Was sind denn heute schon noch fünf Millionen Dollar?
Normalerweise das Budget für einen namhaften Star oder eben die notwendige Cashspritze für gute Spezialeffekte - auf jeden Fall aber genügen sie meistens nicht mehr für eine gute Idee, die man zu einem eigenständigen und nicht aufgeblasenen Film verarbeitet hat.
"Moon" ist ein Glücksfall dagegen, ein Ausnahmefall, für die letzten Jahre vielleicht DER Ausnahmefall, gerade wenn es um das phantastische Genre geht, daß sich zuletzt mehr auf Megabudgets oder dolle Schauplätze inclusive dringende Plot-Twists festgelegt zu haben scheint. Science-Fiction als Basis für Denkanstöße, für das Sinnen über die eigene Existenz oder den Weg von Mensch, Natur und Technik in eine nähere oder fernere Zukunft, das verkauft sich einfach nicht mehr so gut, in einer Zeit, in der Kino wieder mehr Spektakel sein soll und möglichst kaum belehrend oder kritisch.
Dabei deckt Duncan Jones (der nebenbei, auch wenn er das wohl kaum mehr hören kann, der Sohn von David Bowie ist) in seinem Langfilmerstling so viele Stilrichtungen ab, wie er unterbringen kann, ohne den Film zu überfrachten, da in der Filmrealität eigentlich nur eine einzige Figur, eine Person auftritt, die dann allerdings auch mal mehrfach.
Alles beginnt ruhig, fast harmonisch, das Leben des einzigen Besatzungsmitglieds einer auf der Rückseite des Mondes gelegenen Erntestation für im Boden gebundenes Helium, das als natürlicher und gesunder Energielieferant auf der Erde benötigt wird. Sam Bell hat wenig mehr zu tun, als die Erntemaschinen zu warten und die Energiekapseln zur Erde zu schaffen, ansonsten schlägt er die Zeit bis zum nahen Ende seines Drei-Jahres-Vertrags tot, indem er schnitzt, Planzen züchtet, Sport treibt oder sich mit seinem Hilfsroboter/Computer Gerty unterhält, der allerdings außer einer sonoren Stimme (die von Kevin Spacey) jedoch nur einen auf einem kleinen Bildschirm eingeblendeten Smilie mit verschiedenen Emotionsvorgaben zeigt - kein idealer Dauergesprächspartner. Sam ist verheiratet, hat eine kleine Tochter und kann die Heimkehr kaum erwarten - der Mensch, der in der Isolation versucht, Mensch zu bleiben, ohne physisch und psychisch zu verwahrlosen - ein Robinson im All.
Natürlich ändert sich alsbald etwas am status quo - denn in den letzten zwei Wochen seines Aufenthalts beginnt Sam, plötzlich Visionen zu haben, schlechte Träume und schließlich setzt er seinen Mondlaster gegen eine Erntemaschine, was er halbwegs unbeschadet mit einer Gehirnerschütterung übersteht, doch von da an driftet der Film mehr und mehr in den Mysterythriller ab, denn so abgeschottet und wegen eines Satellitenausfalls von der Erde isoliert scheint die Station nicht zu sein, belauscht er Gerty doch beim Livegespräch mit den Firmenleuten auf der Erde. Alsbald ist er in der Station aus Sicherheitsgründen gefangen und geht dem Rätsel auf die Spur - das ihn schließlich an die Unfallstelle zurückführt, wo er sich im Unfallwagen selbst vorfindet...
Von diesem Punkt an wird "Moon" zwar einerseits thematisch offensichtlicher, geht inhaltlich aber sowohl in die Breite als auch in die Tiefe. Die beiden identischen Männer, von denen einer unter den Folgen des Unfalls zu leiden scheint, müssen sich sowohl miteinander als Menschen und als identische Personen arrangieren, inclusive des Dilemmas, daß sie offensichtlich beide Klone sind. Angesichts eines auf dem Weg befindlichen Rettungskommandos, das genauso eine Gruppe eiskalter Killer sein könnte, versuchen die beiden so viele Informationen für sich zu sammeln, wie sie bekommen können und dechiffrieren Stück für Stück ihre Existenz - allerdings bringt erst die Interaktion beider "gleicher" Charaktere wirklich Ergebnisse, die als Entscheidungshilfe für das weitere Vorgehen helfen können.
"Moon", und das ist löblich, fällt ihn kein gemachtes Nest, keine vorgefertigte Schablone, wie ein zu erwartetendes Thrillerszenario oder ein simples Psychogramm einer künstlichen Existenz, sondern versucht von da an, die Komplexität des Individuums abzudecken. Geradezu manisch ruhig fügen die beiden Sams die Puzzleteile um das Leben auf der Mondstation zusammen, Gertys Rolle, die Dauer ihres Aufenthalts, die Satellitenstörung - und halten so den Plot ununterbrochen am Laufen. Derweil laden sie das Publikum zum Nachdenken über die mögliche eigene Reaktion ein und zwingt es dazu, mit den Klonen zu entscheiden, ob ihre Erschaffung, ihre Funktion, ihre Rolle richtig oder falsch, pervertiert oder zweckdienlich zu sehen ist. Dabei werden sowohl der individuelle Wunsch nach Leben, die Selbstaufopferung, die Liebe (bzw. die Illusion davon), der Wert der Erinnerungen, die Frage nach dem Sinn und nach der Verantwortung abgeklopft und durch die Bewußtwerdung der eigenen, begrenzten Existenz der Einfühlungsbereich für die Figuren erweitert.
Interessant ist dabei die Anordnung verschiedenster Versatzstücke, die Jones aus der leuchtenden SF-Filmgeschichte entlehnt hat, ohne sie blaß zu kopieren - alles wird ohne wirkliches Augenzwinkern sauber in den Film integriert: die Frage nach der eigenen Existenz, die begrenzte Lebensdauer, das sind Ansätze aus "Blade Runner", das Rettungskommando samt Countdown stammt aus "Outland" (bzw. aus "High Noon"), Gerty ist ein komprimiertes Abbild von HAL aus Kubricks "2001", die Situation des isolierten Bells in seinem Planzenzimmer gemahnt soft an Douglas Trumbulls fabelhaften "Silent Running", die Station ähnelt der Nostromo aus "Alien".
Dabei bleibt Jones erfrischend eigenständig, stets um die richtige Wahl an emotionaler Bandbreite bemüht, nicht um Action, was den Film etwas uneben im Bereich des Erzähltempos macht, aber die Komplexität der Story und der gemachten Entdeckungen steigert. Obwohl auch hier einige Überraschungen auf den Zuschauer warten, verläßt sich Jones jedoch in seiner Story nie auf überwältigende Twists, sondern geht auf eine folgerichtige Entdeckungsreise, die einige Teile des Publikums, die die modernen Mechanismen des Storyaufbaus verinnerlicht haben, vermutlich brüskieren wird, aus Langeweile. Da werden die wunderbaren, mit Modellen gestalteten Mondaufnahmen wohl kaum etwas retten können.
Dabei bietet "Moon" exzellentes Mitdenkkino für alle ab zwölf Jahre durch sämtliche Altersklassen, ein vielschichtiges Drama, daß eben zufällig in einer halbwegs nahen Zukunft spielt und mit Fragen jongliert, die in Sachen Moral und Möglichkeiten der Wissenschaft auch heute schon die Völker beschäftigt. Dabei wird nicht die Pervertierung der Klone platt herausgestellt, sondern das Vorgehen des Lunar-Konzerns über den ganzen Film fast schon klaglos hingenommen, auch wenn am Ende der Wunsch nach gelebter Individualität obsiegt und eine Fortsetzung antippt, die der Film eigentlich in dieser Form gar nicht nötig gehabt hätte. Andererseits hätte der Fokus auf die Verursacher den Film so sehr in eine speziell-kritische Richtung getrieben, daß die Vielschichtigkeit etwas verloren gegangen wäre und die Personifizierung der verschiedenen Sam Bells darunter gelitten hätte. Am Ende ist es dann doch mehr "Human(ity) Fiction" denn normale SF, doch das war schon immer die zugänglichste Untergattung, weil man die als Zuschauer eben noch am ehesten nachvollziehen konnte. Oder miterleben. Oder fühlen.
Ein Mond ist aufgegangen (8,5/10)