Review
von Carbusters
Lost and delirious, 2001
Ich traue mich kaum, etwas gegen diesen Film zu sagen, schließlich meint er es so gut, sind die Mädels so sensibel und verletzlich, die Lehrerinnen so hilfsbereit und alle Personen so voller Liebe und außerdem noch Verzweiflung. Sicher ist auch die Regisseurin Léa Pool so eine. Deshalb möchte ich natürlich nicht rumkritteln.
Und schließlich spielt auch ein altersweiser, merkwürdige Sätze absondernder, kinderlieber Gärtner mit (so eine Art Yoda-Gandalf), schließlich gibt es wunderschöne Aufnahmen wunderschöner Mädchenkörper (teils auch nackt!), herrlicher nächtlicher Wälder (Gegenlicht!), sorgfältig gestalteter Kostüme, Architektur und Frisuren, schließlich wird ausgiebigst hohe und höchste Literatur zitiert (d.h. im Übermaß Shakespeare, da der Film in einem eher konservativen, anglo-amerikanischen Internat spielt), schließlich gibt es eine sehr weite symbolische Ebene (z.B. Falkenkreisen, Falkenschreien und Falkenwerdung der Heldin) und ein bewegendes Coming-of-Age-Drama, in dem die Liebe, die keine Geschlechter kennt, gefeiert wird, und in dem sicher auch die Gender-Problematik diskutiert wird, wenn die Heldin zum verlassenen „Mann“ (= Degenfechter, Raubvogeldresseur, Tanzpartner) ihrer verzweifelt-treulosen-unsicheren Freundin wird, welche auf Druck ihrer repressiv-spießigen Elterngeneration handeln zu müssen glaubt. Der Film ist also extrem gut gemeint und fordert Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe.
Wie man sieht, will ich also gar nichts gegen den Film sagen.
Äh, ich wollte nur sagen, teilweise einen komischen Geschmack verspürt zu haben... … war nur die Heldin pathetisch, oder der Film?
Und ab und zu gab es einen körperlichen Schock für mich, wenn wieder irgendein Jodelbarde auf der Tonspur losplärrte, daß sich mir die Zehennägel hochrollten, und die mühsam konstruierte, („stimmungsvolle“!) Atmosphäre in Scherben fiel. Erst dachte ich, es handele sich um eine Werbeeinblendung des deutschen Fernsehens („Die machen ja immer alles kaputt!“), doch halt: „Es ist ja DVD!“ Es schien sich tatsächlich um einen Soundtrack zu handeln, der in voller Absicht angelegt worden war. „Auweia!“ War jemand (Léa Pool?) dem Irrtum aufgesessen, die Geschichte erzähle sich ohne lauthals vorgetragene Kommentarmusik nicht?! Ich erlebte einmal mehr, warum „Dogma 95“ gefordert hatte, Musik dürfe nicht nachträglich unter (in diesem Fall: ÜBER) die Bilder gelegt werden. (*)
Und doch, zugegeben: „Er bewegt einen doch!“, der Film. Es war korrekt gespielt und beleuchtet. Die Bilder der leidenden Heldinnen brennen sich ein (der Film spielt zwar in einer Frauenwelt, doch sie sind gutaussehend genug, um ihn auch für männliches Publikum attraktiv zu machen), die Idee einer absoluten, extremen Liebe mag unmodern sein, pathetisch wirken, wird verlacht und skeptisch gesehen (wie von den Mitschülerinnen im Internat) und doch fesselt es, diese Liebe miterleben zu dürfen und miterleiden zu müssen. Eine Liebe, so voller Wucht, voller Energie! (Die ganze Zeit wollte ich die Figuren schütteln und ihnen Verhaltenstipps geben!) Also: Ich blieb nicht unberührt!
(*) „Dogma 95“: wichtiges Manifest zur Erneuerung des Kinos, das jede/r kennen sollte. Erklärung:http://de.wikipedia.org/wiki/Dogma_95