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„Er ist wahnsinnig und unsichtbar – aber er ist ein Mensch!“

Neben einigen (Kriegs-)Dramen drehte US-Regisseur James Whale in den 1930er-Jahren einige Horrorfilme für die „Universal“-Filmproduktion, darunter unverrückbare Klassiker wie „Frankenstein“ und „Frankensteins Braut“. Neben Frankensteins Monster erweiterte er die Riege der Universal-„Classic Monsters“ im Jahre 1933 um den unsichtbaren Dr. Jack Griffin nach einem Roman H.G. Wells‘ und brachte damit einen Archetypus des Mad Scientist auf die Leinwand.

Dr. Jack Griffin (Claude Rains, „Der Wolfsmensch“) hat an einem Mittel geforscht, mit dem man einen Menschen komplett unsichtbar machen kann. Er testet es im Selbstversuch und wird tatsächlich unsichtbar – und bleibt es zu seiner Überraschung. Fieberhaft versucht er, ein Gegenmittel zu entwickeln. Er lässt Frau und Familie zurück und steigt mit seine Unsichtbarkeit verhüllenden Bandagen im Gesicht in einem Gasthaus ab, um in Ruhe weiterforschen zu können. Doch diese Ruhe ist ihm nicht vergönnt und die Situation eskaliert. Griffin muss fliehen und bemerkt selbst nicht, wie ihn sein Serum zum Negativen verändert: Er wird böse und größenwahnsinnig.

Diese seine zweite Spielfilmrolle überhaupt bedeutete den Durchbruch für Claude Rains im Filmgeschäft, kurioserweise obwohl sein Gesicht lediglich kurz in der Schlusseinstellung zu sehen ist. Tatsächlich wurde Rains aufgrund seiner ungewöhnlichen Stimme und Aussprache ausgesucht, über die Whale der unsichtbaren Rolle Charakter verleihen wollte. Nach einer heiteren Kneipenszene mit Witz und viel Gelächter wird die komödiantische Szenerie jäh unterbrochen von der Ankunft des bandagierten Unsichtbaren, den eine geheimnisvolle Aura umgibt. Whale hält sich nicht lange mit Nebensächlichkeiten auf und zeigt schon früh die tollen, seinerzeit als revolutionär aufgefassten Spezialeffekte, wenn der Unsichtbare sich seiner Bandagen und Kleidung entledigt. Hierfür wurde eine Art Vorläufer des Blue-Box-Verfahrens angewandt, schwarzer Samt verhüllte die unsichtbar wirken sollenden Körperteile. Auch heute noch kann sich diese Technik (nicht) sehen lassen, zu ihrer Effektivität gesellt sich jahrzehntelang gereifter Charme.

Rasch schreitet auch die charakterliche Veränderung Griffins voran, seine größenwahnsinnigen Vernichtungspläne äußert er indes recht plump und comichaft überzeichnet. Selbstverständlich lässt man Griffin auch Streiche spielen und Schabernack treiben, wie es wohl die meisten täten, wenn sie einmal unsichtbar sein könnten. Für derartige Szenen wird „Der Unsichtbare“ wieder beschwingt-komisch, nur um im nächsten Moment Griffin einen Zug entgleisen und damit hunderte Tote verantworten zu lassen. Ein Wechselbad der Gefühle also, das der temporeiche Film provoziert und dafür auf Tiefgang hinsichtlich Griffins Charakter, seiner Gefühls- und Gedankenwelt, eventuellen Zwiespälten etc. verzichtet. Möglicherweise wollte man bewusst nicht zu sehr in Richtung „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ steuern. Bemerkenswert: Zum Dank für den entscheidenden Hinweis auf den flüchtigen Griffin fackelt die Polizei dem Landwirt die Scheune ab und läutet damit ein tragisches Ende ein, dem allerdings diverse Fortsetzungen unter fremder Regie folgen sollten. „Der Unsichtbare“ erschien mir lange Zeit der am wenigsten Interessante der „Classic Monsters“, dabei ist auch er ein filmhistorisch bedeutungsvolles Mad-Scientist-Science-Fiction-Abenteuer der guten alten Schule und Meilenstein des phantastischen Films, der auch rein zum Vergnügen geschaut noch immer angenehme Kurzweil und überschwängliche, kindlich-naive Träume von Unsichtbarkeit bedienende Unterhaltung bietet, prima gealtert ist und beweist, dass geglückte handgemachte Spezialeffekte einfach zeitlos sind. In diesem Sinne: „Plötzlich kam mir durch die Drogen, die ich die ganze Zeit genommen hatte, die Erkenntnis!“

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