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Die Klassifizierung eines Films als "Western" schafft eine automatische Erwartungshaltung beim Betrachter und wenn ein Film zudem noch mit einem klassischen Bankraub beginnt, die Räuber kurz danach von der sie verfolgenden Polizei aus den Betten von Prostituierten geholt werden und zwei von ihnen - begleitet von wilden Schiessereien - in letzter Sekunde fliehen können, dann scheint sich diese Erwartung zu erfüllen. Tatsächlich handelt es sich bei "One-Eyed Jacks" (die englische Bezeichnung für einen Menschen mit zwei unterschiedlichen Gesichtern, was den deutschen Titel "Der Besessene" als veritable Fehlinterpretation outet) zwar regional und optisch um einen Western, aber vor allem um eine komplexe Studie über menschliche Verhaltensweisen, die nur mit wenigen Actionelementen aufwartet.

Es wäre allerdings genauso falsch, die Westerncharakteristik als reine Äußerlichkeit anzusehen, denn durch die archaische Lebensform weniger Menschen innerhalb einer unendlich wirkenden Landschaft lassen sich die Beziehungen der handelnden Personen untereinander konzentrierter beschreiben. Stanley Kubrick sollte den von Marlon Brando mitproduzierten Film inszenieren und auch wenn es wegen einer Auseinandersetzung zwischen ihnen nicht dazu kam (Brando selbst übernahm daraufhin die Regie), werden Parallelen zu Kubricks sonstigem Werk erkennbar. Der Film entwickelt seine Story sehr langsam, verdeutlicht mit panoramaartigen Bildern die Weitläufigkeit der Landschaft und konzentriert sich auf die Gesichter der Beteiligten, deren Regungen die Kamera in langen Einstellungen einfängt.

Dabei profitiert der Film von einer Riege ausgezeichneter Darsteller, die in der Lage waren, auch emotionalste Momente mit geringst möglichen Mitteln auszudrücken. Auffällig an "One-Eyed Jacks" sind vor allem die Elemente, auf die der Film verzichtet und die üblicherweise zur Schürung von Emotionen genutzt werden. Nachdem Rio (Marlon Brando) und Dad (Karl Malden) vor der mexikanischen Polizei fliehen konnten, müssen sie sich trennen, da nur Einer frische Pferde holen kann. Während Rio die Stellung hält, reitet Dad zu einem nahegelegenen Bauernhof, aber anstatt mit einem zweiten Pferd zurückzukommen, setzt er sich alleine mit der Beute in die USA ab und überlässt Rio der Polizei, die ihn kurz darauf festnimmt. Rio muss erkennen, als er als Gefangener mit der Polizei ebenfalls an dem Bauernhof vorbeikommt, dass ihn sein Partner im Stich gelassen hat.

Der Zeitsprung von 5 Jahren, den der Film darauf macht und der bei Rios Flucht gemeinsam mit einem anderen Gefangenen (Larry Duran) wieder einsetzt, ist bemerkenswert, denn der Film zeigt keinerlei Bilder von Rios Gefängnisaufenthalt. Angesichts der Tatsache, dass darin der Grund für seine Rachegefühle verankert ist, wird erkennbar, wie wenig der Film es nötig hat, eine emotionale Schürung beim Betrachter aufzubauen, wie es heute bei sogenannten "Revanche-Filmen" zur Legitimierung von Selbstjustiz üblich ist. Stattdessen gelingt es Brando durchgehend den brüchigen und trotz aller Sympathie zwiespältigen Charakter seiner Rolle beizubehalten.

Zu verdanken ist das auch Karl Maldens Leistung, der ebenso beherrscht agiert, wodurch die wenigen Momente, in denen er die Selbstkontrolle verliert, entsprechend aussagekräftig werden. Die Souveränität, die Malden als Dad größtenteils auszeichnet, lassen Rios Rachegefühle übertrieben wirken, und erzeugen ein charakterliches Gleichgewicht. Brando selbst bezeichnete die Rolle des Dad als die einzig "ehrenhafte" Figur, obwohl dessen zwei "Gesichter" (einst Bankräuber, jetzt Sheriff) scheinbar die widersprüchlichsten sind. Verständlich wird diese Interpretation durch Dads geradliniges Verhalten, dass nur durch seinen ihm selbst sehr bewussten Fehltritt gegenüber Rio belastet ist. Malden kann sogar vermitteln, dass er sich dafür schämt, aber er ist nicht in der Lage, damit offen umzugehen. Rio wirkt dagegen manchmal geradezu verschlagen und hinterhältig.

Großartig ist in diesem Zusammenhang ihr erstes Wiedersehen nach mehr als fünf Jahren. Wer an eine lautstarke Auseinandersetzung glaubt, irrt, denn beide Protagonisten begegnen sich mit äußerster Freundlichkeit. Das Kunststück in dieser Szene liegt darin, einerseits die unterschwelligen Aggressionen zu verdeutlichen, andererseits die gegenseitige Sympathie, die der Grund für ihr langjähriges Zusammensein gewesen war, ebenso zu vermitteln, wobei Dad diese Emotionen eher abzunehmen sind. Deshalb ist es verständlich, warum Louisa (Pina Pellicer), Dads Stieftochter, die er nach der Hochzeit mit Maria (Katy Jurado) adoptierte, für den Gast Gefühle entwickelt.

Damit erhält die Story ein weiteres wichtiges Element, dass typisch für Brandos Filme ist - eine intensive Liebesgeschichte. Diese fügt sich unmittelbar in die Konstellation ein, denn sie gibt Brando die Möglichkeit, weitere Facetten im Charakter des Revolverhelden Rio zu entwickeln, die ein sehr komplexes Bild einer Männlichkeit vermittelt, die nichts von den üblichen Stereotypen beinhaltet. Nicht ohne Grund wird Rio in einer Szene zuvor als berechnender Frauenheld gezeigt, denn als er mit Louisa allein am Strand ist, verwendet er die selben Methoden, die seine offensichtliche Verlogenheit verdeutlichen. Nach einer gemeinsamen Nacht gesteht er ihr seine Lügen, die er zuerst verwendete, um Dad damit zu treffen, aber für die er sich inzwischen ihr gegenüber schämt. Louisa gelingt es innerhalb eines sehr beschränkten Bewegungsraums, der einer jungen Frau - dazu noch Mexikanerin in den USA - damals zur Verfügung stand, selbstbewusst und eigenständig handelnd aufzutreten und erhält damit Einfluss auf Rio. Die Modernität, die in ihrem Agieren liegt, betont der Fim noch dadurch, dass er erstaunlich selbstverständlich mit Sexualität umgeht, ohne in parodistische oder übertriebene Gesten zu verfallen, die damals und auch in den späteren "Italo-Western" üblich waren.

"One-Eyed Jacks" entwickelt aus seiner Konstellation, die durch einige sehr gute Nebendarsteller noch an Komplexität gewinnt, große Spannung, denn zu keinem Zeitpunkt wird deutlich, welche Konsequenzen den Einzelnen erwarten, auch wenn es kaum möglich erscheint, dass sie alle mit heiler Haut davon kommen. Auf Druck des weiteren Produzenten war Brando gezwungen, seinen pessimistischen Schluß zu ändern, aber letztlich bleibt der Gesamteindruck erhalten, denn "One-Eyed Jacks" verzichtet darauf, klare Sympathien zuzuordnen und Dinge abschliessend zu klären und entlässt den Betrachter mit einem Gefühl der emotionalen Unsicherheit.

"One-Eyed Jacks" ist ein Western, der viel von der Weite des Landes vermittelt und auch typische Elemente einbindet, was gewisse Erwartungen schürte, weshalb der Film damals beim Publikum durchfiel und auch heute nur wenig bekannt ist. Dabei handelt es sich um ein großartiges Werk - in der selbstverständlichen Verbindung mexikanischer und us-amerikanischer Personen innerhalb einer komplexen Handlung überaus modern und zeitlos und dazu - ohne Effekte schüren zu müssen - emotional fesselnd (9/10).

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