jahr später öffentlich bekannt gegeben und in den Dreh gegangen, thematisiert dabei die ersten Schritte des gefühlsbetonten Artisten über Unmutsbekundungen seiner nahe stehenden Umwelt, der Reaktion der begeisternden Masse und die nachhaltigen Veränderungen ebenso, wie auch die Ereignisse in der Zeit samt dem nationalen Anliegen in Augenschein genommen werden. Erst verlässt man die heiligen Hallen des Jixiang Theater, hier als Replika in den Beijing Film Studios wiederaufgebaut, und die Realität seiner Fiktion überhaupt nicht, um sich dann doch die weite Welt und von der behüteten Vorspiegelung in die Wirklichkeit zu wagen:

Hineingeboren in eine ehrwürdige Familie von Schauspielern, Sängern und Tänzern gab auch Mei Lanfang [ als Heranwachsender, der mit jugendlichem Schwung eröffnet: Yu Shaoqun, Student der Kantonesischen und der Hankou-Oper. Als Erwachsener: Leon Lai ] beizeiten sein Debüt im Festspielhaus, wo er von Lehrmeister Shisan [ Wang Yueqi ] unter die Fittiche genommen und aufgrund seiner femininen Züge und hohen Gesang zumeist Rollen von jungen, unverheirateten Frauen, den guimen dan, oder von adligen Frauen mittleren Alters, der qingyi verkörpert. Angespornt durch eine Rede und Lektion des auch im Ausland beschäftigt gewesenen Magistrats Qiu Rubai [ Sun Hong-lei ] weicht der Schüler Mei eines Abends während der Vorstellung von dem gewohnt strengen Konzept einer unnatürlichen Zurückhaltung bis hin zur kompletten Versteinerung ab, wodurch er zwar sein Vorbild Shisan verliert, aber das Volk begeistert und Qiu über die nächsten Jahre als Mentor und Freund gewinnt. Probleme tauchen auf, als sich das Sein mit dem Schein vermischt, die Maskerade nicht mehr alles vor dem Antlitz verbergen kann. Nicht nur, daß der mit Fu Zhifang [ Chen Hong ] verheiratete Mei sich bis ins Herz in die Kollegin Meng Xiadong [ Zhang Ziyi ] verliebt, auch plant Qiu zusammen mit dem weiteren Berater Feng Ziguang [ Ying Da ] eine Tournee durch Amerika, ohne den Einbruch der Großen Depression voraus ahnen zu können.

"Sucessful men are said to be ruined by success. With Mei Lan Fang the adage, 'Nothing succeeds like success,' is much more apt. He is gloriously free from those ailments so frequently created by prosperity; yet he is undoubtedly the most famous Chinese actor."

[China Herald, March 22, 1924
(Shanghai English-Language News and Literary Weekly)
The Living Age, Vol. 325, No.4169 (May 31, 1924), pp. 1053-1055.]

Zwischen Jubel und Untergängen, dem Kampf um die eigene Freiheit und der über das Individuum hinweg rollenden Notwendigkeit des Kompromisses, und der Ästhetik, der Politik und des Kommerzes niedergelassen wird in diesem alternierenden Wechsel der Perspektive die Situation eines stetigen Zwangsverhältnisses wiedergegeben. Mei muss sich in der ersten Sekunde für Etwas entscheiden, für seine Zukunft und die Tradition seiner Familie zugleich, und er muss diese Entscheidung auch die ganzen nächsten Jahre über revidieren und verteidigen zugleich. Er muss mit ihr leben, weil es sich um sein Dasein handelt und mehr Kraft und Mut dazugehört, dazu zu stehen als sich daraus zu lösen. Gerade die Charakteristika des Mannes, sein innerer Antrieb, seine Neigung und die Motivation dafür kommen in der sonst eher schemenhaft existierenden Erzählung samt marktwirtschaftlich motivierten Veränderungen und audiovisuell installierter Identitätsstiftung überraschend prägnant hervor. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil weder eine verlockende Vielfalt der dramatischen Illusion auf der Bühne, eine besonders relevante Geschichtsforschung, noch der Anspruch auf philosophische Akribie gegeben sind. Das Panorama der kulturellen Umwälzung und die mit einhergehende Dringlichkeit des Bewahrens chinesischer Kultur und Zivilisation als Theorem wird wie in Chens Farewell My Concubine [ 1993 ] praktiziert, aber das Herzblut dahinter fehlt trotz konziser Ausdrucksweise genauso wie der einstige Wagemut des Regisseurs, der die scheinbare Einfachheit hier nicht mehr mit [sexuell] mehrdeutigen bis [politisch] zwiespältigen Strömungen unterbrechen, sondern mit rein mechanischen Energien fließen lässt.

"Mei's plays are mostly either chronicle - histories or fairy tales. He seems to prefer the latter."

Ein kurzer Abstecher nach dem New York um 1930 verkommt zu einer besseren Manipulation, getreu der fehlenden Selbstbestimmung; das 15 Mio. USD Budget erlaubte sichtlich nicht den Ausbau einer richtigen Kulisse, sondern nur die Tarnung, die Oberfläche im sonst leblosen Bereich, den Aufenthalt innerhalb vier Wände dafür. Besonderer Nachdruck erlangt noch das "Abenteuer" um den Einfall der Japaner ab 1937, deren feindselige Auftritte samt Folterdrohung und versucht erzwungener Propagandagewinnung des Volkshelden zwar im Kunstgriff triviale Spannung erzeugen, aber keine neuen Erkenntnisse zu- oder anderweitig reichhaltiges Bewusstsein heran lassen. Ein Entrinnen aus der Dämmerung der Monotonie, dessen Abgeschiedenheit Mei trotz seiner Frau und den Kindern zu beklagen hat, aber auch zu pflegen scheint, gibt es abseits der Bühne selber nicht. Die Affäre mit Meng ist schon vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hat, und bleibt nur als niemals mögliche Flucht aus der gefühlten Frustration zurück.

Die Einsamkeit in einer vertrauten Umwelt und eine gewisse erwartungslose Ziellosigkeit, die Leere in all dem Trubel davor und dem Applaus danach wird ausgerechnet vom seit jeher begrenzten Repertoire von Leon Lai in einer nahezu metaphorischen Gestaltung und im Gegensatz seiner konsonierenden Harmonie zu den dissonierenden Intervallen verkörpert. Lai, der schon immer sehr unbeweglich und wie abwesend und eigentlich auch eher mimosenhaft erschien, braucht hier weder stilistische Abwandlungen durch die sowieso eher ungeschmückte Regie noch die Wiederholung permanenter Hinweise – [die Blicke in, durch und über Spiegel, die viel zu phantasielos auffällig eingesetzt sind, um durch diese bildhaften Affekte neue Assoziationen zu erheben] – noch viele Worte und Taten, um im richtigen Moment fast kindlich begeisterungsfähig und auf der anderen Seite gequält nüchtern oder stur akzeptierend, und somit ohne Erfahrung im Tatsächlichen zu wirken. Lai ist dabei als Fremdkörper Fehl- und Idealbesetzung zugleich, passend zu Brechts Theorie "Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst" stellt auch er keine Identifikation des Performers mit der Rolle, sondern in Beobachtung des Geschehens die reflektierende Demonstration, die Objektwahrnehmung her.

Details
Ähnliche Filme