Review

Die Kritik beruht auf der ungeschnittenen DVD-Fassung!


Einer der kontroversesten und schockierendsten Filme der letzten Jahre, der es sogar zu einem umfangreichen Eintrag bei Wikipedia geschafft hat, der dort in einer zitierten Kritikerstimme als "ein Film wie ein Faustschlag, ein Wutausbruch, ein Hilfeschrei" beschrieben wird, "als Metapher für eine Gesellschaft...und deren Missbrauch" - so Regisseur Srdjan Spasojevic in einer Pressekonferenz - "...den wir in Serbien durch unsere Regierung erfahren haben!"

Ein Film, der zu unterschiedlichen  Eindrücken und Empfindungen bei den Zuschauern geführt und auch zu sehr hitzigen Diskussionen in diversen Filmforen gesorgt hat. Filmjunkies, die einen Film nur der Gewalt und der Effekte wegen schauen, hatten mehr erwartet (eine ähnliche Erwartungshaltung wie bei "Melancholie der Engel") und waren enttäuscht, während andere in dem Film genau das sahen, was der Regisseur auf einer Pressekonferenz beschrieben hatte, und angesichts des Gezeigten sowohl schockiert als auch entsetzt waren, das Werk aber für ehrlich und sehr realistisch einschätzten.

Die Meinungen zu diesem Film gehen weit auseinander: da ist von einem Meisterwerk die Rede, von außergewöhnlichen schauspielerischen Leistungen - während auf der anderen Seite viele auf den Film spucken, einerseits weil sie mehr erwartet hatten oder weil sie schlichtweg angewidert waren.

Trotz diverser Meinungen zu dem Film, die ich gelesen hatte bevor ich auch nur einen Trailer zu "A Serbian Film" gesehen hatte, ging ich vorurteilsfrei an das Werk heran. 
Angesichts diverser Schilderungen hatte ich ein schmutziges, primitives Filmchen erwartet, dass trotz unzähliger Eindrücke wie jeder andere Film auch einer objektiven Sichtung unterzogen wurde und meine schlimmsten Befürchtungen wurden nicht erfüllt.

Sieht man einmal von der kontroversen Handlung ab ist dem Regie-Debutanten Spasojevic, der auch das Drehbuch schrieb, aus inszenatorischer Sicht ein beachtlicher Independant-Film gelungen, wie er besser eigentlich nicht sein könnte.
Angefangen von der Schauspielführung und der durchaus beachtlichen Leistungen der Darsteller, allen voran Srdjan Torodovic alias Milos (der sich praktisch - man verzeihe mir den Ausdruck - die Seele aus dem Leib "fickt", sprich spielt), über die Kameraarbeit mit einigen wunderbaren Perspektiven, der Komposition des Soundtracks und seines treffsicheren Einsatzes bis hin zur raffinierten Erzählweise auf unterschiedlichen Zeitebenen und einem verblüffenden Story-Twist zum Ende des Films, bewegt sich die Inszenierung trotz eines minimalen Budgets auf sehr hohem Niveau.

"Bravo, Bravo, Bravo!" um an dieser Stelle einen der wenigen expliziten Dialoge zu zitieren, der treffender die Leistung des Regisseurs nicht beschreiben kann. 
Das Zitat stammt aus dem Mund des im Film dargestellten "Filmemachers" Vukmir, der im Auftrag die perversen Phantasien einer zahlungskräftigen Kundschaft "avandgardistisch" auf Zelluoid bannt, und sich dabei der omnipotenten Manneskraft eines ehemaligen Pornodarstellers bedient, der nicht nur anatomisch, sondern auch anhand seiner Charakteristika an Italiens Porno-Hengst Rocco Siffredi erinnert.

Und das ist nicht das einzige Deja-Vu, das der Zuschauer bei "A Serbian Film" widerfährt. Wer sich nicht von den Aussagen blenden lässt, die auf einer Pressekonferenz gemacht wurden und lediglich dazu dienten, einen Film erfolgsversprechend zu promoten und auf ihn aufmerksam zu machen, wird nämlich ganz schnell erkennen, dass sich Regisseur und Autor Todorovic ganz klar am trendigen Torture Porn orientiert, dabei aber im Gegensatz zu den gelackten US-Vorbildern auf die harte Umsetzung und Kompromisslosigkeit europäischer Produktionen setzt, was sein Werk dann - wie beschrieben - so ehrlich und realistisch erscheinen lässt.

Und tatsächlich: da wo beispielsweise "Hostel" aufhört, der ja auch in einer Ostblock-Republik spielt, geht "A Serbian Film" konsequent seinen Weg weiter um in einem infernalischen, in der Konsequenz seiner furchtbaren Auflösung sehr bewegenden, aber auch grausamen Finale mündet.

Fassen wir zusammen: "A Serbian Film" variiert US-Vorbilder und setzt sie nach europäischen Maßstäben um und bettet die "Snuff"-Thematik in ein logisch aufeinander aufgebautes Handlungsgerüst und punktet - im Gegensatz zu vielen ähnlich gelagerten Produktionen - mit einer vielschichtigen Charakterentwicklung seines Hauptdarstellers Milos:
ein ehemaliger Pornodarsteller, der begehrteste der Branche, der für die Familie seinen erträglichen Job an den Nagel gehängt hat, mit seiner Vergangenheit aber nicht komplett abschließen kann. Im Wohnzimmerschrank stehen fein säuberlich die Tapes mit seinen "Meisterwerken", von deren ersparten Erlösen die Familie lebt (symbolisch bewahrt Milos das Geld in einer Videohülle auf), finanziert somit den Gesangsunterricht seines Sohnes während seine Frau die Haushaltskasse mit ihrer Tätigkeit als Übersetzerin aufbessert. Es wird das Bild einer glücklichen, intakten Familie präsentiert, die in einem schicken Reihenhaus lebt. Das Angebot eines mysteriösen Produzenten - Vukmir - für ihn erneut in einem Porno mitzuspielen, ist verlockend, anfängliche Bedenken werden mit Jack Daniels und einer dicken Summe Geld weg gespült. Doch das ist erst der Anfang und für Milos und den Zuschauer der Beginn einer Reise in die dunklen Abgründe der menschlichen Seele, an deren Ende nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.

Ab Mitte des Films wird das grausame Geschehen der Handlung in Rückblenden und mithilfe abgespielter Tapes erzählt, die Milos entdeckt hatte und die zeigen, für welche Abartigkeiten er mißbraucht wurde, nachdem man ihn willenlos und gefügig gemacht hatte. Die Suche nach der unvorstellbaren Wahrheit gipfelt in einem gnadenlosen Rachefeldzug, der an "8 MM" erinnert, in punkto Gewaltdarstellung aber die US-"Snuff-Variante" in den Schatten stellt. Zu diesem Zeitpunkt ist Milos - so wie Nicholas Cage in "8 MM" - nicht mehr der, der er einmal war, sondern gebrochen und zutiefst verstört angesichts dessen, wozu man ihn unter Drogeneinfluss trieb.

Auch wenn die meisten den Film sicherlich schon gesehen oder zumindest viel darüber gehört haben, soll an dieser Stelle zur Handlung nicht viel mehr verraten werden. 
Nur so viel: "A Serbian Film" offenbart an Handlungs- und Charakterentwicklung viel mehr, als man auf den ersten Blick erwarten könnte und JA: es ist ein Thriller mit einer grausamen Handlung, aber vom Prinzip her nichts anderes als Filme wie "Stumme Zeugin" oder "8 MM" - um jetzt genau die Filme zu nennen, die ebenfalls das "Snuff"-Phänomen als zentrales Thema ihrer Handlung hatten.
Der Unterschied ist nur, dass die serbische Variante heutigen Standards gerecht werden und mit den Sehgewohnheiten des Zuschauers mithalten muss um sich gegen die Konkurrenz zu behaupten. Um dies zu erreichen sprengt "A Serbian Film" ein paar Tabus, ist stellenweise sehr grenzwertig - aber auch für diesen Film gilt die einfache Regel: "Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird!" 

Bedenklich ist allerdings die "New-Born-Porn"-Sequenz, die für mein Empfinden die einzige Szene im gesamten Film darstellt, die selbstzweckhaft ist, weil sie für den Handlungsverlauf keine tiefergehende Bedeutung hat (der Zuschauer wird im weiteren Verlauf des Films noch oft Zeuge dessen, zu welchen Perversionen ein Mensch imstande ist), so dass diese Szene vollkommen unnötig war. 
Hier soll ein Tabu gesprengt, eine Sensation innerhalb des Genres geschaffen werden. Hier geht es lediglich darum zu schocken und sich ins Gespräch zu bringen. Sicherlich eine der Szenen, die sein mussten, um dem Film den Hype und den Bekanntheitsgrad zu verschaffen, den er genießt.

Ebenso übertrieben, widerwärtig und nur auf den Effekt und den exploitativen Charakter zielend ist die Szene, in der Milos mit seinem Penis einem Mann seine Augenhöhle penetriert. 

Sicherlich jenseits des guten Geschmacks und sehr grenzwertig ist die finale "serbische Familien-Zusammenführung", die nichts weiter als eine Orgie ist, bei der ein weiteres Tabu gebrochen wird, weshalb dem Film auch die Nähe zum §184 StGB bescheinigt wird. 
Grenzwertig ja, allerdings nicht explizit dargestellt, und um das Ausmaß der Grausamkeit der Bestie Mensch darzustellen, unumgänglich und weniger spekulativ inszeniert.

"A Serbian Film" ist angesichts seiner Thematik ein Thriller, der sich ausgiebig beim Torture Porn bedient, sich von diesem Genre aber durch seine Rahmenhandlung und Charakterzeichnung unterscheidet. 
Blutrünstige Foltereinlagen und Schlachtungen darf man hier nicht erwarten, auch wenn in den letzten Minuten der Blutzoll ein beachtliches Pensum erreicht. 
Trotz unzähliger Nuditäten - im Gegensatz zu "Baise-moi!" Softcore - und durchgehend vulgärer Dialoge, die aber aufgrund des dargestellten Gewerbes unverzichtbar sind, überzeugt der Film durch seine Erzählweise, die anfangs sehr ruhig beginnt und dann mit atemberaubenden Tempo - und einem kraftvollen, sehr vibrierenden Soundtrack, der perfekt Milos Drogen- und Gewaltrausch suggeriert - auf sein beklemmendes Finale zusteuert.

"A Serbian Film" ist sicherlich vieles, aber ganz bestimmt kein Sozialdrama, für das er von vielen Zuschauern gehalten wird. Dafür wird im gesamten Film zu wenig auf die Mißstände der serbischen Regierung eingegangen, zu wenig von der Armut des Landes gezeigt. 
Um die Aussagen des Regisseurs auf der Pressekonferenz beim Brussels International Fantastic Film Festival zu rechtfertigen, wird in wenigen Dialogen auf die Situation des Landes eingegangen. 
Milos Bruder, ein bestechlicher Polizist, steht stellvertretend für die Korruption des Regimes, die namenlosen Drahtzieher im Hintergrund für die Verbrecher, die das Land und die ärmsten der Armen ausnutzen und ausbeuten. 
Doch das sind Verweise, die an einer Hand abzählbar sind.

Es stimmt auch nicht, dass der Film zeigen will, was Menschen für Geld bereit sind zu tun, um ihrer bescheidenen Existenz zu entfliehen.
Milos nimmt zwar Geld, weil er glaubt einen "normalen" Porno zu drehen, künstlerisch hochwertig, aber nichts, was gegen seinen Ethos verstoßen würde. Als er merkt, in welche Richtung die Dreharbeiten verlaufen, weigert er sich, wird aber unter Drogen gesetzt. Die Abscheulichkeiten begeht er nicht des Geldes wegen, sondern weil er willenlos gemacht wurde. Auch wird das "Macheten-Opfer" nicht gewusst haben, welchen "Höhepunkt" ihre Szene mit Milos haben würde.

Sicherlich will der Film in seiner schonungslosen Offenheit aufzeigen, welche Perversionen in einem Menschen stecken, doch viel Neues erzählt uns "A Serbian Film" auch nicht.
Das Grundprinzip, für Geld alles zu bekommen, und einen echten Mord zu verfilmen, ist aus den genannten US-Produktionen hinreichend bekannt. Den Rest kann man den Tageszeitungen oder dem Internet entnehmen.
Dieser Film ist nur in der Hinsicht neu, dem Zuschauer Dinge zu zeigen, die er zuvor so nie zu sehen bekommen hatte.

Vom primitiven Schlachthaus-Schocker, für den ich ihn nur aufgrund diverser Erzählungen gehalten hatte, ist er meilenweit entfernt und bis auf die genannten Tabubrüche nicht annähernd so widerlich, wie ich ihn mir vorgestellt hatte.

Ich hatte meine Zweifel: man kann hier durchaus von Unterhaltung sprechen! Der Film wird dem Thriller-Genre durchaus gerecht und inszenatorisch gibt es ohnehin nichts zu bemängeln. 
Würde man die "New-Born-Porn"-Szene und die Augenhöhlen-Penetration entfernen bliebe unter dem Strich ein gewöhnlicher Vertreter des Genre, der sich mit einigen Härten von seinen Vorbildern abzusetzen versucht.

Insgesamt gesehen ein durchaus gelungenes Erstlingswerk. Der Verweis auf Serbien ist ebenso fragwürdig und übertrieben wie seine Tabubrüche und hätten die Franzosen eine entsprechende Idee gehabt, hätte der Film auch in Frankreich spielen können. Die Gesellschaftskritik dient nur als Vorwand das Erstlingswerk eines begabten Regisseurs einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Man sollte da nicht allzu viel hinein interpretieren. 
Auch "The Blair Witch Project" erlebte einen Hype weil die Legende erfunden wurde, das im Film dargestellte Material wäre echt und die Independant-Produktion wurde zu einem Kassenerfolg. So einfach ist das, liebe Freunde!

7/10

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