Review

In vielen Fällen sollte es eine Warnung für den Konsumenten sein, wenn Filme Jahre später einen Publisher finden, die das Machwerk dann doch noch veröffentlichen. Bei "Skinheads 88", so der deutsche, fatale Alternativtitel (selbst ich als Außenstehender weiß, dass die Subkultur "Skinhead" nichts mit der rechten Szene zu tun hat) hat diese späte Veröffentlichung jedoch nichts mit der Qualität des eigentlichen Werks zu tun, sondern mit seinem Inhalt, bei dem man jugendliche Faschisten in Russland bei ihrem alltäglichen Leben begleitet. So was ist der FSK (und nicht nur dieser) noch heute ein Dorn im Auge und wird es auch noch in 500 Jahren sein, falls sich bis dahin die Menschheit nicht selber in die Luft gesprengt hat.

Ungewöhnlich für solch einen Film ist, dass er aus der Sicht von Eduard (Mikhail Polyakov) erzählt wird, der den Alltag seiner rechten Freunde mit seiner Digi-Cam aufnimmt, um später aus dem gesammelten Filmmaterial eine Art Propaganda-Video zusammenschneiden will, um die rechte Szene als einzig echte Alternative zu Russlands Armut darzustellen.  Im Mittelpunkt steht Sascha (Pyotr Fyodorov), der  als Anführer mit seiner Clique die meiste Freizeit bei dem älteren, liebevoll genannten "Onkel" (Andrey Merzlikin) verbringt,  der ihnen in seiner Halle neben Kampfunterricht auch Gelegenheit gibt, ihre Freizeit in Form von Saufen, Musik oder über "ihre Politik" zu philosophieren gibt und einigen auch Übernachtungsmöglichkeiten  bietet. 
 Natürlich verbringen die Jugendlichen nicht ihre ganze Freizeit in den Hallen, sondern nutzen diese auch, das Propaganda-Video voranzutreiben. Dazu gehören vorallem Interviews  mit unbeteiligten russischen Mitbewohnern (jung, alt, männlich weiblich - egal) zu führen, die auch der Meinung "Russland den Russen" sind - alternativ müssen die Aggressionen abgebaut werden bzw. "Arbeit für das russische Volk" geleistet werden, und da werden desöfteren gehasste Einwanderer vermöbelt, was in Russland in erster Linie Kaukasier sind, die "in ihrem Land ihre Arbeit, ihr Essen, ihre Frauen und ihr Leben stehlen wollen".

Der im Found-Footage abgedrehte Film kommt relativ nüchtern und relativ unspektakulär rüber, der wenig Höhepunkte bietet und scheinbar keiner roten Linie im Drehbuch folgt. Der Zuschauer muss sich natürlich an diesen Digi-Cam-Stil gewöhnen, wird dadurch aber sozusagen ins Geschehen umso mehr involviert und somit zum "Mittäter" der gewaltbereiten Jugendlichen, die ihre faschistische Ideologie ausleben.
Erst relativ spät wird ersichtlich, dass "Russia 88" (so der Originaltitel) durch einen Zwischenfall in Sascha´s Familie der Film in einer Tragödie enden wird. Der Film besitzt keine grafische Härte, jedoch versprüht er permanent eine dreckige Atmosphäre, da die Darsteller überzeugend spielen und auch viele gefilmte Passagen sinnlos erscheinen (wir erinnern uns: Eduard will aus diesem Rohmaterial ja ein kurzes Propaganda-Video zusammenschneiden, da nimmt man eben jede noch so "langweilige" Szene auf, denn immerhin könnte ja etwas plötzlich passieren).

Neben den falschen Übersetzungen ("Glory to Russia" wurde mal einfach mit "Sieg Heil" übersetzt) ist von meiner Seite aus der größte Kritikpunkt an diesem Film, dass kein kritischer Unterton zu dieser Thematik von Regisseur Pavel Bardin zu sehen ist. Zwar werden durchgeführte Interviews mit russischen Passanten, die anderer Ansicht sind, direkt abgewürgt (weil sie der Ideologie der rechten Szene nicht in den Kram passen), das ist aber zu wenig, um mich zu überzeugen (diese Art und Weise wird bei allen Medien so gehandhabt) . Erschwerend kommt hinzu, dass der Charakter, der die Tragödie am Schluss auslöst, auch ein Kaukasier, also ein "böser Ausländer", ist. Noch erschwerender kommt hinzu, dass Kameramann Eduard im Filmverlauf jeden einzelnen Kamerad mal fragt, wann und warum er Faschist wurde und diese relativ plausible Gründe abliefern.

Auf der anderen Seite frage ich mich: Muss jeder Film einen kritischen Unterton mit sich bringen? Diese Frage ist schwer zu beantworten, und gerade im sensiblen Deutschland, wenn es um dieses heikle Thema geht, sollte wohl eine Aussage hinter dem Film stehen. Ermildernd werden im Abspann sämtliche Menschen namentlich genannt, die im Jahre 2008 durch rechte (vielleicht wie in diesem Film ähnliche) Übergriffe getötet worden sind. Und 121 Menschen ist schon eine relativ große Ansage, wenn man es mal mit dem Rechtsradikalismus in Deutschland vergleicht.
Ich habe heute noch mit zwei russischen Mitarbeitern, die öfter ihr Heimatland besuchen,  zu diesem Thema befragt und sie sagten mir, dass der deutsche, braune Abschaum nicht mal ansatzweise mit dem in Russland zu vergleichen wäre, also dürfte diese Mokumentary relativ realitätsgenau verfilmt worden sein.

Im Endeffekt ist "Russia 88" lediglich eine Sozialstunde über den russischen Faschismus, den man im Genre Drama einordnen könnte - der jedoch, aufgrund seiner Thematik,  ein Tanz auf der Rasierklinge ist und gerade hier in Deutschland verachtungsvolle Kommentare ernten wird. Man muss sich ja nur mal im Vorfeld auf diversen Seiten Kommentare durchlesen, bei denen Moderatoren Beiträge löschen und auch User sperren mussten. Und das, obwohl dieser Film von keiner Person gesehen worden ist und sich die polarisierenden Meinungen nur aufgrund der Inhaltsabgabe gebildet haben.



"Skinheads 88" wird von Fans des actionlastigen Kinos als völlig langweilig tituliert, von vielen anderen als Propaganda-Film abgestempelt werden (und das, obwohl diese vorliegende Fassung scheinbar um 13 Minuten gekürzt wurde, und es dürften nur Dialoge sein, denn Gewaltverherrlichung findet zu keiner Zeit statt), da keine offensichtliche Kritik erkennbar ist. Und evtl. dürfte dieser Film in der braunen Szene auch "abgefeiert" werden, wobei ich nicht weiß, inwiefern deutsche Neonazis sich mit dieser "russischen Variante" identifizieren können.

Ich kann das nur aus meiner Sicht schildern: "Skinheads 88" hat mich gleichzeitig gelangweilt, fasziniert, angewidert, elektrisiert und nach dem Abspann zum Nachdenken angeregt. Auch einen Tag später noch. Und das ist mir 8 Punkte wert.

8/10

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