<!--StartFragment -->Eine schwermütige Romantik zeichnet Lost, Indulgence aus. Als anhaltendes Drama, dass allerdings nicht pathetisch zelebriert, sondern vielmehr feierlich in Augenschein genommen wird, die Hoffnung in kleinen Glücksmomenten und ganz allgemein Bilder findet, die einen höheren Ausdruck von den gewöhnlichen Geschehnissen geben. Angesiedelt in Chongqing, der Heimatstadt von Regisseur Zhang Yibai, der diesen beeindruckend verworrenen Schauplatz bereits in Curiosity Kills the Cat gewürdigt und nur kurz für The Longest Night in Shanghai den Rücken gekehrt hat, wird auch hier die Szenerie zum Mitspieler im verzweigten Geschehen des kleinen Antimärchens. Eine Großstadtmetropole am Dreischluchtendamm des Yangtse, die ohne Rücksicht auf seine Bewohner den Anschluss an Peking und Shanghai aufnehmen will, sich entsprechend der Ziele und Vorgaben ebenso rasant ent- wie umentwickelt und im unbarmherzigen Aufschwung Kontrollen verliert und Kluften reißt.
Der Film betrachtet seine Figuren, sieben an der Zahl, manche mehr, manche weniger im Mittelpunkt, dabei mit ruhiger Geste, niemals im aufschwellendem Affekt, trotz kollidierender Umstände nicht einmal im erregenden Moment. Die Handlung von Secret Coast [wörtlich übersetzt] gliedert sich in natürliche Teile mit abgeschlossener Selbständigkeit, wird auch jeweils kapitelhaft mit einen bezeichnenden Schlagwort vorangestellt, verweilt aber nicht auf dieser Abschirmung, sondern sucht und findet das Substantielle mit dramatischer Poesie in der vielgestaltigen Gesamtheit:
Taxifahrer Wu-tao [ Eric Tsang ] verschwindet eines Nachts im Beruf, als sein Auto in den anliegenden Fluss stürzt. Der letzte Fahrgast, das Clubgirl Su-dan [ prominentes Problem: Karen Mok ], wird mit einem gebrochenen Bein aus dem Wrack gerettet und quartiert sich nach einem Krankenhausaufenthalt auf Bitte der nunmehrigen Witwe Fan-li [ Jiang Wenli ] bei Ihr und ihrem Sohn Xiao-chuan [ Tan Jian-Ci ] ein; die Kosten für das Hospiz können nicht mehr bezahlt werden, die Versicherung wird mangels einer Leiche erst nach zwei Jahren ausbezahlt und Li ist sowieso als Ärztin in Doppelschicht tätig. Die neue Gemeinschaft wird zwar nur widerwillig angegangen, gewinnt über die Zeit aber an Bindungen, die den auf ihre Weise Verlorenen für den Moment auch speziellen Halt, wenn gleichfalls neue Verlockungen und Gefahren bietet.
Der überaus gedämpften, verinnerlicht achtungsvollen Inszenierung kommt das Formulieren über allmähliche Details und ein oftmals stummes Spiel mit großer Überlegung als besonderer Aussagewert zu. Abseits äußerer konkreter Verhältnisse und Umstände wird der wahrhaftige Inhalt über geraume Zeit nur im bloß unbestimmten Bewegen und über viele widrige und auf der anderen Seite allegorisch fabulöse Empfindungen erkundet. Dabei wendet man sich gar nicht der Ausgangsfrage zu und lässt den Autounfall, der nur aus der Distanz als ungebremstes Hineinlenken in den Fluss gezeigt wurde, sowie die Hintergründe und Ursachen dessen nahezu außen vor. In der neuen Patchwork-Familie wird weder darüber geredet, noch warum über eine Stunde von dem Einsteigen Su-dans in das Taxi bis zu dem Unglück vergingen. Das Mysterium wird zum Ende hin wieder auf seine Möglichkeiten hin abgeklopft, aber nicht grundsätzlich und schon gar nicht zu aller Zufriedenheit beantwortet, und auch der zweite Aufhänger, der Keim einer eventuellen Liebesgeschichte zwischen dem pubertierenden Heranwachsenden und der neuen, reifen, erfahrenen Frau in seinen vier Wänden blüht niemals auf. [Was man schlechterdings dem Einschreiten der fürsorglichen chinesischen Zensur zu verdanken hat, die auch die geplante Premiere beim 32nd Hong Kong International Film Festival unterbanden, und erst nach Schnitten die Veröffentlichung vier Wochen später zum 7th Tribeca Film Festival genehmigten.]
Sowieso lenkt die Regie das Augenmerk zuweilen von dem scheinbar Offensichtlichen ab, verwirrt oder täuscht auch den Zuschauer, ohne aber nicht trotzdem Aufgeschlossenheit und umfassende Weite zu bewahren. Zufälle, Vernünftiges und Irrationales bilden die Individualität der verschiedenen Charaktere, zusätzlich noch Xiao-chuans Bekannter Da-zhi [ Duan Bowen ] und seinen Schwarm Qing-qing [ Sichuan Ma ], gleichfalls aus, wie durch ein Aufeinandertreffen von praktischem Handeln, wollenden Selbst und visueller Entfaltung das Geschehen in eine abstrakte Auflösung gebracht wird. Wie die Stadt an sich zwischen Berg und Tal, Reich und Arm, arrivierter Möchtegern-Extravaganz, weltoffener Avantgarde und [barm]herziger Provinzialität zerspalten und als Ganzes trotzdem eine Einheit ist, so kennzeichnet sich auch die Sprache und das Denken. Genauso wie der Blick aus Fan-lis Wohnung auf das weiträumige Industrieviertel samt Warenumschlagplatz in enormen Ausmaß fällt und man in dem Dickicht aus Nebel, Ruß und Dampf nur von Metall durchzogene Unwirtlichkeit sieht, oben Kilometer an Rohrleitungen, unten die Schienen, genauso wuselt und werkelt die thematische Betrachtung über die Zwiespältigkeit des Lebens vor sich hin. Im Nebeneinander aus realistischer und symbolhafter Gestaltung. Als fiktionalisierter Diskurs in der aktuellen Welt. Zwischen Erklärung und Verklärung. Erkenntnisse werden mit sicherer Hand gesteuert, präformiert, signalisiert, mitreflektiert, kontrastiert oder vergleichend eingefügt; nur in diesem Fall niemals, ohne den Menschen dahinter zu vergessen und ihn gar als Wichtigstes zu verdrängen.
Darstellerisch [mit Ausnahme von Karen Mok] sehr feinfühlig, sehr empfindsam, aber nie übermäßig beseelt oder aufgetragen als Postulat gespielt wird die Überlieferung der fortschreitenden biographischen Momente neben der Figur von Mutter und Sohn vor allem von einem externen Faktor zusätzlich versenkt: Xiao-yi [ Eason Chan ], ein zugereister Geschäftsmann des lockenden Profits wegen, der mehr zufällig auf Fan-li trifft, ihr in der schwersten Not durch edle Taten aushelfen kann, sich so aber selbst in die Misere rein reitet und danach nicht mehr gesehen ward. In konkreter Beobachtung und der Philosophie der Hintertüren verpflichtet hat sogar der Tote Wu-tao noch mehr expliziten Kommunikationsbezug: Sein Porträt an der Wand wechselt je nach Stimmungslage in der Wohnung ganz am Ende des Hausflurs seine Mimik. Manchmal lächelt er, manchmal nicht, und Fragen beantworten kann auch er nicht mehr.