Review

März - Ratlosigkeit und stille Trauer

Das österreichische Autorenfilmer-Kollektiv coop99 hat wieder zugeschlagen und einen Film hervorgebracht, der in seiner Unscheinbarkeit so dezent, aber dafür nachhaltig wirkt, wie es zuletzt Jessica Hausners "Hotel" im Bereich des Mystery-Thrillers tat.

Händl's Film "März" widmet sich dem Thema Trauer und Verlust, er erzählt davon, wie die Angehörigen und Freunde dreier junger Studenten, die gemeinsam Suizid begangen haben, mit dem Verlust umgehen und langsam versuchen, in den Alltag zurückzufinden. Doch wie schon Hausner in ihrem Film Genre-Regeln gezielt aussparte, womit ihr eine bemerkenswerte Reinterpretation ihres Sujets gelang, entzieht sich auch "März" jeglicher billiger Rhethorik, die dem Thema eigen ist. Zuvorderst: Er melodramatisiert nicht und er psychologisiert nicht. Diese beiden Prinzipien sind, und hier haben die Macher ihre Lektion gelernt, wohl die wichtigsten Errungenschaften von Michael Haneke und anderen Vertretern des modernen Autorenkinos in Österreich. Ein Film soll demnach keine Antworten behaupten, für Probleme, auf die es keine allgemeingültigen, einfachen Antworten gibt. Er soll vielmehr die aufgeworfenen Probleme in ihrer möglichst vollen Komplexität erfassen und emotional vermitteln, sodass der Zuschauer gezwungen wird, seine eigenen Antworten aufzustellen und zu bewerten.

Demnach ist ein guter Film ein solcher, der seine Figuren nicht einem Zweck unterstellt, sondern als Menschen ernst nimmt, sie nicht emotional ausbeutet. Händl gelingt das mit einer eher suggestiven statt expliziten Inszenierung bemerkenswert gut. Am Anfang des Filmes steht die unkommentierte Tat, so unschuldig daherkommend wie ein Spiel dreier Buben. Und sie schwebt über dem Rest des Filmes als ein diffuses Rätsel, denn in keinem Moment versucht der Film die Umstände zu klären, geschweige denn den Opfern überhaupt einen Hintergrund zu geben. Eine Auflösung gibt es nicht. Warum auch? Sie wäre eine grobe Vereinfachung. Schließlich geht es ja gerade um die Ratlosigkeit der Hinterbliebenen, die es ihnen so schwer macht, den Verlust zu überwinden. Ein einziger Versuch, die Tat in einem homosexuellen Kontext zu "erklären" wird sofort im Keim erstickt. Desweiteren spart die Kamera jegliche Form von offener Trauer fast vollständig aus - Tränen sehen wir nicht. Zu Beginn serviert uns der Film zunächst viele Rückenansichten, montiert subjektive Perspektiven der Protagonisten aneinander. Man lernt die Personen somit unvoreingenommen kennen, weil nicht zuletzt die Konstellation der Hinterbliebenen erst sukzessive im weiteren Verlauf des Films offenbar wird. Die Erzählhaltung zeugt von großer Sensibilität, denn sie lässt den Figuren ihre Intimsphäre und deutet ihre seelischen Schmerzen nur zurückhaltend an. Dabei haben die Rückenansichten eine zweite Funktion: Das Aussparen des Leids. Als der Vater eines der Toten einmal im Wald steht und laut weint, bleibt die Kamera scheu hinter ihm. Die Tonspur vermittelt hier direkter, und stellt dabei nicht zur Schau. Eine klassische Haneke-Tugend.

Ein typischer Vertreter des Austro-Realismus ist "März" aber dann doch nicht. Dafür zeichnet er ein im Grunde positives Menschenbild. Der Humanismus ist hier offen und wird nicht, wie etwa in den Filmwelten von Ulrich Seidl, durch einen betonten Mangel im Zuseher heraufbeschworen. Dazu passt auch das charmante Tiroler Lokalkolorit des Films. Die Leute reden hier, wie ihnen der Mund gewachsen ist, in schönstem Tirolerisch und ganz ohne hochtrabende Drehbuch-Dialogzeilen. Man sollte das nicht als unbeholfenes Schauspiel missverstehen. Die Menschen halten hier im Großen und Ganzen zusammen, auch wenn bei dem einen oder anderen die seelischen Wunden nicht verheilen wollen. Das gegenseitige Umarmen, gemeinsame Rituale, die offene Aussprache, das sind die Schlüsselmotive in der Filmhandlung. Man klammert sich an den Alltag und sucht Trost beim Nächsten. Dabei gelingt das den Brüdern und Schwestern der Toten insgesamt besser als den Eltern. Die stärksten Szenen hat "März" dann, wenn er diese beiden Pole zusammenbringt, wenn einer dem anderen Halt gibt, wenn dabei gelegentlich ein stiller, warmer Humor aufblitzt. Wohl liegt darin die positive Botschaft des Films. Ein allumfassender Fatalismus, dass alle am Schluss am Verlust ihrer Liebsten zerbrechen, wäre auch Fehl am Platze. Ebensowenig aber auch die Naivität, dass am Schluss der Verlust für jeden überwunden und die Welt wieder in Ordnung ist.

Wer auf der Suche nach kleinen Perlen des deutschsprachigen Autorenkinos ist, sollte "März" sehen. Deutsche außerhalb Bayerns könnten allerdings Probleme mit dem starken Dialekt haben. An das Austria-Highlight 2008, "Revanche", kommt der Film aber nicht ganz ran. 9/10.

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