Ähnlich wie Brügge, Bergues oder das fiktive Sandford doubelnde Wells einen gewissen Tourismusboom ausgelöst haben, der die Leute nach Ansicht ihrer Reiseführer schnurstracks zur nächstmöglichen Buchung oder wenigstens anhaltenden Tagträumen voll Fernweh und Geborgenheit zugleich veranlasste, genauso erging es der Stadt Hengchun, in der Provinz Pingtung, auf Taiwan. Die Lokalität von Cape No. 7, der gerade im Vergleich zum französischen Bienvenue chez les Ch'tis eine ähnliche, für Viele vornherein sicherlich völlig unerwartete, aber retrospektiv umso eindeutig bestimmbare Hysterie ausgelöst hat, ist in seiner ästhetischen Beschaffenheit und der darin liegenden Gemütslage auch hauptsächlich mit einer der Gründe, weswegen so exakt der Ton einer rührenden Leidenschaft beim Publikum getroffen wurde. Der Nerv der Empfindung, in dessen Wirkung man nicht bloß vom Geschehen ganz durchdrungen wird, sondern sich auch für weitere Minuten über dem Abspann hinaus an genau solch einen Ort wünscht. Weil man sich dort Heilung erhofft, das Leben viel schöner, als Mittelpunkt des Dasein weitaus wertvoller erscheint.
Dabei ist nicht nur die landschaftliche und/oder die mittelalterlich, kleinbürgerlich, fast schon von der modernen Außenwelt abgekapselt anmutende Geographie des Residenzstädtchens dermaßen entscheidend für die unmittelbare Mischung aus Nostalgie, Eskapismus, Behütetsein, sondern die Figuren in ihr und ihre Geschichten. Die mit eigentlich ähnlich Konventionalität und großem Leerstand ausgezeichnet sind wie auch beim Zuschauer in der Realität, aber dennoch das besondere Etwas aufweisen, die die engen Grenzen der eigenen Individualität überwinden und einen imaginativen Rollenwechsel so verlockend machen. Wo die Unerreichbarkeit sich die Faszination erhält, raus aus der Monotonie und den Zwängen und ab unter den Triumphbogen der eigenen Erlebniswelt:
Der junge Aga [ Van Fan ] kehrt nach einer gescheiterten Karriere als Musiker aus Taipeh zurück in seine Heimatstadt Hengchun. Eher unwillig, aber vom Stiefvater Hong Kuo-jung [ Ma Ju-lung ], dem Town Council Representative dazu angehalten, übernimmt er dort vorübergehend den Dienst als Briefträger vom verletzten und eigentlich auch schon deutlich zu betagten Old Mao [ Johnny C.J. Lin ]. Während der täglichen Touren durch die Gegend lernt er Land und Leute ebenso kennen wie er sich mit seiner Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft konfrontiert sieht. Als für ein jährliches Frühlingsfest neben dem extra eingeladenen japanischen Musikstar Kousuke Atari [ himself ] auch dringend eine lokale Band als Vorgruppe gesucht wird, lässt er sich nach einigem Zureden von der dort gestrandeten Organisationsveranstelterin Tomoko [ Tanaka Chie ] als Sänger überreden; zusammen mit Old Mao, dem Mechaniker Frog [ Ying Wei-min ], dem durchreisenden Handelsvertreter Malasun [ Ma Nien-hsien ] und der zehnjährigen Dada [ Joanne Yang ] aus dem Kirchenchor. Und dann gäbe es da auch noch eine bisher nicht zugestellte Lieferung, eine Sammlung von über sechzig Jahre alten Liebesbriefen.
Theoretisch wird die Romantische Komödie in seinem substantiellen ursprünglichen Typus nachgeahmt; in den Ausschmückungen mit einem freieren Spielraum, aber darüber hinaus mit den zu erwartenden Verbindungswörtern.
Dabei ist das Abschlusskonzert der Prüfstein, die Beschäftigung mit den Briefen der Ausgangspunkt, und die Bedeutung des Werkes durch die öffentliche Anteilnahme und so die jeweils einzelne Beteiligung der Bezugspunkt. Von der Herrschaft der Emotionalität für den Nicht-Taiwanesen losgelöst ist währenddessen die Historie.
Die Erinnungen und Reflexionen des namenlosen japanischen Briefeschreibers, dessen Gedanken über die politische Situation Ende 1945 und die Auswirkungen auf ihn und seine große Liebe immer wieder auszugshaft vorgelesen werden, und zum Ende gar die Lyriks für das Schlusslied ergeben, stellt somit zwar die zweite Handlungsebene bereit, hat aufgrund seines vorhandenen politischen Standpunkts auch folgerichtig entsprechende Kontroversen ausgelöst, für den nicht mit der Materie Vertrauten oder anderweitig damit Einbezogenen aber keinerlei Belang. Die wenigen Rückblenden, die auf die Situation zu Weihnachten '45, nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg und der Aufgabe der Okkupation Taiwans Bezug nehmen, sind sowieso als nebelhaft entfernte Erscheinung und auch eher kitschumflort aufgenommen worden, was nun nicht automatisch und unaufgefordert zur eventuell kritischen Sichtung mit anschließend angespannter Kundgabe seiner Meinungen, Urteile und Wertvorstellungen zwingt. Und eine rein fiktive Anlehnung ohne Grundsatzdiskussionen theoretisch umso leichter möglich machen könnte, aber so einfach weder vom chinesischen Büro für taiwanesische Angelegenheiten im Staatsrat noch dem Komitee für Festlands-Angelegenheiten im Exekutiv-Yüan gesehen wurde, denen die nachträgliche Versöhnung mit Japan als problematisch erschien; was in kleineren Details zu Beanstandungen führte.
Die Zusammenhänge zwischen bereits Geschehenem, wieder als Erinnerung Aktuellem und dem Handeln im Jetzt liegen allerdings auch ohne eine diplomatische Dimension auf der Hand; weder bleibt die Montage von Bild und Text kommentarlos noch lässt sich die direkte Entsprechung der kontrastierenden Situation ignorieren. Zu offensichtlich sind die Parallelen, die feature film Debütant und Autor Wei bei seinem Festival- und Awardliebling in dichtender subjektiver Tätigkeit nach einer realen Begebenheit ab 2006 heraus entwickelt: Nicht nur, dass der Adressat und der nunmehrige love interest beide auf den Namen Tomoko hören, auch wird die Ankunft des japanischen Sängers auf Taiwan mit den genau passenden Zeilen der Ankunft des japanischen Schreibers zurück in sein Land formuliert, und ist die Botschaft gleichfalls eindeutig. Wo dort die Liebe aufgegeben werden muss, kann hier die Lehre aus dem beschriebenen Schmerz, Leid, Trauer gezogen und um sie gekämpft werden; auch wenn am Ende gerade nicht jeder seinen persönlichen Traum erfüllen und das Objekt der Begierde weiterhin nur aus der Ferne anhimmeln kann.
Das erweicht auf jeden Fall mühelos das Herz, wie im Spaziergang, befängt das Bewusstsein, vergegenständlicht die Sehnsucht, schon aufgrund des einnehmenden Spiels der weitgehend unbekannten Schau- bis gar zu gerade sich vorstellenden Laienspielern, der immer wieder intonierten Melodie von Van Fans "The Seventh and Last Letter" Track als hochgradig einschmeichelnde und umso feste Maßbestimmung, der die Emotionen in Töne ergießt. Nicht zuletzt durch die lebendige Produktion von sagenhaften Postkartenbildern voll Lokalkolorit, die in innerer Verwandtschaft zu Freiheit und Grazie eine nahezu fürsichseiende Besinnung auslösen. Eine virtuose Beseelung zwischen Humor und Ernst, die die Geschicklichkeit der Charakteristik und die Poesie als Substanz nutzt. Eine leichtfüßige, jedoch nicht feengleich der Wirklichkeit davon schwebende und im Verlaufe der dramatischen Entwicklung zur glänzenden Entfaltung kommende Selbstverständlichkeit, der man die nur mühsam überwundenen Schwierigkeiten bei der Vorbereitung des [Ausweich]Projektes als Ersatz für Seediq Bale, dem nun wieder angelaufenenen Nationalepos über den Wushe-Zwischenfall 1930, seiner Finanzierung, dem Umgang mit hereinbrechendem Wetter und der Schieflage der Ökonomie nie ansieht. Ein Luftschloss; zu schön, um wahr zu sein.