Ist schon etwas schwer, heute Kinogänger mit einem Ensemblepic zu locken, indem ein Aufgebot von ca. 30 Schauspielern zweieinviertel Stunden lang am Kern der Sache meist vorbei redet, es auf die Zwischentöne ankommt und auf die Standesunterschiede, als weniger auf den Mordfall, den schon das Filmposter vorneweg postuliert.
Trotzdem ist "Gosford Park" Kino vom allerfeinsten und auch wenn Robert Altman-Filme schwer zu rezeptieren sind, sollte man sich gerade den nicht entgehen lassen, man könnte etwas Gehaltvolles verpassen.
Vordergründig gesehen: Im Herbst 1932 versammelt sich eine Jagdgesellschaft auf dem Landsitz eines Adeligen für ein knalliges Wochenende. Die Gesellschaft ist erlesen, die Leute sind untereinander teilweise zerstritten, teilweise eifersüchtig. Der Adel treibt seine Spielchen, jeder will vom anderen irgendwas, meistens Geld. Und wer es bereits hat, will es behalten.
Währenddessen haben die noch zahlreicheren Bediensteten alle Hände voll zu tun, damit vor den Kulissen alles gediegen abläuft. Essen, Kleidung, Dienstleistungen, alles will bereitgestellt sein. Und dabei darf man nicht übersehen, daß es auch zwischen Dienstboten eine Rang- und Hackordnung gibt; Leute, die befehlen und andere, die sie ausführen. Machtkämpfe der unteren Klassen. Auch hier geht es um die Stellung, um das Behandeltwerden und das Dienersein, das Dienen schlechthin. Es geht um Geld, Betrug, Sex und Eifersucht.
Samstag gegen Mitternacht bekommt der knurrige Hausherr ein Messer in die Brust und nun muß die Polizei her. Alle haben etwas zu verbergen, keiner will was sagen, die Sache ist höchst unangenehm. Und dann war der alte Mann bereits vorher tot, vergiftet!
Wenn das die Emotionen nicht hochkocht! Doch der Schein will gewahrt werden, alle wollen nur möglichst schnell raus, denn allen ist irgendwie damit gedient....
Hintergründig gesehen: Altman und dem Autor sind an der Aufklärung der Mordgeschichte gar nichts gelegen. Die ist nur Mittel zum Zweck, weswegen Stephen Fry als Inspektor auch ein vollkommen ahnungsloser, aber sympathischer Strahlemann ist, während sein Constable wahre Polizeiarbeit erledigt. Aber die Aufklärung ist auch unwichtig, denn der Film ist mehr eine Bestandsaufnahme als ein klassisches Whodunit.
Vielmehr wird hier das klassische Spiel zelebriert, nach dem eben nicht das gesagt wird, was wichtig ist, oder wenn, nur als Nebensatz. Das wahre Puzzle muß man selbst zusammenlegen und deswegen stürzt der Film uns auch mittenrein. 30 Leute, keiner ist bekannt, die Namen fliegen in der ersten halben Stunde nur so um die Ohren und bedarf schon reger geistiger Mitarbeit, um durch den Wust von Namen, Beziehungen, Ständen und Zugehörigkeiten erst mal durchzusteigen. Um so schöner dann, wenn man es endlich geschafft hat, denn dann breitet sich vor einem ein durchtriebenes, in sich verwobenes Netz aus Standesvermischungen aus, das auf der Bühne der Öffentlichkeit so wunderschön vermieden wird.
Da bumst der Neffe des Toten, jung und erfolgreich, die ziemlich aufgequollene Küchenhilfe, der Hausherr hat was mit einer Kammerzofe, ein amerikanischer Diener springt zur Hausherrin ins Bett und über all dem schwebt ein Adoptionsskandal, der die Tragödie auslöst, als er ans Licht zu kommen droht.
Aber so krass muß es gar nicht werden, denn jeder trägt hier auch so sein kleines Drama mit sich herum, das man als Zuschauer langsam montieren muß. Wer hat mit wem, würde gern mit ihm oder ihr, schuldet hier oder braucht da, das sind die Fragen.
Und nebenbei beißt sich die Satire durch die englische Klassengesellschaft, rollen die feingeschliffenen, fast beiläufig vorbeiziehenden Dia- und Monologe durch die erhabenen Korridore. Da paßt sich jeder an, da unterwirft sich auch der größte Mime dem Skript und steuert leise seinen persönlichen kleinen, fiesen Part bei.
Hauptdarstellerin ist dabei die fast unbekannte Kammerzofe von Maggie Smith, Kelly MacDonald, aber eben nur fast, denn wirkliche Hauptdarsteller sind dabei alle und jeder. Fast unbemerkt zaubern sich Alan Bates, Richard E.Grant und der wirklich mit Ehren überschüttete Shakespearmime Derek Jacobi durch die Dienerschaft, führ Helen Mirren ein mürrisches Regiment. Emily Watsons Zofe ist so spröde, daß man es beinahe knistern hört, während Stephen Fry so munter deplaziert ist, daß man ihn knuddeln könnte. Bei den Adeligen tragen Kristin Scott Thomas und Camilla Rutherford ihre kleinen Gefechte aus, Jeremy Northan spielt mit all der nötigen Würde und Maggie Smith übergießt das mit nicht eingesehenem Snobismus und schartigen Bonmots.
Ausstattung und Kostüme sind dabei so fein geraten, daß es sich fast um eine Dokumentation oder eine zeitgemäßte Aufnahme handeln könnte und die Rang- und Machtkämpfe entspinnen sich leise, während das Leben einer Zwei-Klassen-Gesellschaft mit gegenseitiger Akzeptanz ihren Fortlauf nehmen (müssen). Nur Ryan Philippe versucht, dasselbe aufzubrechen und muß prompt mit beidseitiger Verachtung büßen. Man ist halt, worein man geboren wurde und das kann man nicht ändern, eine Maxime, die in England heute noch Sitte ist. Doch ob Ober- oder Unterschicht, jeder kann ein Meister sein und einer bezahlt hier dafür mit dem Leben und irgendwie, das ist die größte Ironie, ist es gut so.
Am Ende läßt uns Altman nicht im Regen stehen, entlarvt für uns den bzw. die Täter, aber mehr als Dankreichung an die Zuschauer, weniger weil es für den Fortgang des Lebens entscheidend wäre. Und so bleibt der Täter auch unbestraft, unentdeckt, unverhaftet - alles ist ganz privat inszeniert, herausgefunden, doch nicht veröffentlicht. Man bleibt halt unter sich - man darf zwar alles wissen, muß aber noch lange nicht alles sagen.
Und dennoch schwebt über allem, allein durch das Datum der Hauch von Endzeit, Herbst, Regen, alles ist vergänglich. Die Beibehaltung des Status Quo nur noch eine Frage der Zeit, ehe die Geschichte die Grenzen verschwimmen wird lassen. Nein, entkommen kann hier keiner, nicht einmal das Publikum.
Das hat sich am Ende durch das Gewirr durchgearbeitet, anstrengend montiert in vielen kurzen, ineinander verschachtelten Szenen, die fließend ineinander übergehen, sprunghaft, fragmentarisch und überraschend komplett. Und dann geht das Licht wieder an und man ist seltsamerweise gesättigt und zufrieden, weil es so viel Größe hatte, Wahrheit und Biß. Länger drüber nachdenken ist natürlich weiterhin erlaubt. (8/10)